Rostock-Lichtenhagen gedenkt

Gras drüber

Rostock bereitet sich auf den Jahrestag der Pogrome in Lichtenhagen vor.

Von der Endhaltestelle der Straßenbahn an der Hundertwasser-Gesamtschule fährt ein Bus direkt zum Strand. Alles ist grün und überall werden Glücksimmobilien beworben. Nur das Rattern des Polizeihelikopters passt zu den Erinnerungen von »damals«.
Damals. So nennt man hier die Pogromtage von Lichtenhagen. Rostock rüstet sich für das Gedenken. Oder, vielmehr, wird gerüstet: für Joachim Gauck, für die Demonstration. Den heutigen Bewohnern der Mecklenburger Allee 18 und 19 steht der Sinn jedoch mehr nach einem Schlussstrich.
Eine ältere Bewohnerin des Sonnenblumenhauses sagt, man wohne heute »ganz friedlich« mit den Ausländern zusammen, mit Vietnamesen und Russen gebe es keine Probleme, »anders als mit den Roma«, damals. »Die Vietnamesen haben mir damals so leidgetan«, der Vater ihres Kindes sei ein Vietnamese, sagt sie noch. Wichtig ist ihr allerdings, zu betonen, dass hier niemand mit Ausländern zusammenwohnen müsse: »Darum kümmert sich die Wohnungsbaugesellschaft. Das ist ja normal.«
Ach ja?
Ein weiterer Bewohner macht erst abweisende Handbewegungen, dann gesellt er sich dazu. Der pensionierte Polizist habe den Einsatz damals nicht verstanden: »Man hätte gleich alles dicht machen« und »die Steine werfenden Kanaken festnehmen« sollen. Verstehen kann er aber, dass die Situation damals eskaliert sei, »weil man ja so viel vorher versucht hatte«. In einem Punkt sind sich die beiden offenbar einig: Die seien damals alle nicht von hier gewesen, auch nicht die Zuschauer. »Und diejenigen, die von hier waren, haben zumindest nicht geklatscht.« Für den ehemaligen ­Polizisten ist »damals« kein Thema mehr, es ist Geschichte. Aber in Ostpreußen und Mähren, da wüsste er ein spannendes Thema …
Danke.
Auch ein weiterer Bewohner findet, dass man einen Schlussstrich ziehen müsste. Er kommt aus Weißrussland, ist 75 Jahre alt und war Automechaniker in der Sowjetunion. Drei Jahre danach sei er in das Sonnenblumenhaus gezogen, in dem es zwar keinen Hinweis auf »damals« gibt, aber dafür heute ein Beerdigungsinstitut. Er findet, dass »das damals nicht gut, schlimm gewesen« sei und dass der Bundestag die NPD verbieten solle. »Aber warum jetzt das Ganze?« fragt er mit einer Handbewegung in Richtung des Zirkuszeltes, in dem der Bundespräsident wohl besser vor ­Eierwürfen geschützt sein soll als Richard von Weizsäcker in Berlin. Damals.