Über die Forderung, höhere Vermögen zu besteuern

Die Angst ums Steuerparadies

Angesichts der Krise wird immer häufiger die höhere Besteuerung von Vermögen gefordert.

Reiche sollen zahlen – so tönt es immer lauter. Im Juli schlug das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) vor, eine Zwangsabgabe oder -anleihe für Vermögende zur Entschuldung der Staatshaushalte einzuführen. Anfang August trat das aus Gewerkschaften, Attac und Sozialverbänden bestehende Bündnis »Umfairteilen« mit ähnlichen Vorschlägen an die Öffentlichkeit, Ende September möchte es zu diesem Thema einen Aktionstag veranstalten. Im Bundesrat bereiten die rot-grün regierten Bundesländer einen Gesetzesentwurf zur Wiedereinführung der Vermögenssteuer vor.
Diese Forderungen werden begleitet von einer Verunsicherung der bürgerlichen Eliten infolge der globalen Weltwirtschaftskrise: Feuilletonisten und Konservative wie Frank Schirrmacher (Frankfurter Allgemeine Zeitung) oder Charles Moore (Daily Telegraph) fragen sich, ob die Linke nicht doch recht haben könnte. Sie finden Gefallen an Büchern von anarchistischen Theoretikern, auf den Wirtschaftsseiten der FAS fand eine fast schon wohlwollende Diskussion über Sozialismus statt. Und Klaus Schwab, Mitbegründer und Präsident des Weltwirtschaftsforums in Davos, stellte fest, »dass das kapitalistische System in seiner jetzigen Form nicht mehr in die heutige Welt passt«.
Haben wir es mit einer Variante des im Kommunistischen Manifest beschriebenen Bourgeoi­sie­sozialismus zu tun – also mit Bestrebungen von Teilen des Bürgertums, den sozialen Missständen zwecks Absicherung ihrer Herrschaft Abhilfe zu schaffen?
Ein Blick auf den fundiertesten Vorschlag zur Belangung der Reichen, den des DIW, lohnt sich. Hintergrund des von Stefan Bach, Experte für Finanz- und Steuerpolitik am DIW, verfassten Papiers ist die Erkenntnis, dass hohen Staatsschulden staatliche Vermögen und hohe private Vermögen gegenüberstehen. Für Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien, die USA, Kanada und Japan wird dies tabellarisch aufgelistet, während für Staaten wie Griechenland und Spanien keine verlässlichen Zahlen vorliegen. Das DIW vermutet jedoch, dass es sich dort nicht wesentlich anders verhält.

In Deutschland belaufen sich die Finanzvermögen dem DIW zufolge auf 182 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), die Sachvermögen auf 275,8 und die Nettovermögen auf 394,4 Prozent des BIP. 2008 betrug die deutsche Staatsverschuldung 66,8 Prozent des BIP, für das Jahr 2013 wird ein Wert von 82 Prozent prognostiziert. Verallgemeinernd stellt das DIW fest, dass staatlichen Schulden in den meisten Ländern wesentlich größere private Vermögen gegenüberstehen. Die Simula­tionsrechnung des DIW nimmt an, dass sich bei einer Bemessungsgrundlage von 2,3 Billionen Euro oder 92 Prozent des BIP mit einer Zwangsanleihe in Höhe von zehn Prozent auf das Nettovermögen rund 230 Milliarden Euro einnehmen ließen. Dabei wurden ein Freibetrag von 250 000 Euro pro Person, bei Ehepaaren 500 000 Euro, ein Kinderfreibetrag von 100 000 Euro sowie ein gesonderter Freibetrag für Unternehmensvermögen zugrunde gelegt.
230 Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen für den Staat sind sehr viel Geld. Aber eine zehnprozentige Abgabe für Betuchte scheint ebenfalls so wahrgenommen zu werden. Umgehend wurden die Vorschläge von der bürgerlichen Presse und industrienahen Instituten als Enteignung, »Hunnenplan« oder »Halali auf die Reichen« kritisiert. Die NZZ schlug vor, man solle besser bei den Ausgaben – und das bedeutet immer: bei den Sozialausgaben – ansetzen. Diesen herkömmlichen wirtschaftsliberalen Reak­tionen, die nichts von der wachsenden Ungleichheit der Einkommen, der Umverteilung von ­unten nach oben sowie der Steuerhinterziehung durch Reiche wissen wollen – eine Ende Juli vom Tax Justice Network veröffentlichte Studie beziffert die Steuerausfälle für Staaten auf 280 Milliarden US-Dollar jährlich – steht die abwägende Äußerung von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) gegenüber. Für Deutschland könne er sich eine Umsetzung dieses Vorschlags zwar nicht vorstellen, aber für Griechenland sei das interessant.

