Die Neonazis im griechischen Parlament

Hoffen auf den Sonnenuntergang

Bei den Wahlen im Mai zog die Neonazipartei Chrysi Avgi zum ersten Mal ins griechische Parlament ein. Wird ihr dies bei den Wahlen im Juni erneut gelingen?

»Hellas« steht in großer blauer Schrift auf dem Boden vor der prächtigen Kirche im Stadtteil Agios Panteleimonas in Athen, darunter die weiß-blaue griechische Fahne, frisch aufgemalt. Einige Meter weiter befindet sich ein kleiner Kinderspielplatz. Das schmale Tor ist seit drei Jahren mit einem Schloss versperrt. Die Einwohner des Stadtteils wollen nicht, dass ihre Kinder zusammen mit Kindern aus afghanischen oder somalischen Flüchtlingsfamilien spielen. Der Staat hat nichts unternommen, um die Sperrung des Spielplatzes zu verhindern. An den Wänden vieler Gebäude stehen rassistische Parolen. An manchen Eingängen sieht man kleine, weiße Aufkleber mit der Botschaft: »Wählt Chrysi Avgi, damit Griechenland gesäubert wird!« In diesem Stadtteil hat die Nazipartei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) ihre ersten Erfolge auf dem Weg ins Parlament erzielt.

Bei den Kommunalwahlen im Jahre 2010 erhielt sie in Athen 5,29 Prozent der Stimmen. Der Generalsekretär und Gründer von Chrysi Avgi, Nikolaos Mihaloliakos, wurde damals in den Stadtrat gewählt, wo er später mit einem Hitlergruß provozierte. Am 6. Mai schaffte es seine Partei mit beinahe sieben Prozent zum ersten Mal ins Nationalparlament. Genau 440 894 Wählerinnen und Wähler gaben Chrysi Avgi ihre Stimme – für viele Griechen war das ein Schock. Unter den 21 Abgeordneten der Partei, die im Parlament vereidigt wurden, befindet sich etwa Giorgos Germenis, der Bassist einer Black-Metal-Band. Auf einer Pressekonferenz nach den Wahlen forderte Germenis die Journalisten in militärischem Ton zum Aufstehen auf, als Mihaloliakos den Raum betrat. Das Video wurde von vielen Medien verbreitet. Es war eine Warnung an diejenigen, die Mihaloliakos’ Truppe aus Protest gegen die etablierten Parteien gewählt hatten, ohne genau zu wissen, welche Ideologie Chrysi Avgi vertritt.
Umfragen zufolge hat die Partei jedoch seit den Wahlen im vergangenen Monat an Zustimmung verloren, bei den Wahlen am 17. Juni kann sie voraussichtlich nur noch mit weniger als fünf Prozent rechnen, womit sie dennoch die Drei-Prozent-Hürde überspringen würde. Aus den Wahlanalysen geht hervor, dass überwiegend junge Menschen aus der Altersgruppe zwischen 25 und 34 Jahren die Neonazipartei gewählt haben. In einer Studie der Universität Makedonien über das Wahlverhalten der Einwohner Athens betonen die Forscher, dass einer der wichtigsten Gründe für die Stärkung der Partei die Ressentiments der Griechen gegen papierlose Einwanderer und Flüchtlinge sind. Angst vor »illegalen Fremden« äußert die Mehrheit der Befragten. Ebenso wird behauptet, dass die Einwanderer der Wirtschaft sowie dem kulturellen Leben Griechenlands schadeten. Zu solchen Ansichten hat die Zunahme von Kriminaldelikten in vielen Stadtteilen Athens beigetragen, in die nach Angaben der Polizei häufig Ausländer verwickelt seien.

