Neue Vorwürfe gegen Julian Assange

Nicht ohne mein Laptop

Der Ruf des Wikileaks-Gründers Julian Assange hat bereits gelitten, in einem in dieser Woche erscheinenden Buch werden neue Anschuldigungen erhoben.

Mehr Pressevertreter als Demonstrierende seien vor dem Gericht anwesend, meldete die Tageszeitung Guardian vor der Urteilsverkündung in London über die Auslieferung von Julian Assange nach Schweden. Die Zeiten der weltweiten Massenkundgebungen für den Wikileaks-Gründer sind eindeutig vorbei. Zur Beschädigung seiner Glaubwürdigkeit dürfte maßgeblich sein aus Antisemiten und Maskulisten bestehender Unterstützerkreis beigetragen haben, der vorzugsweise Halbwahrheiten verbreitete, die als Beleg für Verschwörungen dienen sollten.
Die schwedische Staatsanwaltschaft ermittelt wegen sexueller Belästigung und Vergewaltigung gegen Assange. Seine Unterstützer weisen gerne darauf hin, dass er nicht offiziell angeklagt wurde. Doch nach schwedischem Recht können Anklagen nur gegen anwesende Personen erhoben werden, Assange hatte das Land jedoch am 27. September 2010 vor zwei in Absprache mit seinem Anwalt festgesetzten Verhörterminen überrraschend verlassen.
Sein Fernbleiben von einer seit Monaten geplanten Veranstaltungsreihe Anfang Oktober 2010 in Stockholm wurde zunächst mit Überlastung erklärt, bei Wikileaks sei man viel zu sehr damit beschäftigt, 19 000 zur Veröffentlichung bestimmte Geheimdokumente zu überprüfen. Am 14. Oktober hieß es plötzlich, Assanges Laptop sei auf dem Flug nach Berlin verschwunden, daher habe er nicht nach Schweden kommen können. Es wurde nahegelegt, dass Geheimdienste hinter dem Verschwinden des Laptops stünden. Dass die italienische Journalistin Stefania Maurizi, mit der sich Assange in Berlin traf, betonte, dass der Australier sein Laptop sehr wohl dabei gehabt habe, beeindruckte die an eine Geheimdienstverschwörung Glaubenden nicht.
Assanges Verteidigungsteam hatte der schwedischen Anklagevertretung zwar im Herbst 2010 angeboten, den Wikileaks-Gründer telefonisch oder per Videokonferenz zu verhören. Doch seine Anwältin Jennifer Robinson stellte Bedingungen: »Detaillierte Beschreibungen der Beweise, der Anschuldigungen sowie der möglichen Anklagepunkte.« Die schwedische Staatsanwaltschaft wollte sich auf diese Vorgaben nicht einlassen, Verdächtige werden in keinem Land der Welt vor Verhören komplett über die gegen sie vorliegenden Indizien informiert. Assange musste mit elektronischer Fußfessel im Hausarrest den Ausgang des Auslieferungsverfahrens abwarten. Der Oberste Gerichtshof gestattete die Überstellung, genehmigte jedoch auch, binnen zwei Wochen einen Antrag auf Neuaufnahme des Falls zu stellen.

Dass Assange bis zur letzten Instanz gegen seine Auslieferung nach Schweden kämpfe, um zu verhindern, von dort aus in die USA gebracht zu werden, wo versucht wird, ihn wegen Spionage anzuklagen, gehört ebenfalls zu den Mythen. Eine Auslieferung ist in Schweden viel schwerer zu erwirken als in Großbritannien, wo ein Abkommen mit den USA für solche Fälle existiert – was auch Assanges juristische Ratgeber wissen müssten.
Dass Assange und seine Unterstützer ebenso trickreich und intransparent vorgehen wie die Regierungen, deren geheime Machenschaften sie angeblich bekämpfen, hat bereits für Ernüchterung gesorgt. Schwerwiegende Anschuldigungen, die in dem in dieser Woche erscheinenden Buch »We Are Anonymous: Inside the Hacker World of Lulzsec, Anonymous, and the Global Cyber Insurgency« von Parmy Olson, der Londoner Büroleiterin des Magazins Forbes, erhoben werden, lassen zudem Assanges Motive und Vorgehensweise in keinem guten Licht erscheinen. Er hatte sich über den Twitter-Account von Wikileaks mehrfach begeistert über die Aktionen der mittlerweile wegen Verhaftungen nicht mehr existenten Vereinigung Lulzsec um den als FBI-Spitzel entlarvten Hector Xavier Monsegur aka Sabu geäußert, die Tweets jedoch wieder gelöscht, nachdem diverse Zeitungen darüber berichtet hatten.
Ein Wikileaks-Mitarbeiter namens »q« nahm demzufolge am 16. Juni Kontakt mit den Hackern von Lulzsec auf. Am Tag zuvor hatte der Engländer Ryan Ackroyd mit Hilfe seines 800 000 infizierte Computer umfassenden Botnetzes die Website Cia.gov attackiert, was international großes Aufsehen erregt hatte. »Q« wurde zurückhaltend begrüßt, doch ist es in Chatforen so gut wie unmöglich, die Identität der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zweifelsfrei festzustellen. Deshalb verlangte der inoffizielle Sprecher der Gruppe, der 18jährige Engländer Topiary aka Jake Davis, erst einmal Beweise. Er erhielt daraufhin ein Video, das Assange und den Chat in Echtzeit zeigt. Assange schlug der Gruppe dann vor, isländische Firmen- und Regierungsseiten zu attackieren.
Assange hatte Island lange Zeit als Musterbeispiel für Informantenschutz gesehen und versucht, Einfluss auf die dortige Gesetzgebung zu nehmen, um das Land zum sichersten Ort für Whistleblower zu machen. Dies war misslungen, und außerdem war Wikileaks beim Versuch, ein in einem unterirdischen Bunker gelegenes Data Center zu kaufen, überboten worden.

Assange betrachtete Island nun als ihm feindlich gesonnen und wollte Rache. Lulzsec sollte den kompletten E-Mail-Verkehr der dortigen Regierungsstellen stehlen, um Beweise für Korruption oder gezielte Aktionen gegen Wikileaks zu finden. Im Gegenzug sollte die Gruppe ein verschlüsseltes Geheimdokument der Regierung erhalten und die Daten nach erfolgter Entschlüsselung veröffentlichen. Topiary bekam das Gefühl, Lulzsec sollte »zum dunklen Cousin von Wikileaks werden« und Dokumente leaken, deren Veröffentlichung der Enthüllungsplattform zu riskant seien.
Topiary verlor in den folgenden Tagen anscheinend das Interesse an Assange und dessen Auftrag, während Sabu den Kontakt zu dem in Großbritannien unter Hausarrest Stehenden aufrecht erhielt. Sabu war zu diesem Zeitpunkt schon als FBI-Informant tätig – er war am 7. Juni 2011, neun Tage vor dem im Buch geschilderten ersten Kontakt zwischen Assange und Lulzsec, verhaftet worden. Sabu sei über Assanges Angebot »so begeistert wie nie zuvor« gewesen, wird Topiary im Buch zitiert. Knapp einen Monat später wurden die ersten Lulzsec-Mitglieder verhaftet.