Die neue Nazi-Musikszene

Zwischen Störkraft und den Onkelz steht ’ne Kuschelrock-LP

Landser und die Onkelz waren gestern, die neonazistische Musikszene ordnet sich neu. Eine kleine Übersicht über ihr aktuelles Treiben.

Lang, lang ist’s her. 1993 sangen Die Ärzte über ein Arschloch. Dessen Gewalt war nur ein stummer Schrei nach Liebe, es hatte nie gelernt, sich artizukulieren. Da war die Welt noch übersichtlich. Es war klar, wie er klingt, der Soundtrack zur rechten Gewalt. Störkraft ist jetzt aber passé, der Sänger der Böhsen Onkelz für geraume Zeit im Knast. Heute ist die popkulturelle Lage am rechten Rand so komplex und unübersichtlich wie die politische. Da ist die NPD, die beim Versuch, sich seriös zu geben, regelmäßig scheitert. Autonome Nationalisten, die von linken Autonomen lernen. Es gibt Freie Kameradschaften und es gibt immer mehr Frauen, die sich in sozialen Berufen engagieren, um an der Basis rechte Propaganda zu machen. So vielfältig die Szene, so vielfältig sind die musikalischen Ausdrucksformen der rechtsradikalen Subkulturen.
Eine der beliebtesten Bands der Szene nennt sich Lunikoff Verschwörung. »Sie träumen von einem Multikultistaat, für mich ist das nur Weißer Verrat«, heißt es in ihrem Song »Weißer Verrat«, eine Hymne auf ein weißes Deutschland ohne andere Hautfarben. »Lunikoff ist der Spitzname des früheren Sängers von Landser, Michael Regener, der jetzt unter dem Namen Lunikoff Verschwörung auftritt. Lunikoff war eine billige Wodkamarke in der DDR«, sagt der Mainzer Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs. Er hat sich auf rechte Popmusik, Nazirock und Artverwandtes spezialisiert. »Das Album hat Michael Regener 2008 nach seiner Haftentlassung auf den Weg gebracht. Landser wurden ja – einmalig in der deutschen Rechtsgeschichte – Ende der neunziger Jahre als rechte Band als terroristische Vereinigung eingestuft und sind dann verboten worden. Regener ist einer der Helden der Szene, auch wenn er musikalisch eher das Klischee des tumben, musikalisch nicht sehr ausgefeilten Rechtsrocks RAC bedient.« RAC steht für Rock Against Communism. Das erinnert an antifaschistische Initiativen wie Rock gegen Rechts oder an die britische Bewegung Rock Against Racism, die in den siebziger und achtziger Jahren den Kampf gegen Rassismus und die rechtsradikale British National Party auch mit musikalischen Mitteln geführt hat, mit Konzerten von bekannten Bands aus der Punk- und Reggae-Szene. In den Achtzigern war der stumpfe Rumpelrock der RAC-Bands unter Neonazis noch hegemonial, aber das hat sich verändert, so Hindrichs. »Spätestens seit der Jahrtausendwende haben die Rechten ihren Umgang mit musikalischen Genres deutlich ausdifferenziert; von Hatecore bis hin zu ›nationalem Sprechgesang‹ ist popmusikalisch mittlerweile alles denkbar. Auch was Styling und Dresscode angeht, hat sich über die Autonomen Nationalisten in den vergangenen Jahren einiges getan. Da trägt man durchaus das, was linke oder scheinbar linke, antifaschistische Jugend­liche tragen, also Kapuzenpullis, ganz in schwarz, Palästinensertücher, Ohrringe, Piercings, Tattoos, alles, was auf den ersten Blick eher undeutsch ist, bis hin zur Übernahme von Konzepten aus der Straight-Edge-Bewegung.«
