Die deutsche Euro-Strategie

Kein Urlaub von der Krise

Während viele südeuropäische Staaten in der Euro-Krise ihre letzten Hoffnungen auf die Europäische Zentralbank (EZB) setzen, attackieren deutsche CSU-Politiker den Präsidenten der EZB und Italiens Ministerpräsidenten Mario Monti.

Selbst auf der Insel holte ihn die Krise ein. Kaum hatte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) seinen Urlaub auf Sylt angetreten, suchte ihn sein US-amerikanischer Amtskollege Timothy Geithner auf. Doch was dieser ihm mitzuteilen hatte, wusste Schäuble bereits. Die US-Regierung hält die deutsche Euro-Strategie schon seit geraumer Zeit für verfehlt. Anstatt die verschuldeten Staaten durch harte Sparprogramme in die Rezession zu führen, sollten die Europäer nach dem Vorbild der US-Zentralbank die Märkte mit billigem Geld versorgen.
Den Euro zu retten, koste es, was es wolle, verlangte auch der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker. »Wir sind an einem entscheidenden Punkt angekommen«, sagte er vergangene Woche in der Süddeutschen Zeitung. »Die Welt redet darüber, ob es die Euro-Zone in einigen Monaten noch gibt.« Mit allen »verfügbaren Mitteln« müsse man nun deutlich machen, dass »wir fest entschlossen sind, die Finanzstabilität der Währungsgemeinschaft zu gewährleisten«. Notfalls solle die Europäische Zentralbank (EZB) die Staatsanleihen von Bankrott bedrohter Euro-Länder aufkaufen.

Dass die EZB als eine Art Bad Bank fungiert, die mit ihren unbegrenzten Mitteln den Euro rettet, darauf drängen vor allem die südeuropäischen Staaten. Den deutschen Euro-Skeptikern bereitet diese Vorstellung indes wahre Albträume. Die EZB als letzte Hoffnung? Vieles deutet darauf hin. Die zahlreichen Rettungsprogramme haben schließlich bislang nicht viel genützt. Im Gegenteil. So hatte die spanische Regierung erst kürzlich Einsparungen in Höhe von 65 Milliarden Euro beschlossen. Dennoch stiegen wenig später die Zinsen für spanische Staatsanleihen auf über sieben Prozent – ein Niveau, das sich kein Land auf Dauer leisten kann. Nun hat Ministerpräsident Mariano Rajoy angekündigt, das Sparvolumen auf 107 Milliarden Euro auszuweiten. So sollen Tausende Lehrerstellen gestrichen werden, für Medikamente werden zusätzliche Gebühren fällig. Wie verzweifelt nach weiteren Finanzquellen gesucht wird, zeigen beispielsweise die Überlegungen der katalonischen Regionalregierung. Diese will künftig Abgaben für mitgebrachte Lunch­pakete der Schüler einführen, angeblich, um die Kosten für Mikrowellen und Reinigungspersonal auszugleichen.
Ob Rajoy sein Vorhaben angesichts der mittlerweile heftigen sozialen Proteste überhaupt durchsetzen kann, ist eine andere Frage. Doch selbst wenn ihm dies gelingen sollte, wird sich an der Situation wenig ändern. Das Land befindet sich in einer schweren Rezession, deren Dauer noch gar nicht absehbar ist. Damit sinken die Staatseinnahmen, so dass das Defizit trotz der Sparmaßnahmen weiter steigt. Spanien ist derzeit mit mehr als 900 Milliarden Euro verschuldet, allein im Oktober muss die Regierung mehr als 30 Milliarden Euro für den Schuldendienst aufbringen. Entweder sinkt bis dahin die Risikoprämie – oder Spanien muss wie Griechenland, Portugal und Irland unter den »Rettungsschirm«. Das sind düstere Aussichten für die spanische Regierung.

