Smart Cities

Die Stadt als App

In der Stadt der Zukunft soll alles vernetzt und messbar sein, der urbane Raum soll zu einer »Smart City« werden. Werden da noch Menschen benötigt?

Debatten um die Definition von Begriffen sind auch immer ein Ringen um die Deutungshoheit. So können innerhalb kurzer Zeit neue Wortkombinationen entstehen, ein Eigenleben entwickeln und neue Sinnzusammenhänge entstehen lassen. Der von Unternehmen und internationalen Einrichtungen geprägte Begriff der »Smart City« ist seit rund zehn Jahren ein solches Kunstwort.
Eine Stadt gilt als »smart«, wenn sie möglichst viele Eigenschaften aufweist, die dem modernen Zeitgeist entsprechen. Hier finden sich zunächst klassische Begriffe wie Nachhaltigkeit und Mobilität. Hinzu kommen wirtschaftliche, soziale und politische Aspekte sowie regionale Besonderheiten und die allgemeine Verortung in den Theo­rien der Stadt- und Bevölkerungsentwicklung.
Der Begriff »smart« gilt in einigen Studien als Kategorie dafür, wie ausgereift die IT-Infrastruktur einer Stadt ist, andere beziehen sich auf das »Humankapital« oder Sozial- bzw. Netzwerkkapital als wesentliche Elemente des urbanen Wachstums.

Der Begriff ist also so vage, dass jeder, der an der Weiterentwicklung der Stadt beteiligt ist, eigene Erklärungsmuster entwerfen kann. Gemein ist allen Ansätzen jedoch die Idee der sich in der Zukunft entwickelnden Stadt. Anders als bei früheren Vorstellungen im Bereich der Stadtentwicklung handelt es sich dabei um die Vision eines hypermodernen urbanen Raums, in dem nicht die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen im Zentrum steht, sondern vielmehr die Optimierung der Infrastruktur und die damit einhergehenden Folgen. In den Vordergrund rücken so die Partikularinteressen der Beteiligten wie IT-Unternehmen, Versorger oder Berater, die ihr Product Placement betreiben.
Man könnte so weit gehen zu sagen, dass die Smart City, wie sie von vielen Seiten befürwortet wird, die Vision einer Megastruktur ist, die eigentlich keine Menschen mehr benötigt.
Für große IT-Unternehmen bedeutet »Smart City« eine in Echtzeit vermessene Stadt, in der jede Information aus dem Stadtraum zu jeder Zeit verfügbar ist, mit dem Ziel, auch die Verhaltensweisen der Menschen vorauszusagen. Damit entstehen große Mengen integrierter Datenbestände, die immer weiter anwachsen. Um diese zu verwalten, sind die neusten Technologien nötig. Das ist für große IT-Unternehmen ein lukrativer Markt.
Die Antwort der Zivilgesellschaft auf die Entstehung dieser Datenmassen ist die Forderung, dass möglichst viele dieser Daten als »Open Data« für die Allgemeinheit zugänglich gemacht werden. Eine weitere Forderung von privaten Bürgerinitiativen ist eine offene, flächendeckende W-Lan-Infrastruktur in den Städten. Ähnlich wie Open Data ist freies W-Lan aber auch für private Unternehmen und öffentliche Behörden ein zentrales Element der Smart City. Hier gilt es, aufmerksam zu verfolgen, inwieweit eigentlich gegensätzliche Interessen konvergieren. Werden also die zivilgesellschaftlichen Ansätze für eine Stadterneuerung missbraucht oder zumindest zweckentfremdet und dadurch entwertet? Hier kann auf ein genauer Blick über die isolierte Betrachtung von einzelnen Technologien oder Forderungen hinaus helfen.
Nahezu jeder technologische und internetbasierte Dienst und jede Verbesserung könnte als Beitrag zur Entstehung einer »smarten Stadt« gewertet werden. Dazu gehören Überwachungstechnologien, die Telemetrie – das sogenannte Smart Metering, etwa durch »intelligente Stromzähler« – sowie auch Solaranlagen in den Häusern oder Niedrigenergiehäuser.
Das Verschwimmen der Begriffe erschwert es, Interessenunterschiede klar zu definieren. Ein gemeinschaftlich geführtes Urban-Gardening-Projekt findet sich unversehens auf der Seite der modernen Stadterneuerung wieder. Inwiefern tragen solche Projekte nun zur Modernisierung der Stadt im Sinne einer Smart City bei?
Die smarte Stadt ist die Vision eines urbanen Raums, der komplett von Planern und Technikern entworfen ist. Die Stadt verliert den Charakter des für viele Menschen über die Jahre entstandenen und mit eigenen räumlichen und zeitlichen Besonderheiten gewachsenen Lebensortes und wird zu einer als Organismus konzipierten »Stadt 2.0«. Nicht mehr die räumliche Erweiterung und ständige Veränderung prägen das Bild der Stadt. Softwareprogramme wie die der 3D-Softwarefirma Autodesk bilden die patterns, die immer wieder anwendbaren Muster, die in der Smart City aber nicht mehr für einzelne Häuser oder Gruppen von Gebäuden genutzt, sondern auf die gesamte Stadt angewandt werden.