Straight Edge war ursprünglich eine linke Jugendbewegung in der amerikanischen Hardcore-Punk-Szene, die in Deutschland vor allem in der Autonomenszene ihre Anhänger fand. Straight Edge geht zurück auf den gleichnamigen Song der Hardcore-Band Minor Threat, der gegen die verbrauchten Mythen von Sex &  Drugs &  Rock’n’Roll straighte Enthaltsamkeit propagierte: keine Drogen, kein Alkohol, kein Fleisch und, ja, auch keinen (promisken) Sex – zumindest unter straighteren Straight Edgern. Wenn also junge Neonazis Straight Edge adaptieren, dann positionieren sie sich nach zwei Seiten: gegen hedonistisch-konsumistische, promiske Laissez-Faire-Linke und gegen die Bier & Korn & Schweinshaxen-Fraktion in den eigenen Reihen. Innerhalb der jungen rechtsradikalen Szene gibt es immer mehr Aktivisten, die bewusst auf Distanz zur NPD gehen, Hindrichs sieht eine Art Jugendbewegung aus Autonomen Nationalisten und Freien Kameradschaften, die eigene Stilistiken und Symbole entwickelt. »Unter anderem darüber, dass man sich scheinbar linker Codes bedient und für sich in Anspruch nimmt, Codes, die scheinbar nicht mit der rechten Ideologie vereinbar sind wie Amerikanismen, englische Sprache, Aufkleber wie ›Fuck Israel‹ oder auch Palästinensertücher.«
Redensarten, Dresscodes und Symbole des politischen Gegners imitieren, entführen, sich aneignen und mit neuer Bedeutung aufladen, diese Kulturtechnik erfreut sich gerade unter jungen Neonazis großer Beliebtheit und ist ­Bestandteil einer popkulturellen Modernisierung am rechten Rand. Das gilt auch für die Politisierung des scheinbar Unpolitischen.
Eigentlich unpolitisch ist auch das musika­lische Thema aus dem Rosaroten Panther, komponiert von Henry Mancini. Der erste Pink Panther-Film über die Abenteuer des Inspektor Clouseau wurde 1963 gedreht. Fast 50 Jahre vergingen, bis der rosarote Panther sich in einen braunen Panther verwandelte. Oder besser: verwandelt wurde. Die Aneignung von Paulchen Panther im Bekennervideo des Nationalsozialistischen Untergrunds ist symptomatisch für die Veränderungen am rechten Rand, meint Hindrichs. »Die Verwendung von einem auf den ersten Blick undeutschen Symbol wie Paulchen Panther ist gar nicht so ungewöhnlich. In den letzten Jahren ist zunehmend zu beobachten, dass die rechte Szene sich umbaut, sich umstrukturiert und sich popkulturell modernisiert. Man sollte sich verabschieden von dem Klischee der ewig gestrigen älteren Herren mit Seitenscheitel. Auch im Zusammenhang mit dem Nationalsozialistischen Untergrund scheint die Musik eine wichtige Rolle zu spielen, immerhin gibt es ja mit dem inzwischen berühmt-berüchtigten ›Döner Killer‹-Song von Gigi und die braunen Stadtmusikanten, so etwas wie den Soundtrack zur Mordserie. Es wird explizit auf die Mordserie Bezug genommen, ›neun Mal hat er es schon getan‹, also auch die Zahl der Opfer kommt zur Sprache.«
Der »Döner Killer«-Song bejubelt die Mordserie der Zwickauer Neonazis, und das lange vor der Entdeckung des NSU. Zu einer Zeit, als die deutschen Ermittlungsbehörden noch eine ominöse Türkenmafia im Visier haben und deutsche Polizisten undercover Dönerbuden anmieten, um den Tätern auf die Spur zu kommen. In Neonazikreisen weiß man da offenbar längst, wer hinter den Morden steckt, Bands wie Gigi und die braunen Stadtmusikanten feiern ihre Helden vom NSU. Die behördlichen Versuche, die Verbreitung von Nazirock mit den gegebenen juristischen Mitteln zu verhindern, erinnern an die Appelle der Musikindustrie wider das illegale Downloaden oder die Debatten ums Urheberrecht: sie wirken hilflos in Zeiten des Internet. »Das Meiste an rechter Musik, das bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien auf dem Index steht, ist als jugendgefährdend eingestuft und darf Menschen unter 18 Jahren nicht zugänglich gemacht werden. Über 18 dürfen das alle kaufen, hören und besitzen. Es gibt einige Ausnahmen wie »Döner Killer«, da gibt es ein Besitzverbot, da ist die komplette CD strafbewehrt«, so Thorsten Hindrichs.
