Die Serie »Treme« über New Orleans nach dem Hurrikan Katrina

Hurra, Mardi Gras

»Treme« ist eine großartige US-amerikanische Serie über New Orleans nach dem Hurrikan Katrina und die Musik dieser Stadt. Demnächst wird sie auch in Deutschland ausgestrahlt.

Man ertappt sich beim Sehen von »Treme« dabei, dass man überlegt, wie denn eine vergleichbare Serie in Deutschland aussehen müsste. Anstatt in New Orleans würde sie in Berlin spielen, wo denn auch sonst? Die Themen könnten sogar ähnlich sein: Gentrifizierung, Multikultikonflikte, nervige Touristen und Geldprobleme haben wir hier wie dort zuhauf. Anstatt um Brass- und Marching-Bands würde es um DJs und Clubbetreiber gehen, und der Mardi Gras Berlins wäre dann irgendein Freiluftrave draußen in Rummelsburg oder eben doch noch einmal die Love Parade.
Allerdings ist es natürlich hoffnungslos. Niemand würde hierzulande eine Serie produzieren, die so funktioniert wie »Treme«, die ganz auf Atmosphäre setzt und nicht auf irgendwelche spannungsreichen Handlungsstränge, die um Authentizität bemüht ist und in der Laiendarsteller mindestens so wichtig sind wie Profi­schauspieler. Und in der die live und ausgiebigst dargebotene Musik wichtiger ist als der Plot. In Hannes Stöhrs Film »Berlin Calling« (2008) ließ man immerhin den Technoproduzenten Paul Kalkbrenner einen DJ spielen, der einen durch wilde Partynächte in Berliner Clubs führt. Das geht ein wenig in die Richtung von »Treme«. »Berlin Calling« wurde hochgelobt als »realitätsnahes« Porträt der Berliner Szene, dabei hangelt es sich von Klischee zu Klischee, vom Drogenabsturz des DJ hin zur Plattenfirmenchefin, die von ihrem hoffnungsvollen DJ endlich das »neue Album« erwartet, als sei er Michael Jackson und nicht ein Plattendreher, dessen Währung für den Erfolg allein der Clubhit ist.
Auch in der HBO-Serie »Treme« gibt es Klischees, was ihr auch vereinzelt vorgeworfen wurde. New Orleans gilt seit Anfang des 20. Jahrhunderts als Musikstadt, als Wiege des Jazz, des R&B und damit des Rock’n’Roll, eigentlich als Geburtsort populärer Musik schlechthin. Und »Treme« zeigt New Orleans dann auch als Musikstadt durch und durch. Eigentlich ist hier jeder ein Musiker, und wer keiner ist, hat zumindest ein Herz für die Musiker seiner Stadt. Ob das der Realität entspricht, ist zweifelhaft. Aber was die Musik betrifft, hat man durchaus das Gefühl, dass in fast schon dokumentarischer Manier die Klänge der Stadt erforscht werden. Das liegt vor allem daran, dass sie eben so gut wie alle ihren Auftritt in dieser Serie haben, die legendären Typen, von Allen Toussaint über Dr. John bis Irma Thomas, genauso wie all die jungen Musiker, die seit ein paar Jahren versuchen, das gewaltige musika­lische Erbe der Stadt nicht bloß zu verwalten, sondern zu modernisieren. Etwa die Dirty Dozen Brass Band oder der junge Star und Anführer des neuen Sound of New Orleans, Trombone Shorty. Nur der HipHop, der sich mittlerweile auch auf New Orleans konzentriert, bleibt etwas unterbelichtet. Da ist die Serie dann doch ein wenig zu konservativ. Der Dirty-South-Gangsta-Rap, dem sich sogar der britsche Autor Nick Cohn, der schon in den sechziger Jahren als Rock’n’Roll-Chronist und New-Orleans-Fan bekannt wurde, in seinem hinreißenden Buch »Tricksta« widmet, gilt in »Treme« eher als Geschmacksverirrung für Jugendliche.
Man kann »Treme« auch vorwerfen, eine Art überlanger Werbefilm für eine Stadt, ihre Bewohner und ihre Kultur zu sein. Sofort bekommt man das Gefühl, seinen nächsten Urlaub nicht in Paris oder London und schon gar nicht in New York, sondern in New Orleans verbringen zu müssen – allein schon wegen des Essens. Die roten Bohnen mit Reis, die Fischgerichte, der Gumbo, all das möchte man unbedingt auch probieren.
