Eine neue Studie über Antisemitismus in Österreich

Melange des Hasses

Eine neue Studie beleuchtet den Zusammenhang von Judenhass und Israelfeindschaft in Österreich.

Maximilian Gottschlich hat ein sehr unösterreichisches Buch über Österreich geschrieben. Zwischen Wien und Innsbruck ist es üblich, sich in Zurückhaltung und Beschwichtigung zu üben, wenn es um gesellschaftliche Miss- und Zustände geht. Der als Professor am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Wiener Universität tätige Gottschlich findet hingegen klare Worte zur Beschreibung der österreichischen Nachkriegsrealität. Der Holocaust sei nur für die überlebenden Juden ein lähmender Schock gewesen, die »Gesellschaft der Täter, Mittäter, Mitläufer und Zuseher ging zur Tagesordnung über, und in dieser hatten die Juden keinen Platz«. Fast mehr noch als über die Antisemiten empört er sich über die in Österreich besonders weit verbreitete Gleichgültigkeit großer Teile der Öffentlichkeit: »Die antisemitische Leidenschaft der einen hätte nicht die Macht, ihr destruktives Potential freizusetzen, gäbe es nicht die Indifferenz der anderen.«
Gottschlichs Schrift hebt sich durch leidenschaftliche Aufrufe zur praktischen Kritik angenehm von jenen distanzierten und gelangweilten Wälzern ab, die den Eindruck vermitteln, die Autoren könnten sich ebenso gut mit isländischer Steuerpolitik befassen: »In Wahrheit gibt es letztlich nur ein einziges tragendes Motiv, sich mit Antisemitismus zu beschäftigen: ihm Widerstand entgegenzusetzen.« Gottschlich fände es unerträglich, »unter dem fadenscheinigen Titel sogenannter wissenschaftlicher Objektivität bloß unbeteiligter und indifferenter Chronist des antisemitischen Wahns zu sein.« Die akademischen Verwalter der Antisemitismusbeforschung kritisiert er scharf: »Antisemitismus ist kein Thema wie jedes andere. Wer es dazu macht, wird seinem ihm innewohnenden mo­ralischen Imperativ nicht gerecht.«
Weil es ihm um die Bekämpfung des gegenwärtigen Antisemitismus geht, versteht er seine historischen Ausführungen als »Anamnese«, die letztlich der »Deutung der aktuellen Symptomatik« der »sozialen Krankheit« Antisemitismus dienen soll. Er beschreibt die Herausbildung der postnazistischen österreichischen Identität und arbeitet heraus, inwiefern die »Konsensdemokratie« der Zweiten Republik auf einer »Ideologie kollektiver Unschuld« und einer »Politik des Vergessens« beruhte. Ohne den Schuldabwehr-Antisemitismus in Deutschland zu beschönigen, benennt er den entscheidenden Unterschied: »In Österreich war er tragender Teil des Gründungsmythos der Zweiten Republik, eine zur Staatsdoktrin erhobene üble Melange aus Opferlüge und Judeophobie.«
Besonderes Augenmerk legt der Autor, der in den neunziger Jahren die Europäische Journalismus Akademie mitgegründet hat, auf das Versagen der medialen Nachkriegsöffentlichkeit bei der Aufarbeitung der NS-Verbrechen. Keineswegs nur rechte Publikationen wurden in der unmittelbaren Nachkriegszeit von ehemaligen Nazis dominiert. In der Arbeiterzeitung, dem einflussreichen Zentralorgan der österreichischen Sozialdemokratie, war Ende 1945 »nahezu die Hälfte der Redakteure, einschließlich des Redaktionsleiters, zuvor als NS-Journalisten tätig gewesen«. Selbst eine vergleichsweise ernsthaft um die Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen bemühte Publikation wie die von SPÖ, KPÖ und Konservativen gemeinsam gegründete Tageszeitung Neues Österreich, bei der der Kommunist Ernst Fischer als erster Chefredakteur fungierte, leugnete die durchgesetzte Volksgemeinschaft im Nationalsozialismus und behauptete, Wien sei »in Wahrheit während der ganzen Nazizeit ein brodelnder Kessel der Auflehnung und Empörung gewesen«. Auch führende sozialdemokratische Politiker waren geübt in der Schuldabwehr, beispielsweise der Wiener Nachkriegsbürgermeister und spätere Bundespräsident Theodor Körner, der Antisemitismusvorwürfe gegenüber der österreichischen Bevölkerung regelmäßig als »Verleumdung«, »Rufmord« und »ärgste Brunnenvergiftung« abkanzelte.
