Die Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt

Keine Macht den Drogerien

Die Gewerkschaft spricht angesichts der Pleite der Drogeriekette Schlecker von der »größten Insolvenz in der Geschichte der Bundesrepublik«. Die politische Hilfe für die Mitarbeiterinnen von Schlecker fällt mehr als bescheiden aus.

Sind Arbeitsplätze von Frauen weniger wert als die von Männern? Gemessen an der Bezahlung ist das hierzulande vielfach der Fall. Aber gilt es auch für die Arbeitsplätze selbst? Schließlich ist Arbeit der Politik, was bedrohte Tierarten dem Naturschutz sind: das beste Mittel, Sympathien zu gewinnen. Christel Hoffmann, Gesamtbetriebsrätin der insolventen Handelskette Schlecker, sagt: »Wir haben Geld für Rettungsschirme, wir haben Geld für Ehrensold, aber für Frauenarbeitsplätze in Deutschland ist kein Geld da.« Ihre Auffassung teilen nicht wenige der Mitarbeiterinnen von Schlecker. Auch Vertreter der Gewerkschaft Verdi äußerten sich ähnlich, etwa der neue Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger.
Fix und fertig mit den Nerven, so beschrieben Mitarbeiterinnen ihren Zustand, als am 1. Juni die Zerschlagung der Drogeriemarktkette Schlecker bekannt wurde. Nach der Entlassung von rund 11 000 Beschäftigten im März werden ab Ende Juni weitere 13 000 Verkäuferinnen arbeitslos sein. Inzwischen gelten auch die dann noch verbleibenden 5 000 von insgesamt 30 000 Stellen in der Bundesrepublik als nicht zu retten. Von der größten Firmenpleite in der Geschichte der Bundesrepublik ist die Rede. Alle Hoffnungen, die der Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz seit Ende Januar äußerte, erwiesen sich als allzu optimistisch – oder als Teil einer Salamitaktik. Nach einer »Sozialauswahl« wurden im März vor allem jüngere Beschäftigte entlassen, mithin solche, die bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Die verbliebenen Verkäuferinnen haben deutlich schlechtere Aussichten.

Die Vermutung der Diskriminierung durch eine paternalistisch geprägte Gesellschaft liegt nahe. Insbesondere wenn man noch die Männerstimmen im Ohr hat, die 1999 zu Hunderten skandierten: »Gerhard, wir danken dir!« Der gerade erst zum Bundeskanzler gekürte Gerhard Schröder (SPD) hatte damals die Pleite des Baukonzerns Holzmann mit einer Bürgschaft von 250 Millionen Euro um drei Jahre hinausgeschoben. Für Opel gab es 2009 sogar eine Bürgschaft von 1,5 Milliarden Euro, die auch konservative Ministerpräsidenten wie Roland Koch (CDU) unterstützten. Obgleich der damalige Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) eine »geordnete Insolvenz« zur Marktbereinigung nicht ausschloss, erhielt der Autokonzern staatliche Unterstützung. Im selben Jahr stützten die von Unionsparteien geführten Landesregierungen von Bayern und Sachsen den Versandhändler Quelle mit einem Kredit in Höhe von 50 Millionen Euro.
Auch die Mitarbeiterinnen von Schlecker und ihre Gewerkschaft hätten sich Unterstützung gewünscht. Warum daraus nichts wurde, lässt sich mit Sicherheit kaum sagen. Vielleicht hat die Pleite des Holzmann-Konzerns für einen politischen Lerneffekt gesorgt, oder es geht schlicht um die marktradikale Idee der »unsichtbaren Hand«. Liegt das fehlende Engagement der Politiker darin begründet, dass in diesem Jahr keine Wahlen mehr anstehen, oder handelt es sich doch um Diskriminierung von Frauen im Beruf?
Dass frauen- und männerdominierten Branchen unterschiedlicher Wert beigemessen wird, steht für die gleichstellungspolitische Leiterin des Bereichs Frauen- und Gleichstellungspolitik bei Verdi, Karin Schwendler, fest. Allerdings gebe es keine eindeutigen Beispiele für eine solche Diskriminierung  – denn dagegen könnte man etwas machen, aber »so funktioniert die Welt nicht«. Der Gewerkschaft bleibt nur die gesellschaftliche Debatte über soziale Standards und Ansprüche. Und die kann dauern, wie man beim Thema Mindestlohn, über das seit 2006 diskutiert wird, beobachten kann.

