Die Nazi-Kontinuitäten beim Verfassungsschutz

Die Geheimnisse des Geheimdienstes

Von Ivo Bozic

Hat der Verfassungsschutz auch hinsichtlich seiner Geschichte etwas zu vertuschen?

»Wenn ihr irgendwo einen Lümmel erwischt, vollzieht die Strafe auf der Stelle und gebt ihm eine Tracht Prügel!« Diesen Rat gab Bundeskanzler Konrad Adenauer der Polizei, als in den Wochen nach Heiligabend im Jahr 1959 die Bundesrepublik von einer antisemitischen Anschlagswelle überzogen wurde. Fast 700 Hakenkreuz- und andere antisemitische Schmierereien wurden innerhalb weniger Wochen an Synagogen und anderswo vorgefunden. Das Brisante an dieser Äußerung war jedoch weniger, dass der Bundeskanzler die Exekutive zu extralegalen Strafaktionen aufforderte oder dass er offenbar or­ganisierte Nazi-Täter als »Lümmel« verharmloste. Der Skandal bestand vielmehr darin, dass andere Regierungspolitiker, wie etwa Franz-Josef Strauß, und auch das Bundesamt für Verfassungsschutz gar nichts von der Nazi-Szene wissen wollten. Und das, obwohl tatsächlich zwei 25jährige Neonazi-Schmierer erwischt wurden, die Mitglieder der rechtsextremen »Deutschen Reichspartei« waren. Trotzdem machten die Behörden die DDR für die Anschlagsreihe verantwortlich, die Täter seien vom Osten gesteuert gewesen, hieß es. Beweise dafür wurden nie erbracht.

Waren die Verfassungsschützer nur auf dem rechten Auge blind oder wollten sie nicht sehen? Hatte diese antikommunistische Spurlegung vielleicht sogar damit zu tun, dass der damalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hubert Schrübbers, zuvor ein überzeugter Staatsanwalt in NS-System gewesen war, der bei seinen Urteilen die Ermordung von Juden in Auschwitz mindestens in Kauf genommen hatte? Jedenfalls muss dies als Möglichkeit in Betracht gezogen werden. Gibt es eventuell auch ähnlich plausible Gründe dafür, dass bei der NSU-Mordserie lieber gegen Migranten als gegen Nazis ermittelt wurde?
Was der Verfassungsschutz hinsichtlich des NSU-Skandals zu vertuschen hat, wird sich vielleicht in den nächsten Monaten herausstellen. Möglicherweise auch nie. Hat der VS auch im Hinblick auf seine Geschichte Geheimnisse? Der Historiker Peter Hammerschmidt, der zu dem SS-Kriegsverbrecher Klaus Barbie forscht, berichtete im Januar, dass der Verfassungsschutz Akten über Barbie aus, wie es heißt, »Sicherheitsgründen« zurückhalte. Der BND hingegen hat längst in seine Akten blicken lassen, aus denen hervorging, dass der verurteilte und international gesuchte Barbie nach dem Krieg vom BND als Spitzel in Bolivien bezahlt und gedeckt wurde. Den Erkenntnissen Hammerschmidts zufolge war Barbie bis 1980 aber auch in Deutschland aktiv, beteiligte sich am Aufbau neofaschistischer Strukturen und betrieb Waffenhandel – vermutlich zumindest mit Kenntnis des VS.

Die Aufarbeitung der Nazi-Kontinuitäten des Amtes in den Jahren 1950 bis 1975 haben im Auftrag des noch amtierenden VS-Präsidenten Heinz Fromm im November 2011 zwei unabhängige Professoren des Historischen Instituts der Ruhr-Universität Bochum übernommen. Es wird noch eine Weile dauern, bis sie Ergebnisse publizieren, aber es kann als sicher gelten, dass dabei so manche braune Wurzel des VS offengelegt wird.
Dabei stand das Amt anfangs unter Kontrolle der britischen Alliierten. Die lehnten sieben Kan­didaten wegen zu großer NS-Nähe ab, die Adenauer für den Vorsitz der Behörde vorgeschlagen hatte. Als die Briten schließlich einen ehemaligen NS-Oppositionellen als ersten Präsidenten durchsetzten, stellte die Adenauer-Regierung ihm mit Albert Radke einen Stellvertreter zur Seite, der an der Ostfront an Judendeportationen beteiligt gewesen war und in leitender Position gegen die Hitler-Attentäter des »20. Juli« ermittelt hatte.
Man kann also nur hoffen, dass die beiden Bochumer Forscher bei ihrer Arbeit nicht allzu viele geschredderte Akten vorfinden. Der Histo­rikerkommission, die derzeit die BND-Geschichte aufarbeitet, ist es bereits so ergangen.