Gigi und die braunen Stadtmusikanten sind ein rechtes Musikprojekt von Daniel »Gigi« Giese, der in den späten Neunzigern einen gewissen Ruhm in rechten Kreisen erlangt hat, unter anderem als mutmaßliches Mitglied einer Gruppe mit dem Namen Die Zillertaler Türkenjäger. Hindrichs erklärt: »Er hat 2003 ein neues Projekt gestartet, Gigi und die braunen Stadtmusikanten, die sich darauf spezialisiert haben, beliebte deutsche Schlager und Volkslieder im Sinne einer Nazi-Ideologie umzudichten.«
Bei den Zillertaler Türkenjägern findet sich wieder die Technik des Umdeutens und Aneignens populärer und vermeintlich unpolitischer Motive. Die Zillertaler Schürzenjäger waren lange Zeit eine der erfolgreichsten Bands Österreichs, mit ihrer Mischung aus volkstümlicherMusik und Schlager waren sie gern gesehene Gäste auf deutschen Bühnen, auch beim »Musikantenstadl« und der »Hitparade der Volksmusik«. Auf diese Popularität setzen Neonazis wie Giese, wenn sie ihrer Band den Namen Ziller­taler Türkenjäger geben. Möglicherweise setzen sie auch auf gewisse Sympathien in völkisch bis xenophob angehauchten Milieus unter Volksmusik-Anhängern.
In diesen Milieus findet auch die Musik von Frank Rennicke einen teilweisen Anklang. Mit Liedern wie »Ich bin stolz, dass ich ein Deutscher bin« spricht er seinen Fans aus der Seele. »Rennicke ist ein bekannter rechter Liedermacher, der bei den beiden letzten Wahlen des Bundespräsidenten als Kandidat der NPD angetreten ist. Er bezeichnet sich als ›Verseschmied‹, ist schon seit den späten Achtzigern dabei und nennt Reinhard Mey und Hannes Wader seine Vorbilder«, so Thorsten Hindrichs.
Reinhard Mey und Hannes Wader, zwei Liedermacher aus dem Umfeld der 68er-Linken, verorten sich im Zweifelsfall auch heute noch als links. Der rechte Verseschmied Frank Rennicke hat sogar ein Lied von Wader in seinem Repertoire, »Es ist an der Zeit«. Laut Hindrichs wollte Wader versuchen, Rennicke das Singen seines Werkes verbieten zu lassen, hat dann aber ein­gesehen, dass das juristisch nicht durchsetzbar ist, weil Rennicke das Lied eins zu eins übernimmt und dafür auch brav Gema-Gebühren zahlt.
Es bleibt die Erkenntnis, dass Waders Musik von rechts kooptierbar ist, dass ein rechter Liedermacher seine rechten Fans mit einem Lied des vermeintlich linken Liedermachers Wader beglücken kann.