Derart in der Defensive war die Gewerkschaft, gerade bei Schlecker, nicht immer. Als geradezu vorbildlich gilt die Kampagne der damaligen Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), die später in der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi aufging. Mitte der neunziger Jahre gelang es ihr, in dem Familienunternehmen Betriebsräte und Tarifverträge zu verankern. Dennoch war es um das Image von Schlecker nicht gut bestellt. Die Arbeitsbedingungen sorgten auch in jüngster Zeit für Schlagzeilen. So sagte die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen, Brigitte Pothmer, am 8. März im Bundestag, mit Schlecker sei »ein Geschäftsmodell gescheitert, das gesetzt hat auf Lohndrückerei, Entrechtung der Beschäftigten, inakzeptable Arbeitsbedingungen(…) und Spitzelei«. Dies habe dazu beigetragen, dass die Kunden ausblieben.
Allerdings deckt sich Pothmers Wahrnehmung nicht ganz mit den Beschreibungen der Gewerkschaft. Verdi-Sprecherin Christiane Scheller betont, eine Verkäuferin verdiene bei Schlecker aufgrund des Flächentarifs gut 13 Euro pro Stunde, während die Konkurrenten Rossmann und DM nicht tarifgebunden seien. Damit zählen die weiblichen Beschäftigten von Schlecker zu den Besserverdienenden der Branche. Allerdings, so Scheller, arbeiten drei Viertel der Beschäftigten in Teilzeit. Das deckt sich mit dem Jahresbericht 2011 des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), wonach fast jede zweite teilzeitbeschäftigte Frau ihre »Arbeitszeit gerne deutlich ausweiten« würde.
Letztlich kommt man bei einer 20-Stunden-Woche nicht einmal auf 1 200 Euro – dieser Monatslohn liegt auf Niedriglohnniveau. Wann und warum der Niedergang des ehemaligen Branchenprimus Schlecker einsetzte, ist umstritten. Seit spätestens 2008 schreibt die Drogeriekette rote Zahlen. Neben dem schlechten Ruf wird die Pleite vor allem dem Expansionskurs und dem vergleichweise geringen Umsatz pro Ladenfläche zugeschrieben. Auch nachdem in den vergangenen eineinhalb Jahren mehr als die Hälfte ­aller Filialen geschlossen wurde, besitzt Schlecker mit gut 3 000 Filialen immer noch so viele Läden wie seine drei größten Konkurrenten zusammen.

Nach dem Motto »Jede Arbeit ist besser als keine« schlug Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) nun die Umschulung der Schlecker-Beschäftigten für den Erziehungs- und Pflegebereich vor. Die Leiterin der IAB-Arbeitsgruppe Geschlechterforschung, Juliane Achatz, sieht darin eine »sehr pragmatische Überlegung«. Da scheint es unerheblich zu sein, dass damit die berufliche Segregation in Frauen- und Männerberufe forciert wird. Immerhin könnte so vielleicht doch noch eine Transfergesellschaft möglich werden. Ob die Gewerkschaft mit ihrer Forderung nach einer »vollwertigen dreijährigen Ausbildung« Gehör findet, ist mehr als ungewiss.
Der Appell an die Politik offenbart die Ohnmacht der Gewerkschaft. Eine Genossenschaftsgründung und die Überführung des Betriebs in Belegschaftshand, wie etwa von Verdi Saarland gefordert, wurde offenbar nicht ernsthaft erwogen. Sowohl der Insolvenzverwalter als auch die Gewerkschaft hatten vergeblich gefordert, dass die öffentliche Hand den Schlecker-Konzern unterstütze. Nun, da dessen Zerschlagung und Abwicklung besiegelt sind, wolle die Gewerkschaft, so Scheller, »dezentral vorgehen« und »kleine Lösungen« finden, etwa indem man gewinnbringende Standorte bündelt und erhält oder regionale Auffanggesellschaften gründet. Fraglich ist, ob dies noch gelingen kann, nachdem man sich zuvor mediengerecht auf eine emotionale Ebene begeben hat: Hilferufende müssen Ohnmacht demonstrieren, Verhandlungspartner hingegen Macht. Zumal die Linie der FDP nicht nur bei ihrer Klientel Befürworter findet. Ihr Argument lautet, dass täglich 20 000 Beschäftigte ihre Arbeit verlieren und denen auch niemand helfe. Gleiches Recht für alle, das heißt in diesem Fall, dass es allen gleich schlecht gehen soll.