Opposition gegen die Sparpolitik in Rumänien

An fiesen Tricks wird nicht gespart

Das rumänische Verfassungsgericht soll Ende August über die Rechtmäßigkeit der Amtsenthebung des Präsidenten entscheiden. Er steht für die Beibehaltung ­einer strengen Sparpolitik.

Auf dem Universitätsplatz in Bukarest schlendern dieser Tage weniger Passanten als sonst. Die Straßenhunde suchen den Schatten unter geparkten Autos, Jugendliche baden im Brunnen und halten Ausschau nach der Ordnungspolizei. In der Dauerhitze lässt selbst der ständig tobende Verkehr nach. Auf einer der benachbarten Terrassen sitzt Cătălin Manole. Wie Tausende andere demons­trierte der 21jährige Student der Soziologie im Januar tagelang gegen die Sparmaßnahmen der rumänischen Regierung. Bei Außentemperaturen von minus 20 Grad wurde damals der Platz, ein symbolischer Ort der Freiheitskämpfe von 1989 und 1990, wieder besetzt. »Wir haben hier gegen die krasse soziale Ungleichheit protestiert, es war eine einmalige Mobilisierung«, sagt Manole.
Heute trinkt er ein Bier und wartet – auf die Verfassungsrichter, die Ende August entscheiden, ob der rechtsliberale Staatspräsident Traian Băsescu in sein Amt zurückkehren darf oder endgültig gehen muss. Anfang Juli hatte die linke Regierungsmehrheit unter Ministerpräsident Victor Ponta von der sozialdemokratischen PSD ein Amtsenthebungsverfahren gegen Băsescu eingeleitet, ihm werden Verstöße gegen die Verfassung, aber auch die Durchsetzung drastischer Sparmaßnahmen vorgeworfen. Eigentlich haben viele schon entschieden: In einem Referendum am 29. Juli haben sich 87 Prozent der Wahlbeteiligten für eine Entlassung des Politikers ausgesprochen. Doch nur 46 Prozent statt der erforderlichen 50 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab, weil Băsescu seine Anhängerinnen und Anhänger zum Boykott aufgerufen hatte. Jetzt muss das Verfassungsgericht entscheiden, ob das Quorum tatsächlich knapp verfehlt wurde oder ob die Wählerlisten fehlerhaft waren. Wegen bürokratischer Inkompetenz und Ressourcenknappheit aufgrund der Sparmaßnahmen könnte es nämlich sein, dass das Quorum doch erreicht wurde, weil es in Wahrheit weniger Wähler gibt als aufgelistet. Das hoffen zumindest die Sozialdemokraten und der Student Manole.

Wie in den neunziger Jahren ist die Gesellschaft politisch tief gespalten. Für die meisten Rumäninnen und Rumänen, die sich am Referendum beteiligten, war das Votum ein wichtiges Signal für mehr soziale Gerechtigkeit und gegen das wirtschaftsliberale Programm der präsidialen Oppositionspartei PDL. Doch viele Anhänger Băsescus sind der Überzeugung, dass Rentner, Kranke, Sozialhilfeempfänger, Roma und andere Benachteiligte »uns auf der Tasche liegen«. Diese sozialdarwinistische Einstellung wird im heutigen Rumänien in einer Offenheit vertreten, die in Westeuropa schwer vorstellbar wäre. »Nur 20 Jahre nach der Wende möchten viele in der neuen Mittelschicht komplett vergessen, wo sie herkommen. Sie definieren sich selbst als die Guten, als die einzig dynamische Klasse, die die Modernisierung des Landes vorantreibt. Viele glauben ernsthaft, dass sie allein zivilisiert und europäisch sind, während der arme Rest noch in einer Art minderwertiger Barbarei und Ignoranz lebt«, kommentiert der linke Publizist und Blogger Costi Rogozanu.
Unter dem Vorwand, es drohe eine Staatspleite à la Griechenland, haben der Präsident und seine Anhänger in den vergangenen Jahren immer wieder diese Rhetorik genutzt, um sich politisch zu profilieren und die drastische Kürzung von Sozialleistungen zu rechtfertigen. Immer wieder hat Băsescu seine Gegner als »kommunistisch« und »uneuropäisch« bezeichnet, obwohl deren Programm eher gemäßigt ist. Personelle Kontinuitäten gibt es jedoch nicht nur zwischen der PSD und der früheren Kommunistischen Partei PCR, auch in der rechtsliberalen PDL finden sich ehemalige Funktionäre. Băsescu war vor der Wende Mitglied der PCR und vermutlich sogar Kollaborateur oder Offizier der Geheimpolizei Securitate.
Trotzdem gelang es Băsescu, sich im Wahlkampf 2004 als Kämpfer gegen das Erbe des Kommunismus und gegen die Korruption zu inszenieren. Während seiner ersten Amtszeit ließ er eine Historikerkommission das System der Vorwendezeit verurteilen und konnte so an eine alte antikommunistische Tradition anknüpfen, um symbolisches Kapital und die Unterstützung einflussreicher Dissidenten zu gewinnen.