Gottschlich zeigt exemplarisch an der Berichterstattung über die israelische Staatsgründung und die Überführung der sterblichen Überreste Theodor Herzls aus Wien nach Israel im Jahr 1949, dass die Gründung eines eigenen jüdischen Staates an keiner Stelle »in den politischen und historischen Kontext des Genozids an den europäischen Juden gestellt« wurde. Dem israelischen Unabhängigkeitskrieg, in dem Tausende Überlebende der nationalsozialistischen Vernichtungslager gegen die angreifenden arabischen, nicht selten von Nazis beratenen Armeen kämpften, begegnete man in Österreich ganz ähnlich wie in Deutschland mit einer »plakativen Kriegsberichterstattung«, die zwanghaft von jedem Zusammenhang der Ereignisse im Nahen Osten mit dem erst drei Jahre zuvor in Europa beendeten Massenmord abstrahierte.
Gottschlich analysiert die Auseinandersetzungen während der Regierungszeit Bruno Kreiskys und die Debatte um die Präsidentschaftskandidatur des ehemaligen Wehrmachtsoffiziers Kurt Waldheim als »versäumte Gelegenheiten« einer gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Der Sozialdemokrat Kreisky berief Anfang der siebziger Jahre zahlreiche ehemalige NSDAP-Mitglieder in sein Kabinett. Ausgehend von der Tatsache, dass »ein Drittel der Minister unter einem jüdischen Kanzler ehemalige Nazis waren«, skizziert Gottschlich die scharfen Auseinandersetzungen, die Kreisky über fast zwei Jahrzehnte mit Simon Wiesenthal geführt hat und die darin gipfelten, dass der SPÖ-Vorsitzende und Freund Arafats dem Nazi-Jäger Wiesenthal unterstellte, im Zweiten Weltkrieg als Agent der Gestapo gearbeitet zu haben.
Kurt Waldheim wurde 1972 mit Unterstützung von Kreisky Generalsekretär der UNO und betrieb in seiner Amtszeit bis 1981 eine dezidiert proarabische Politik – in einer Zeit, in der arabische Staatschefs nahezu einhellig zur Vernichtung Israels aufriefen. In seine Amtszeit fiel die UN-Resolution, in der der Zionismus als »Rassismus« geächtet wurde. Als österreichischer Bundespräsident besuchte der ehemalige Wehrmachtsoffizier, der im Zweiten Weltkrieg »nur seine Pflicht getan« hatte, zu der unter anderem die Partisanenbekämpfung in Südost­europa gehörte, 1991 als erstes westliches Staatsoberhaupt nach der Islamischen Revolution den Iran und legte am Sarkophag von Khomeini einen Kranz nieder.
Während heute gerne die geradezu kathartische Wirkung der Waldheim-Affäre in den achtziger Jahren betont wird, die der österreichischen Gesellschaft hinsichtlich der Aufarbeitung der Vergangenheit eine Art nachholendes 1968 beschert habe, betont Gottschlich: »Mindestens so relevant für das geistige Klima dieses Landes ist die andere, negative Seite dieser Affäre: 1986 war auch ein Schlüsseljahr für einen antisemitischen Tabubruch, der alle bisherigen antisemitischen Ereignisse in der Zweiten Republik übertraf.« Gottschlich arbeitet die Funktion der Kronenzeitung als Speerspitze des Antisemitismus in der Waldheim-Affäre heraus und betont die in Österreich sehr viel stärker als in Deutschland nachwirkende Tradition der christlichen Judenfeindschaft, die unter anderem in der Rede von der »Kreuzigung« Waldheims oder dem Vorwurf des »Brunnenvergiftens« gegen die Kritiker des ÖVP-Kandidaten zum Ausdruck kam.
