Feindbild Punk

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»Ab ins Arbeitslager!« Wann immer sich früher Leserbriefschreiber über ein paar auf den Marktplätzen ihrer Heimatstädte herumsitzende Punks echauffierten, war ihnen die Empörung überdeutlich anzumerken. Ein Schandfleck werde aus dem idyllischen Ort gemacht, hieß es in aller Regel einleitend, bevor detailliert die fürchterlichen Verbrechen der Jugendlichen aufgelistet wurden: Bier! Hunde! Laute Musik, halt nein: abscheuliche sogenannte Musik. Mit anderen Worten: Urwaldmusik! Die meisten Leserbriefschreiber hatten auch gleich eine Idee, wie mit den ungewaschenen Gestalten – das Adjektiv »ungewaschen« fehlte in ihren Klagen nie – zu verfahren sei: Arbeitslager.
Nun, die Zeiten haben sich geändert. Wer früher empörte Episteln an die Heimatzeitung schrieb, betreibt heute ein eigenes Blog. Punks kommen darin selten vor, schließlich ist durch die digitale Anbindung an die große weite Welt die Palette der aufregenswerten Themen unermesslich groß geworden.
Seit dem Beginn des Prozesses gegen Pussy Riot gibt es allerdings ein neues Ressentiment-Genre: Ältere bis alte Männer reden über Punk, sprich: Leute mit keinerlei Ahnung von der neueren Musikgeschichte echauffieren sich über die russische Band und machen jede Menge schmierige Witzchen mit allen möglichen Worten, die sie für ein Synonym für Pussy halten. Wurde früher nach Polizei und Ordnungsamt gerufen, ist man heute mit Putin und der russischen Justiz sehr zufrieden, denn hej, Arbeitslager! Bloß das Attribut »ungewaschen« fehlt in den bis dato veröffentlichten »Senioren gegen Pussy Riot«-Blogposts – lange wird es aber nicht mehr dauern, bis dem Ersten das Wörtchen einfällt, und dann kann es endlich so richtig losgehen: Seuchengefahr! Zwangswäsche! Und, natürlich: Ar-beits-la-ger!