Die Partei Rennickes versucht, mit Musik Nachwuchs zu rekrutieren, wenn auch mit etwas anderer Musik als den treuherzig-altbackenen Deutschlandliedern des NPD-Barden. Thorsten Hindrichs befindet über das Konzept Schulhof-CD: »Das ist der Versuch der NPD, seit 2004 über ein scheinbar unverfängliches Medium wie Musik junge Menschen für rechte Ideologien zu begeistern. Das sind Produktionen, die von der NPD initiiert werden und in ­einer Auflage von 500 000 Stück an Schulen verteilt werden.«
Im Parteisprech des ehemaligen NPD-Vorsitzenden Udo Voigt klingt das so: »Die Musik transportiert Meinung, Musik transportiert Kultur, ein Zugehörigkeitsgefühl, das ist für uns ein wichtiges Bindeglied zur Jugend. Weil über Musik sprechen wir die Jugend an, und sind dann in der Lage, wenn wir ihr Herz über die Musik geöffnet haben, ihnen auch unsere Ideen letztendlich schulisch beizubringen.«
Mit Musik die Herzen öffnen für rechte Ideologien, so könnte man auch das Konzept der Sängerin Annett Müller beschreiben. Frauen sind im rechten Milieu zwar nach wie vor unterrepräsentiert, aber immer mehr rechte Mädchen und Frauen drängen in soziale Berufe, ein Feld, das sich gut eignet, um eigene Themen zu besetzen. Themen wie sexueller Missbrauch. Davon singt die Liedermacherin Annett in ihrem Song »Julien«. Zunächst appelliert der melodramatische Schlager-Hardrock – eine Mixtur aus Andrea Berg und Doro Pesch – an unser Mitgefühl mit dem Opfer eines sexuellen Missbrauchs. Wer würde sich da verschließen? Was ist daran politisch? Was ist daran rechts? Die Art, wie damit umgegangen wird, meint Hindrichs. »Annett spricht als Mutter, deren Sohn von einem geistig Verwirrten getötet wird. Der Täter wird von einem deutschen Gericht nicht ins Gefängnis, sondern in die Psychiatrie gesteckt.«
Die Justiz gehe viel zu lasch vor gegen so­genannte Kinderschänder, das suggeriert der Song und fordert – unausgesprochen: Kopf ab! Schwanz ab! Oder wenigstens mit Altkanzler Gerhard Schröder: »Wegsperren! Und zwar für immer.« Thorsten Hindrichs findet »Julien« exemplarisch für die Strategie der rechten Liedermacherin Annett. »Die ersten zwei Drittel des Songs sind unverfänglich, dann folgt die rechtsradikale Kehrtwende. Sie eignet sich ein vermeintlich unpolitisches Thema an, das nicht unbedingt rechts ist und mehrheitsfähig. In der rechten Szene ist »Kinderschänder« der gängige Begriff, wenn es um sexuellen Missbrauch geht. Was mich besonders bestürzt ist, dass der Begriff auch darüber hinaus verwendet wird, in großen Tageszeitungen etwa. Dabei ist der Terminus Schande, der ja in engster Verbindung mit Blutschande oder Rassenschande steht, immer rechts aufgeladen. Besonders pervers finde ich, dass hier den Opfern auch noch das Stigma der Schande aufgebürdet wird, sie sind nicht mehr nur Opfer sexuellen Missbrauchs, sondern überdies jetzt noch ›Geschändete‹.«
Die Strategien und Methoden im rechten Kulturkampf sind vielfältig. Das gilt auch für die Musik. Am rechten Rand finden sich längst nicht mehr nur Fossile mit Schnauzer und Seitenscheitel und ihr jüngeres Pendant, die geist­losen Glatzen mit Bomberjacke und Springerstiefeln, stellt Thorsten Hindrichs fest.
»Das ist ein liebgewonnenes Feindbild, weil es so wunderbar einfach ist. Man muss sich nicht mit dem Phänomen auseinandersetzen, wenn man sagt, das sind sowieso nur Springerstiefel tragende Glatzen, tumbe Deutsche. Da ist die Gefahr riesengroß, dass man viele Aspekte allzu leichtfertig unterschätzt oder gar einen dezidiert antifaschistischen Musiker wie Chaoze One dem rechtsradikalen ›nationalen Sprechgesang‹ zuordnet, wie es kürzlich die Taz getan hat.« Die Taz hat sich für den »schweren Fehler« bei ihren Lesern allerdings entschuldigt.