Zum Umgang mit dem Nationalsozialismus in Österreich und zu den vergangenheitspolitischen Skandalen und Affären der Zweiten Republik gibt es mittlerweile umfangreiche und detaillierte Literatur. Herausragend ist Gottschlichs Buch aber aufgrund seiner Beschäftigung mit den antisemitischen Ressentiments gegen Israel. Oft sind es gerade jene Personen, die sich in Österreich um die Enttabuisierung der Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit verdient gemacht haben, die es unterlassen, die Israelfeindschaft zu kritisieren, oder das Ressentiment womöglich sogar selber bedienen. In aller Deutlichkeit konstatiert Gottschlich, dass angesichts der »Erscheinungs- und Wirkungsweise des modernen, sich globalisierenden Antisemitismus« die »Frage möglicher Unterscheidungsmerkmale von Antizionismus und Antisemitismus in der Tat oft als akademische Haarspal­terei erscheinen«. Dennoch lässt er sich viel zu stark auf das von modernisierten Antizionisten betriebene Spiel ein, eine »legitime Israelkritik« von der antisemitischen zu unterscheiden. Dabei bezieht er sich ausgerechnet auf Judith Butler, bei der diese Differenzierungsbemühungen letztlich der Legitimation ihrer Parteinahme für die Hizbollah und andere Jihadisten dienen. Doch solche Bezugnahmen werden sofort wieder durch hellsichtige Beobachtungen wettgemacht, etwa wenn Gottschlich betont, dass der Antisemit heute »in die Rolle des Antirassisten« schlüpft – unter anderem darin besteht ja die pseudokritische Masche der Anhänger von Butler.
Gottschlich neigt zu Ungenauigkeiten und Pauschalisierungen, wenn es um die Linke geht, etwa, wenn er meint, der Antizionismus sei in der Sowjetunion erst nach dem Sechs-Tage-Krieg zur Staatsdoktrin geworden, oder wenn er von »der europäischen Linken« schreibt, die »die Juden als Hauptverantwortliche für die sozial ungerechte, kapitalistische Ordnung« sehe. Doch er bietet eine differenzierte Medienanalyse der österreichischen Nahostberichterstattung. Ausgehend von einer exemplarischen Diskursanalyse der Berichterstattung über die israelische Militäraktion im Gazastreifen im Jahr 2008/ 2009 kommt er zu dem Ergebnis, dass keineswegs nur Boulevardblätter wie die Kronenzeitung, sondern beispielsweise auch der linksliberale Standard dem »kommunikationsstrategischen Kalkül der Hamas« gefolgt sind, so dass antizionistisch und antisemitisch »überbordende Israel-Kritik« heute zum normalen »öffentlichen Diskurs in Österreich« gehört.
