Die »Reichsbürgerbewegung«

Nazis als Bürger

Seit Monaten verschicken sogenannte »Reichsbürger« Drohbriefe an jüdische, muslimische und türkische Einrichtungen. Die Empfänger werden dazu aufgefordert, Deutschland zu verlassen. Von den Behörden wurden die »Reichsbürger« lange nur als Randerscheinung der rechts­extremen Szene wahrgenommen.

Die »Reichsbewegung – neue Gemeinschaft von Philosophen« forderte in ihren Drohbriefen die Ausreise sämtlicher »wesens-, raum-, und kulturfremden Ausländer« aus Deutschland. Bundesweit berichteten die Medien über die Briefe, es begann mit einem im Februar ins Netz gestellten rassistischen und antisemitischen Pamphlet voller abstruser Verschwörungstheorien. Seitdem wurde das acht Seiten umfassende Schreiben dutzendfach verschickt. Die Drohbriefe klingen wirr, es wird ein »Tag X« prophezeit, an dem der »Dritte Weltkrieg« ausbrechen werde. In dem Schrei­ben bekennt sich die Gruppe zur »Wiedererstehung des Deutschen Reichs«. Es gibt Anknüpfungspunkte zur Szene der »Truther« und »Infokrieger«, einem Hort für Verschwörungstheorien. Auch wenn die Briefe dieser »Reichs­bewegung« bizarr klingen, am Ende des Schreibens wird offen gedroht: Wer am »Tag X« Deutschland noch nicht verlassen habe, werde »standrechtlich erschossen«. Die Empfänger waren jüdische und muslimische Einrichtungen in der ganzen Republik, als Datum für die Ausreise nannten die »Reichsbürger« den 1. August. Als Reak­tion gründeten evangelische, jüdische und muslimische Gemeinden den interreligiösen Verein »Treffpunkt Religion und Gesellschaft«, eine Podiumsdiskussion zu den Drohbriefen der »Reichsbewegung« war die erste Veranstaltung des Vereins.
Der Berliner Verfassungsschutz äußerte angesichts der jüngsten Schreiben der »Reichsbewegung« die Befürchtung, dass sich Einzeltäter »dazu aufgerufen fühlen könnten, aktiv zu werden«. Auch Heinz Fromm, der ehemalige Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, sagte Mitte Juli anlässlich der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2011, man könne nicht ausschließen, dass »Einzelne sich die Taten des NSU zum Vorbild nehmen«. Der umstrittene Inlandsgeheimdienst verzeichnet einen Anstieg des Gewaltpotentials in der rechten Szene und hält Rechtsterrorismus erstmals für möglich. Auf das militante Potential der Szene weisen Antifaschisten schon seit Jahren hin. Vor allem in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern beobachtet der Verfassungsschutz vermehrte Aktivitäten von »Reichsbürgern«. In diesen Bundesländern verschickten sie mehrere hundert Schrei­ben an Schulen, auf »besondere Anordnung der Reichsregierung und des Reichsgerichts«, wie es in den Briefen heißt, in denen auf die »Vorsorge im Ernstfall« wegen angeblich anstehender Veränderungen in Deutschland hingewiesen wird.

Im Hinblick auf die umfangreichen Aktivitäten der »Reichsbürger« spricht Helga Seyb von der Berliner Opferberatung »Reach Out« davon, dass eine »neue Stufe« erreicht sei. Der Migrationsrat Berlin Brandenburg berichtet auch von Einzelpersonen, denen das rassistische und antisemitische Pamphlet der »Reichsbewegung« persönlich adressiert zugeschickt wurde. »Das Schwierige ist, dass es jeder ausdrucken und in den Briefkasten werfen kann«, sagt Angelina Weinbender vom Migrationsrat der Jungle World.
Tatsächlich mehren sich Ereignisse, die auf eine Bedrohung durch militante »Reichsbürger« hinweisen. Ende Juli wurde in Thüringen erneut ein Versagen der Behörden im Umgang mit Rechtsextremen aufgedeckt: Ein »Reichsbürger« ar­beitete für den Sicherheitsdienst des Wirtschaftsministeriums. Bei dem 45jährigen Mann wurde ein ganzes Arsenal an Brennstoffen und Propagandamaterial sichergestellt. Es handelt sich nicht um einen Einzelfall. Bei dem »Reichsbürger« Daniel S. aus dem Berliner Bezirk Neukölln fand die Polizei Anfang Juli bei einer Razzia massenhaft explosive und hochgiftige Chemikalien. Wie die Taz berichtete, war die Polizei eher zufällig auf Daniel S. gestoßen. Weil der »Reichsbürger« seit Jahren keine Steuern zahlte, hatte die Steuerfahndung um Amtshilfe gebeten. Sein Privatgelände bezeichnete Daniel S. als Hoheitsgebiet der »Republik Freies Deutschland«, die am 1. Mai dieses Jahres von einer Gruppe aus Leipzig ausgerufen worden war, die Staatsgründung wurde bereits bei der Uno angezeigt. Im Gespräch mit der Jungle Word bezeichnet Seyb diese Ereignisse als beängstigend, vor allem im Zusammenhang mit den Drohbriefen der »Reichsbewegung«.

Obwohl die »Reichsbürger« mit ihren zahlreichen »Regierungen«, »Exilregierungen« oder »kommissarischen Reichsregierungen« als zersplittert gelten, sind die »reichsaffinen« Rechten zum Teil bestens vernetzt. Meinolf Schönborn, Gründungsmitglied der 1992 verbotenen Nationalis­tischen Front, wird von Verfassungsschützern als »bekennender Reichsbürger« bezeichnet. Das Internetnetportal »Blick nach rechts« beschreibt ihn als »umtriebigen Drahtzieher«. Anfang Juli fand bei Schönborn, der einen rechtslastigen Versandhandel betreibt, eine Razzia wegen des Verdachts der Bildung einer bewaffneten Gruppe statt. Auch unter den über 100 Neonazis, nach denen polizeilich gefahndet wird, befand sich bis zuletzt ein »Reichsbürger«: Gerhard Ittner, der sich selbst als »Sachverwalter des deutschen Reichs« bezeichnet, war 2005 vom Landgericht Nürnberg-Fürth unter anderem wegen Volks­verhetzung und Beschimpfung von Religionsgemeinschaften zu einer Haftstrafe verurteilt worden, der er sich durch Flucht entzogen hatte. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtete, wurde er im April dieses Jahres in Portugal festgenommen.
Angesichts des Versagens der Behörden bei den Morden des NSU und der durch die Thesen von Thilo Sarrazin angheizten rassistischen Debatte um Migration und Integration können Drohbriefe wie die der »Reichsbewegung« zusätzlich für Verunsicherung sorgen. Die »Reichsbewegung« habe den Zeitpunkt für ihr rassistisches Pamphlet »günstig gewählt«, meint Seyb, weil der »antimuslimische Rassismus anschlussfähig ist«. Das Schreiben imitiere »Amtsdeutsch, wie das der Ausländerbehörde«.
Um diese Anschlussfähigkeit des Rassismus in der Gesellschaft geht es auch den Aktivisten des Bündnisses »Festival gegen Rassismus«, das übernächstes Wochenende in Berlin stattfinden soll. Eine Sprecherin des Bündnisses sagt der Jungle World, man wolle mit dem Festival Raum für die Vernetzung gegen Rassismus schaffen. Der Migrationsrat organisiert mit »Reach Out« und anderen Vereinen und Projekten am 18. August auf diesem Festival einen Stand, der Empfänger der Drohbriefe zusammenbringen soll.