Băsescu genießt inzwischen eine gewisse Unterstützung der EU-Kommission und westeuropäischer Regierungen. Diese, vor allem die deutsche, lobten ihn stets für die Bekämpfung der Korruption und kritisierten dessen linke Gegner für die Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipien. Vor dem Referendum hatte die linksliberale Parlamentsmehrheit in der Tat versucht, das Amtsenthebungsverfahren zu vereinfachen, um ihren politischen Gegner möglichst schnell loszuwerden. Doch auf Druck der EU hat Ministerpräsident Ponta diese Strategie aufgegeben. »Ich habe meine Lektionen gelernt«, gab er in einem Gespräch mit ausländischen Journalisten zu. Mitte vergangener Woche wendete sich der Präsident des Verfassungsgerichts, Augustin Zegrean, jedoch an die EU-Kommission, den Europarat und den UN-Kommissar für Menschenrechte und behauptete, Pontas Regierung habe Richterinnen und Richter bedroht, um deren Urteil zu beeinflussen.
Andererseits kann kaum behauptet werden, dass verfassungsrechtlich fragwürdige Amtshandlungen ein Monopol des heutigen Regierungslagers seien. In den ersten zwei Jahren nach dem Ausbruch der Wirtschaftskrise hat die damalige PDL-Regierung unter Ministerpräsident Emil Boc ihre Sparprogramme oft per Eildekret oder unter Umgehung der regulären parlamentarischen Prozeduren durchgesetzt. Berüchtigt ist ein Vorfall aus dem Jahr 2010: Als Băsescu alle Renten um 15 Prozent kürzen wollte, stellte sich heraus, dass das Parlament das zur Beschlussfähigkeit erforderliche Quorumnicht erfüllte. Doch die frühere Vorsitzende des rumänischen Abgeordnetenhauses, Roberta Anastase, war erfinderisch. Vor laufenden Fernsehkameras, die die Sitzung live übertrugen, und unter heftigen Protesten der Linksliberalen zählte sie die Stimmen fehlerhaft und ließ die falschen Zahlen ins Protokoll eintragen. Die »prozedurgemäß« gekürzten Renten rettete später das Verfassungsgericht.

Über die Sorgen um den rumänischen Rechtsstaat hinaus betrachten viele westeuropäische Beobachter Băsescu heute noch als Garanten des radikalen Sparkurses. Grundsätzlich ist dieser Eindruck nicht falsch, doch er lässt – genau wie bei den letzten Wahlen in Griechenland – viele Fragen der Legitimität offen. Nach dem Referendum wird die wirtschaftsliberale Politik nicht mehr so einfach durchzusetzen sein. Die Linksliberalen werden die Sparprogramme abmildern, doch die Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds und mit der EU zwingen auch die Regierung Pontas, innerhalb des derzeitigen Berliner Konsenses zu bleiben, wenn auch nicht aus Überzeugung.
Im November finden in Rumänien Parlamentswahlen statt. Aus diesen Wahlen werden Pontas Sozialdemokraten und ihre Verbündeten Umfragen zufolge als klare Gewinner hervorgehen. Doch der eigentliche Grund für den Amtsenthebungsversuch war die Befürchtung, dass sich eine Situation wie 2005 und 2009 wiederholen könnte. Damals hatte Băsescu die jeweils vorhandene, obgleich fragile Parlamentsmehrheit ignoriert, einen Ministerpräsidenten aus dem eigenen Lager ernannt und durch wenig transparente Absprachen mit einzelnen Abgeordneten eine Regierungsmehrheit nach eigenem Belieben geformt. Nach einer Rückkehr Băsescus wäre dies wieder wahrscheinlich. Den Linksliberalen bleibt nur die Hoffnung auf einen sehr hohen Stimmengewinn.