Was Gottschlich exemplarisch am Beispiel des Gaza-Krieges herausarbeitet, wird mittlerweile von der voriges Jahr in Wien gegründeten Medienbeobachtungsstelle Naher Osten bestätigt. Deren tägliche Kommentierung und Analyse der österreichischen Berichterstattung über Israel liest sich wie eine aktuelle Bestätigung der Befunde von Gottschlich, der zahlreiche Beispiele für jene »üble, ungenießbare Melange unterschiedlicher antisemitischer und anti-israelischer Stereotype« anführt, die seiner Einschätzung nach eindeutig in die Kategorie der antisemitischen Hetze gegen Israel fallen. Er beschränkt sich dabei keineswegs auf die üblichen Verdächtigen wie Anas Schakfeh, den ehemaligen Vorsitzenden der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, für den die Beseitigung Israels eine »Utopie« darstellt, sondern kritisiert auch liberale Meinungsmacher wie den merkwürdigerweise in Österreich stets als »Edelfeder« titulierten Kolumnisten des Standard, Hans Rauscher, der seine Beschimpfung Israels als »Aggressor«, »Bananenrepublik« und »rücksichtslose Besatzungsmacht« unter dem perfiden Titel »Schwere Zeiten für Freunde Israels« veröffentlichte. Angesichts derartiger »Kritiker« des Antisemitismus konstatiert Gottschlich zu Recht: »So gesehen ist es gar nicht mehr die Frage, wer der Sache des jüdischen Volkes mehr Schaden zufügt – die deklarierten Feinde Israels oder manche seiner vermeintlichen Freunde.«
Gottschlich bescheinigt der österreichischen Gesellschaft »eine ausgeprägte Immunschwäche« und »verminderte Widerstandskraft gegen die allgegenwärtige antisemitische Versuchung«. Die von ihm zu Rate gezogenen beziehungsweise im Rahmen eines Projekts am Wiener Publizistikinstitut selbst erhobenen Daten untermauern diesen Befund. Eine Studie aus dem Jahr 2010 zeigt, dass der österreichische Opfermythos, der für die postnazistische Gesellschaft konstitutiv war, zwar angekratzt, aber keineswegs verschwunden ist: Weiterhin halten 37 Prozent der Österreicher ihr Land für das »erste Opfer Hitlers«. Über die Hälfte lehnte 2010 jegliche staatliche Unterstützung für jüdische Gemeinden rundweg ab. 44 Prozent der Österreicher glaubten im Jahr 2011, »die Juden beherrschen die Geschäftswelt«, ein statistischer Befund, der in dem Land allerdings als großer Fortschritt gelten kann: 1986, zur Zeit der Waldheim-Kandidatur, waren es noch 64 Prozent. Während zu Zeiten der zweiten Intifada 59 Prozent der EU-Bürger Israel für die größte Gefahr für den Weltfrieden hielten, waren es in Österreich 69 Prozent. 42 Prozent der Österreicher meinten 2011, die Israelis würden sich gegenüber den Palästinensern »genauso unmenschlich wie damals die Nazis gegenüber den Juden« verhalten. 44 Prozent der Europäer finden, »dass die Juden immer noch zu viel über den Holocaust reden«. In Österreich meinen das 55 Prozent. 43 Prozent der Österreicher machen die Juden für die aktuelle Finanzkrise verantwortlich. In ihren wahnhaften Projektionen müssen sie sich derzeit nur den Ungarn geschlagen geben, die mit 46 Prozent auf Platz eins rangieren.
Gegen die aktuellen Trends in der akademischen Mainstreamforschung zum Antisemitismus, die sich konsequent weigert, auf virulente Gefahren adäquat zu reagieren, hält Gottschlich fest: »Es ist ein großer Irrtum zu meinen, dass es heute lediglich darum ginge, antisemitische Restbestände aus der Zeit der Naziherrschaft in Europa zu beseitigen.« Während in seinem Buch die gegen Israel gerichteten Vernichtungsdrohungen des iranischen Regimes und die Holocaust-Leugnung von Mahmoud Ahmadinejad und Ali Khamenei nur am Rande erwähnt werden, hat er sie in mehreren Medienbeiträgen, die das Erscheinen des Bandes in Österreich begleitet haben, in aller Deutlichkeit thematisiert. Im Magazin News antwortete Gottschlich auf die Frage, ob die österreichische Politik die »Versäumnisse« im Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit aufholen könne, mit einer Klarheit, die in dieser Republik nur selten anzutreffen ist: »Versäumnisse kann man nie aufholen. Man kann nur verhindern, dass sie sich wiederholen. Und das heißt heute ganz klar, die drohende Gefahr eines zweiten Holocaust im Nahen Osten zu sehen, wenn der Iran nicht an der Produktion der Atombombe, die gegen Israel gerichtet ist, gehindert wird. Wozu sonst sollte das Holocaust-Gedenken dienen, wenn nicht dazu, zu verhindern, dass sich die Geschichte unter anderen Vorzeichen wiederholt?«
Gottschlich stützt seine Analysen auf Jean-Paul Sartres Bestimmung des Antisemitismus als »Leidenschaft« und auf zentrale Überlegungen Theodor W. Adornos zur Schuldabwehr, was in Österreich alles andere als selbstverständlich ist, wo jegliche Beschäftigung mit Antisemitismus misstrauisch beäugt und das Thema, wie Gottschlich in seinem Vorwort treffend schreibt, als »das österreichische Harmoniebedürfnis störend« erachtet wird. Er begreift den Antisemitismus als »Symptom einer kranken Gesellschaft«. Dementsprechend sieht er die Notwendigkeit, nicht nur etwas gegen den Antisemitismus selbst, sondern auch etwas gegen das »Leiden der Gesellschaft«, dessen Ausdruck er sei, zu unternehmen.