New York, die Stadt, die sich selbst als das Herz der USA versteht, wird dagegen als übermäch­tiger und doch kulturloser Antipode zu New Orleans dargestellt: als die Stadt, die sich mit dem Jazz schmückt, obwohl er aus New Orleans kommt, als die Stadt, die scheinbar doch nur Verachtung übrig hat für das Provinznest im Süden, das in der Tradition stecken geblieben ist; als die Stadt, in der Ronald McDonald Bürgermeister ist und in der es Coffee to go gibt , während New Orleans die Stadt des französisch ­geprägten Genusses ist, mit Slow Food und gemütlicher Geselligkeit. Dass die sozialen Pro­bleme in New Orleans schon vor Katrina so erdrückend waren, dass sich dem ausschweifenden Genuss immer weniger Menschen überhaupt hingeben können, wird in »Treme« jedoch nur ansatzweise thematisiert.
Aber das Beharren auf dem Positiven ist eben der Dreh der Serie, und das macht auch Sinn. Die Serie spielt direkt nach der Katastrophe, die der Hurrikan Katrina 2005 angerichtet hat. Nach dem Unglück stand die Stadt fast vollständig unter Wasser, der Katastrophenschutz agierte mehr als dilettantisch, die Regierung George W. Bushs versagte vollständig, eine Stadt war so gut wie am Ende, man überlegte sogar, sie ganz aufzugeben. Kurzzeitig war die Einwohnerzahl von ungefähr 460 000 auf die Hälfte geschrumpft, nur langsam und nur zum Teil kehrten die Evakuierten zurück – auch weil sie das Geld für den Neuanfang nicht hatten. Die Serie ist aber gar nicht so sehr an der Katastrophe selbst interessiert, sondern an deren Folgen. Daran, wie eine völlig zerrüttete Stadt, eine Stadt in der Depression, die sich im Stich gelassen sieht, wieder versucht, zu sich selbst zu finden. Indem sie an Traditionen festhält, die eigene Kultur behauptet und sich trotz der Umstände selbst feiert, obwohl auch Monate nach der Katastrophe die Elektrizität nur schlecht funktioniert und immer noch andauernd Hubschrauber über der Stadt kreisen.
Kaputte Städte können einen erstaunlichen Überlebenswillen entwickeln. Detroit als Paradebeispiel einer schrumpfenden Stadt ist nicht tot zu kriegen, auch Berlin hat so einiges überstanden. Im Fall von New Orleans gab und gibt es Bestrebungen, die Hurrikankatastrophe als eine Art naturgegebene Gentrifizierungsmaßnahme zu nutzen und die Stadt sozusagen sozial bereinigt neu aufzubauen. Genügend Stu­dien belegen, dass von Katrina vor allem die ärmeren afroamerikanisch geprägten Viertel ­betroffen waren, die »Public Housing Projects«, die Viertel mit Sozialwohnungen und hoher Kriminalitätsrate, wurden nach der Katastrophe mehr oder weniger aufgegeben. Eine Stadt, die geprägt wurde von Voodoo, kreolischer und afrokubanischer Kultur, von mysteriösen Mardi-Gras-Indianern und einem sumpfig-fiebrigen Lebensgefühl, sollte nach der totalen Überschwemmung in die Moderne überführt werden und am Ende vielleicht doch ein wenig wie New York werden.
»Treme« stellt vielleicht gerade in seinem kulturbewahrenden Konservatismus eine politische Intervention dar. Die Serie, die demnächst in die dritte Staffel geht, wird schließlich nicht nur in New Orleans heftig diskutiert. Die Serie fordert ein, dass die Stadt auch nach Katrina das gute alte New Orleans bleibt und dass jeder, vom Straßenmusiker bis zum Mardi-Gras-Häuptling, seinen Platz in der Stadt behalten soll. Damit auch weiterhin die Marching Bands durch die Nachbarschaft ziehen. Wirklich schade, dass das von der Gentrifizierung gebeutelte Berlin nie eine mit »Treme« vergleich­bare Serie gewidmet bekommen wird.

»Treme« läuft ab Ende August auf Sky.