Für die Lösung der Euro-Krise höhere Vermögen zu besteuern, ist so richtig wie unzureichend. Richtig ist es, weil sich der Staatshaushalt aus dem Verhältnis von Ausgaben und Einnahmen ergibt. Im Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung stehen jedoch die Ausgaben, und hier vor allem das soziale Sicherungssystem, das den größten Posten ausmacht. Kürzungen stoßen zumindest in Deutschland kaum auf Protest, denn im Vergleich mit den europäischen Nachbarländern geht es selbst den neuen Armutsrentnern, den Beziehern von ALG II und den Leiharbeitern noch recht gut. Gibt es jedoch Überlegungen, die Reichen, von denen das reichste Prozent mehr als ein Drittel des gesamten Nettovermögens besitzt, höher zu besteuern, ist die Empörung groß: »Lasst den Reichen ihre Kohle«, titelte der Stern.
Über Geld spricht man nicht, schon gar nicht, wenn es das eigene ist. Berichte und Studien über die globalen Vermögen sind selten zu finden. Gelegentlich kann man zumindest auf den Wirtschaftsseiten der großen deutschen Tageszeitungen auf kürzere Berichte zur Reichtumsentwicklung stoßen. Im September vorigen Jahres erschien der Allianz Global Wealth Report, Mitte Oktober veröffentlichte die Schweizer Bank Credit Suisse ihren Global Wealth Report für 2011 und Ende Mai dieses Jahres publizierte die Unternehmensberatungsfirma Boston Consulting Group ihren Vermögensbericht 2012. Die ersten beiden kamen zu dem Ergebnis, dass der Wohlstand 2010 gewachsen ist und über dem Rekordniveau des Jahres 2007 liegt. Dem Bericht der Allianz zufolge sind die Bruttogeldvermögen – Immobilienbesitz wird nicht berücksichtigt – im Jahr 2010 weltweit um 6,2 Prozent gestiegen. Die Boston Con­sulting Group bestätigt einen weiteren globalen Anstieg für das Jahr 2011. Bemerkenswert ist, dass in Deutschland das verwaltete Vermögen leicht von 6,36 auf rund 6,4 Billionen US-Dollar gestiegen ist, während es in Europa geringfügig sank.

Auf den Zusammenhang zwischen Schulden und Vermögen hat bei der Vorstellung des Allianz-Reports der Chefvolkswirt des Versicherungskonzerns, Michael Heise, aufmerksam gemacht – ein keynesianischer Ansichten gänzlich unverdächtiger Ökonom. Heise plädierte dafür, dass bei der derzeitigen Diskussion nicht immer nur der Staatsschuldenstand, sondern auch die Habenseite betrachtet werden sollte. So liegen mit den USA und Japan zwei Staaten mit sehr hohem Schuldenstand auf den Plätzen zwei und drei der Rangliste der Staaten mit dem höchsten Bruttovermögen je Einwohner. Die japanischen und US-amerikanischen Vermögen fallen deutlich höher aus als die Schulden der öffentlichen Hand. Das gilt auch für Länder mit ebenfalls hohen Staatsschulden wie Belgien und Italien. Heise stellte fest: »Die Vermögen in Ländern mit sehr hoher Staatsverschuldung sind beträchtlich.« Diese Staaten seien durchaus in der Lage, Mittel für ihre Staatshaushalte aufzutreiben. Das gelte insbesondere für Italien und Irland, deren Bruttovermögen pro Kopf sogar über dem von Deutschland liege, welches auf Platz 13 rangiere. Diese Aussage deckt sich größtenteils mit den Erkenntnissen, die das DIW in seinem Papier zur stärkeren Besteuerung von Reichen präsentiert. Im Sommer vorigen Jahres merkten offenbar auch die Soziologen Jens Beckert und Wolfgang Streeck vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, dass sie ihre Positionen überdenken müssen. In einem Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung stellten sie fest: »Nachdem die Zuwächse des Sozialprodukts während der vergangenen 30 Jahre vornehmlich den oberen Bevölkerungsschichten zugutekamen, stellt sich in der Schuldenkrise die Frage, ob und mit welchen Mitteln die Wohlhabenden versuchen werden, ihre Position auch um den Preis einer massiven sozialen und politischen Krise zu verteidigen.«
Ihrer Vermutung nach ist es unwahrscheinlich, dass die Vermögenden dieser Welt die »Schrift an der Wand« verstehen wollen. Und damit dürften sie richtig liegen: Bei den Politikern scheint kaum Bereitschaft zu bestehen, der wachsenden ökonomischen Ungleichheit Einhalt zu gebieten. Im Gegenteil, insbesondere von Deutschland werden Staaten wie Griechenland, Spanien, Irland und Italien Austeritätsprogramme aufgenötigt, die eine dramatische Verringerung der Einkommen der breiten Bevölkerungsmehrheit zur Folge haben – von den Konsequenzen für die angestrebte Haushaltskonsolidierung ganz zu schweigen: Sparprogramme führen zu einem verlangsamten Wirtschaftswachstum, und das bedeutet weniger Steuereinnahmen. Man könnte also sagen, dass der Klassenkampf von oben auf der materiellen Ebene im Wesentlichen wie gehabt fortgesetzt wird. Die lauter werdenden Forderungen nach einer Besteuerung von Vermögen legen jedoch nahe, dass Teile der aneignenden Klasse möglicherweise zu der Erkenntnis gelangen beziehungsweise gedrängt werden, dass es angesichts des langfristigen Überlebensinteresses und der Vermeidung von sozialen und politischen Krisen angebracht sein kann, kurzfristig auf die beschleunigte finanzgetriebene Kapitalakkumulation zu verzichten, etwa durch eine Zwangsabgabe auf Vermögen. Das wäre dann in der Tat eine neue Form des Bourgeoisiesozialismus – leider ist eine andere Form nicht in Sicht. Denn natürlich würde die Kapitalakkumulation bald von Neuem beginnen und am Verhältnis von Kapital und Lohnarbeit ändert sich durch eine Zusatzsteuer für Reiche ohnehin fast nichts.