Dabei konnte Rajoy vergangene Woche sogar noch zeitweilig etwas Hoffnung schöpfen. Der Präsident der EZB, Mario Draghi, hatte spektakuläre Maßnahmen angedeutet, mehrere Zeitungen berichteten anschließend, dass die EZB massenweise Staatsanleihen von Schuldenstaaten aufkaufen und damit den Zinsdruck senken wolle. Draghis tatsächliche Botschaft fiel dann eher nüchtern aus. Zwar kündigte er an, dass die EZB, und im geringerem Umfang auch der Rettungsfonds EMS, künftig Staatsanleihen von bedrohten Euro-Staaten aufkaufen könnten. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die betroffenen Staaten zuvor unter den Euro-»Rettungsschirm« geflüchtet sind. Hilfe gibt es dann nur, wenn die Regierungen die damit verbundenen drastischen Auflagen akzeptieren. Eine »Rettung«, auf die Spanien gern verzichten würde. Keine gravierende Haushaltsentscheidung wäre dann ohne das Einverständnis der EU und Deutschlands noch möglich. Bis vor kurzem hatte Rajoy sogar noch kategorisch ausgeschlossen, dass seine Regierung einen solchen Antrag jemals stellen könnte.
Nicht nur in Spanien, auch in Italien, dem nächsten möglichen Pleitekandidaten, wirkt die politische Führung mittlerweile fast verzweifelt. »Die Spannungen, die in den letzten Jahren die Euro-Zone begleiten, tragen bereits die Züge einer psychologischen Auflösung Europas«, warnte der italienische Ministerpräsident Mario Monti im Gespräch mit dem Spiegel. Jeden Tag spüre er daheim, wie die Krise die Stimmung vergifte. »Beunruhigt« berichtet er über die wachsenden Ressentiments »gegen die EU, gegen den Euro, gegen die Deutschen und manchmal auch gegen die Kanzlerin selbst«. Zugleich forderte Monti mehr Unabhängigkeit der Euro-Regierungen gegenüber den Parlamenten.
Die dazu passende Schlagzeile lieferte vor wenigen Tagen die Tageszeitung Il Giornale, die dem Bruder des ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi gehört. Italien befinde sich nicht mehr in Europa, sondern im »Vierten Reich«, heißt es in dem Blatt. Das Titelfoto zeigt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), wie sie die rechte Hand hebt. »Heil Angela«, lautet die Bildunterschrift.

Wie zur Bestätigung von Montis These ließ die Reaktion aus Deutschland nicht lange auf sich warten. »Die Gier nach deutschen Steuergeldern treibt bei Herrn Monti undemokratische Blüten«, keifte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt. »Herr Monti braucht offenbar die klare Ansage, dass wir Deutsche nicht bereit sein werden, zur Finanzierung der italienischen Schulden unsere Demokratie abzuschaffen.« Zuvor hatte Dobrindt dem EZB-Präsidenten bereits vorgeworfen, die Zentralbank für italienische Interessen zu missbrauchen.
Unterstützung erhielt Dobrindt von Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU), der wohl lieber heute als morgen die Euro-Zone auflösen würde. An Griechenland müsse »ein Exempel statuiert« werden, forderte er in Bild am Sonntag. Das Land müsse raus aus dem Euro, und zwar schnell. »Irgendwann muss jeder bei Mama ausziehen, und die Griechen sind jetzt so weit.«
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) sah sich Anfang der Woche genötigt, seine Koalitionspartner zu bändigen. »Der Ton der Debatte ist sehr gefährlich«, sagte er. Auffällig ruhig verhält sich hingegen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Dabei stellt Draghis Plan die deutsche Krisenstrategie zumindest teilweise in Frage. Denn bislang sperrte sich die Bundesregierung vehement dagegen, dass die EZB überschuldete Staaten mehr oder weniger direkt finanziert. Für Ideologen wie den Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, kommt die Absichtserklärung des EZB-Präsidenten einem Tabubruch gleich. Anstatt die Inflation zu bekämpfen, würde das Institut massenhaft Geld in Umlauf bringen. Allein Italien ist mit rund zwei Billionen Euro verschuldet. In Merkels Konzept passt hingegen die Bedingung, dass die insolventen Staaten zuvor unter den »Rettungsschirm« müssen.
Gut möglich, dass die Bundesregierung mit einem Kompromiss leben kann und sich langfristig in das Unvermeidliche fügt: dass die EZB unbegrenzte Mittel bereitstellt, um den Euro zu retten. Timothy Geithner zumindest würde es freuen.