Solche Planungen sind allerdings schon in der Vergangenheit gescheitert, wie der Architekt Peter Winston Ferretto von der Seoul National University in Südkorea feststellt: »Die Moderne ist fast immer daran gescheitert, eine besser Zukunft zu bauen. Ob Brasilia oder Chandigarh, auf dem Reißbrett entworfene Städte werden zu trost­losen Betonmausoleen.« Ferretto vermisst in den ganzheitlichen Städten das widersprüchliche Moment. »Was ich an Seoul liebe, ist das Paradoxe«, wurde er neulich in einem Artikel in The Australian zitiert. An manchen Orten sei man von Kultur und Geschichte umgeben, aber sobald man um die Ecke biegt, lande man in eine Filmkulisse, die an den Film »Blade Runner« erinnere. »Ich glaube, ›neue‹ Städte brauchen diesen Widerspruch«, lautet sein Fazit.
Ferretto bezieht sich dabei nicht auf ein abstraktes Modell, sondern auf die Stadt Songdo, die wenige Kilometer von Seoul entfernt entstehen soll. Wenn sie 2017 tatsächlich fertiggestellt werden sollte, wird dort alles gemessen werden. Skeptiker behaupten allerdings, dass sich das Projekt aufgrund der weltweiten Wirtschaftskrise verzögern wird.

Der Plan steht aber. Durch flächendeckende Messung und Monitoring sollen Vorhersagen für die Zukunft möglich werden: Der Energie- und Wasserverbrauch, die Bewegungen der Menschen, die Verkehrsströme, die Temperatur, der Beleuchtungsgrad sowie das Abfallaufkommen sollen automatisch gemessen und durch das 35 Milliarden Dollar teure Betriebssystem der Stadt verarbeitet und gesteuert werden. Die Technologie verspricht also quasi mitzudenken und steuert so die Stadt in ihre kurzfristige Zukunft.
Songdo, auch genannt New Songdo City, entsteht nordwestlich von Seoul, in der Stadt sollen 65 000 Einwohner leben und 300 000 Menschen arbeiten. Um dem Anspruch der Nachhaltigkeit gerecht zu werden, soll beispielsweise aus Müll Energie gewonnen und der Stromverbrauch auf 30 Prozent einer konventionellen Stadt reduziert werden.
Doch das Projekt der vollständig vernetzten, messbaren Planstadt könnte den Weg zur totalen Kontrolle der dort lebenden Menschen ebnen und die Zerstörung sozialer und nachbarschaftlicher Strukturen bedeuten. Deshalb sollen Entwicklungen beobachtet und unterstützt werden, die in eine andere Richtung laufen, etwa die »Open City«. Dabei geht es um die Gestaltung des öffentlichen Raums und des privaten Raums in diesem öffentlichen Bereich. Die Prämisse des Open-City-Konzepts ist, dass Offenheit nur dann entstehen kann, wenn die Bürgerinnen und Bürger an der Entwicklung der Stadt beteiligt werden und wenn diese Beteiligung in tatsächliches Handeln mündet. Open Cities könnten also als transparente Städte bezeichnet werden, in denen die Bürgerinnen und Bürger frei entscheiden über Dienstleistungen, die sie nutzen, und über das Ausmaß an Sicherheitstechnik, das sie benötigen, anstatt sich all das durch den technologischen Fortschritt diktieren zu lassen. Natürlich kommt bei einem offenen Prozess nicht zwingend die beste Lösung heraus, aber zumindest eine, die den Betroffenen gerecht werden kann.
In der Stadt der Zukunft ist nicht mehr nur die Monumentalität wichtig, immer größere Bedeutung erhält der Platz auf dem Ranking der urbanen Smartness. Hier verraten schon die Titel von Veranstaltungen, internationalen Projekten und EU-Förderprogrammen etwas über die Geisteshaltung der Initiatoren. »World Smart Capital« war zum Beispiel der Titel eines Kongresses über urbane Technologien, der dieses Jahr in Amsterdam stattgefunden hat. In bester Werbersprache wird dabei für Standorte geworben, die den Anspruch haben, »Leitmetropolen« zu sein. Ob der Trend zur Smart City anhalten oder ob diese Kategorisierung doch eher in Standortmarketing zurückfallen wird, ist noch nicht abzusehen. Aber nur eine Öffentlichkeit, die sich kritisch mit diesen Tendenzen auseinandersetzt, kann eine po­sitive Wendung herbeiführen. Die Stadt als vollintegriertes Betriebssystem ist eine beunruhigende Vorstellung. Als App oder Patchwork aus vielen fortschrittlichen und durch die Zivilgesellschaft organisierten Initiativen wirkt sie doch viel weniger bedrohlich.