Über die Beschaffenheit dieser Gesellschaft erfährt man bei ihm allerdings wenig. Gegen den Hass des Antisemitismus erscheint ihm als einzig probates Mittel eine »neue Kultur des Mitgefühls«. Seine theologischen Bezüge werden an solchen Stellen ebenso deutlich wie bei seiner Rede vom »Bösen im Menschen selbst«. Woran es der Studie über den österreichischen Antisemitismus mangelt, sind Reflexionen darüber, inwiefern bestehende gesellschaftliche Verhältnisse nicht nur die Etablierung einer »Kultur des Mitgefühls«, sondern auch die Herausbildung von mündigen, zu Freiheit, Erfahrung und Selbstreflexion fähigen Individuen systematisch verhindern, die aber notwendig wären, um die Widerstandskraft einer Gesellschaft gegen die Versuchung zu stärken, sowohl individuelle als auch gesellschaftliche Krisenerscheinungen und Ambivalenzen durch den projek­tiven Wahn des Antisemitismus zu exorzieren, anstatt sich ihnen zu stellen.
Gottschlich bestimmt den Antisemitismus mit Sartre als »Obsession«, die keinem rationalen Kalkül folgt und daher auch gegen »Therapieversuche, die auf Vernunft setzen«, immun ist, womit er ganz im Sinne von Adorno und Max Horkheimer die »Grenzen der Aufklärung« aufzeigt. Was allerdings fehlt, ist eine Bezugnahme auf Adornos und Horkheimers Begriff der »antisemitischen Gesellschaft«, der in konzentrierter Form festhält, dass eine sinnvolle Kritik des Antisemitismus ohne eine grundlegende Kritik der kapitalverwertenden und auf Herrschaft gründenden Gesellschaft nicht zu haben ist. Gottschlich hält jegliche Hoffnung darauf, den Antisemitismus »zu besiegen«, für »reine Illusion«, was angesichts der geschichtlichen Entwicklung nur allzu verständlich ist. Doch verschwindet bei ihm auch die Denkmöglichkeit, ihn durch die Abschaffung seiner gesellschaftlichen Gründe aus der Welt zu schaffen, was bei Adorno und Horkheimer trotz des Bewusstseins über die gegenwärtige Unmöglichkeit solch einer praktischen Kritik stets der Ausgangspunkt jedes Gedankens bleibt.
Jede noch so treffende Rekonstruktion des Bewusstseins der Antisemiten und jede noch so detaillierte Nacherzählung der Geschichte des Antisemitismus steht letztlich immer wieder staunend vor dem projektiven Wahn des Judenhasses, dem es gilt, praktisch entgegenzutreten. Dennoch ist die ideologiekritische Rekonstruktion des antisemitischen Bewusstseins im Sinne der Kritischen Theorie – und das heißt: im Rahmen einer grundlegenden Gesellschaftskritik – zwingend erforderlich. Allein schon, um sich bei der Bekämpfung des Antisemitismus keinen Illusionen hinzugeben.

Maximilian Gottschlich: Die große Abneigung. Wie antisemitisch ist Österreich? Kritische Befunde zu einer sozialen Krankheit. Czernin-Verlag, Wien 2012, 280 Seiten, 19,80 Euro