Der Sound der Touristen

Berlin Beatet Bestes. Folge 158. Diät: Pick a Line/No Accent (2012)

Gestern mache ich mich nach fast einem Jahr Punkpause mal wieder auf in die Bürknerstraße, zu Static Shock, dem besten Punkplattenladen der Stadt, in dem es nur ­Vinyl gibt. Betreiber Iffi ist nicht da, dafür sitzt ein junger tätowierter Australier auf seinem Platz. Australier kann man leicht am Akzent erkennen, und dieser hat einen ganz ordentlichen Aussie-Akzent. Sofort schnappe ich mir einen Stapel Singles, begebe mich zum Plattenspieler und beschalle die anderen Kunden gleich mit. Draußen scheint die Sonne, und der Australier sitzt mittlerweile vor dem Geschäft und quatscht mit Freunden. Nachdem ich in ein Dutzend Platten reingehört habe, liegt die Scheibe, um die es diese Woche geht, auf dem Plattenteller. Den Namen der Band kann ich auf dem Cover nicht entziffern, aber den des Labels, Iron Lung Records aus Seattle. Das Label ist für seine sorgfältige Auswahl melodischer, harter und noisiger Punkbands bekannt. Ein paar Irong-Lung-Singles von Bands wie Eddy Current Suppression Ring, Brain Handle und Total Control habe ich schon in den vergangenen Jahren gekauft.
Gleich nach den ersten Gitarrenriffs ist klar, die muss ich haben. Schnell, heavy und sehr melodisch ist dieser Punk, oder ist es doch Post-Punk? Erinnert entfernt an frühe englische Anarchobands.
Da kommt lässig der Australier von draußen rein. Im Vorbeigehen tippt er mir auf die Schulter und sagt: »That’s my band!« Und ich sage: »It’s my favourite of the batch!« Trotzdem bin ich irgendwie verwirrt und frage noch: »But it’s recorded in Berlin, right?« Und so komme ich ins Gespräch mit Josh, dem Australier. Die Band ist aus Berlin, es spielt aber noch ein weiterer Australier mit. Und Iffi, den ich schon fast zehn Jahre kenne, spielt Schlagzeug! Und der hat mir voriges Jahr sogar das Demotape von Diät, so heißt die Band mit dem unentzifferbaren Namen, verkauft. Das Tape lag ungehört ein Jahr im Regal, weil mein Kassettenrecorder defekt war. Einen kaputten Plattenspieler würde ich sofort reparieren lassen oder austauschen, aber ich bin eben kein Kassettenfan.
Die Band hat sich beim gemeinsamen Rumhängen bei Static Shock kennengelernt, dann das Demotape aufgenommen, eine Handvoll Gigs gespielt und im Juli die Single veröffentlicht. Weitere Auftritte sind für September geplant, eine Tour für Oktober.
Irgendwie typisch, dass sich das alles in Neukölln abspielt, diesem Berliner Bezirk, der in letzter Zeit zum Anlaufpunkt vieler internationaler Ex-Pats geworden ist. Die Mieten steigen, Privatwohnungen werden in Ferienwohnungen umgewandelt, und überall laufen Touristen und Teilzeitkünstler herum. Trotzdem ist der früher trostlose Kiez auch interessanter geworden. Die Punks von Diät sind vielleicht Teil des Problems, schließlich machen auch sie Neukölln ungewollt hipper. Aber die Australier haben zumindest schon eine Vinylsingle in Berlin hinterlassen. Berlin bietet eben doch Bestes. Reinhören unter: youthofneukoelln!