Hunderte von Flüchtlingen und Einwanderern aus Asien und Afrika leben mittellos und obdachlos in Athen und anderen Großstädten, ohne eine Aussicht, eine Arbeit zu finden oder Asyl zu erhalten. Ende Mai kam es in der Hafenstadt Patras zu rassistischen Ausschreitungen. Anlass war der Mord an einem Griechen, angeblich verübt von drei Afghanen. Etwa 350 aufgebrachte Mitglieder und Sympathisanten von Chrysi Avgi versuchten, mit einem Bagger die Absperrungen der Polizei vor einer ehemaligen Textilfabrik zu durchbrechen. Ziel der Angreifer waren mehrere hundert Einwanderer und Flüchtlinge, die in dem verlassenen Komplex auf eine Überfahrt nach Italien hofften.
Viele Immigranten flohen aus Angst nach Athen. Die Zahl der rassistischen Angriffe ist jedoch auch in der griechischen Hauptstadt in den vergangenen Monaten drastisch angestiegen. Fast täglich werden Flüchtlinge und Einwanderer auf offener Straße, in Bussen oder in der Metro mit Messern oder anderen Gegenständen angriffen. Mehrere Opfer haben sich beklagt, dass die Polizei bei solchen Angriffen nicht eingeschritten sei. Verwunderlich ist das nicht. Über die guten Beziehungen der Polizei zu den Neonazis wurde viel spekuliert. Der Tageszeitung To Vima zufolge hat jeder zweite Polizist bei den Wahlen am 6. Mai seine Stimme Chrysi Avgi gegeben.
Für Chrysi Avgi haben unter anderem auch ehemalige Wähler der rechtsextremen Partei Laos gestimmt, die am 6. Mai nicht mehr ins Parlament einzog. Sie hatte im Herbst zusammen mit Nea Dimokratia und der sozialistischen Pasok die Notregierung des ehemaligen Bankiers Lukas Papademos unterstützt und sich so bei den Wählern unbeliebt gemacht. Ein prominenter Politiker von Laos, Makis Voridis, ist mittlerweile zu Nea Dimokratia übergelaufen. In Papademos’ Kabinett war er Verkehrsminister. Mittlerweile ist er ein beliebter Gast in Talkshows und wird sogar als Nachfolger von Antonis Samaras als Vorsitzender von Nea Dimokratia gehandelt.

Analytiker betonen, dass Chrysi Avgi weiter versuchen wird, ihren Einfluss in der Gesellschaft zu verstärken, selbst wenn der Partei bei den Wahlen am 17. Juni der Einzug ins Parlament nicht wieder gelingen sollte. So versucht sie beispielsweise, Anhänger zu gewinnen, indem sie Lebensmittel und Kleidung an die arme Bevölkerung verteilt. Ihre Mitglieder begleiten angeblich auch Rentner zur Bank oder beim Einkauf, um sie vor Überfällen zu schützen. »Die geistigen Kinder Hitlers und Goebbels’ haben ihre Rolle perfekt gespielt. Sie haben die Bürger zu sich kommen lassen, um eine Lösung für ihre Alltagsprobleme zu finden. Sie sind zu Sheriffs der schutzlosen Städte und Nachbarschaften Griechenlands geworden«, schreibt das Athener Politikmagazin Unfollow.
Die Verbreitung der neofaschistischen Ideologie in Griechenland haben auch die Sozialisten der Pasok und die Nea Dimokratia begünstigt. Kurz vor der Wahl sprach sich der Konservative Antonis Samaras gegen die »Invasion« der illegalen Einwanderer aus. Der ehemalige sozialistische Gesundheitsminister Andreas Loverdos veröffentlichte vor kurzem Bilder HIV-infizierter Prostituierter, der ebenfalls bis vor kurzem amtierende »Bürgerschutzminister«, der Sozialist Michalis Chrysochoidis, versprach die Errichtung von 30 Sammellagern für papierlose Migranten und Flüchtlinge. Dort sollen diese bis zu ihrer Ausweisung eingesperrt werden. Das dürfte auch den Anhängern von Chrysi Avgi gefallen.