Debatte über die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste

Die Kontrolle der Kontrolle

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat den rechtsextremen Terror nicht verhindert. Hat auch die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste versagt?

So viel ist mittlerweile parteienübergreifend anerkannt: Die Geheimdienste der Bundesrepublik müssen umgebaut werden. Nun hat Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) gefordert, dabei auch die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste zu stärken. »Eine überzeugende Reform kann nicht ohne die substantielle Stärkung der Kontrolle der Nachrichtendienste gelingen«, sagte sie der Welt am Sonntag. Die parlamentarischen Kontrollgremien müssten »personell und organisatorisch deutlich gestärkt und mit neuen Kompetenzen ausgestattet werden«. Das sei »genau das Richtige«, bekräftigt der FDP-Vorsitzende Philipp Rösler. Ob die Missstände in den Geheimdiensten durch eine stärkere parlamentarische Kontrolle behoben werden könnten, ist allerdings zweifelhaft. Denn die Mitglieder der Kontrollgremien sind ihrerseits zur Geheimhaltung verpflichtet – die Öffentlichkeit bleibt außen vor, politische Konsequenzen sind kaum zu befürchten.

Die Bundesregierung unterhält derzeit drei Geheimdienste: Das Bundesamt für Verfassungsschutz für die Aufklärung im Inneren, den Bundesnachrichtendienst als Auslandsgeheimdienst und den Militärischen Abschirmdienst, den die Justizministerin im Zuge der anstehenden Reform am liebsten abschaffen würde. Zudem haben die Länder jeweils eigene Verfassungsschutzbehörden. Die Geheimdienste unterstehen den zuständigen Ministerien, aber sie werden auch von den Parlamenten kontrolliert. Auf Bundesebene ist dafür vor allem das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags zuständig. Es setzt sich aus elf Mitgliedern zusammen, die vom Bundestag gewählt werden. Die Bundesregierung ist verpflichtet, das Kontrollgremium über die Tätigkeit der Geheimdienste zu unterrichten, seine Mitglieder haben außerdem das Recht, Informationen einzufordern, die Einrichtungen der Geheimdienste zu betreten und Geheimdienstmitarbeiter zu befragen. Was sie auf diesem Wege erfahren, bleibt allerdings unter Verschluss. Der gesamte Bundestag wird nur in allgemein gehaltenen Berichten informiert.
Der letzte Bericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums bezieht sich auf den Zeitraum von September 2009 bis Oktober 2011. Darin heißt es, die Nachrichtendienste hätten sich vor allem mit der »Bekämpfung des internationalen Terrorismus« beschäftigt, außerdem ging es um Aufstände in Nordafrika, Piraterie, Spionage und Cybersicherheit. Für den Bereich des »politischen Extremismus« hat der Bericht vier dürre Sätze übrig. Die ersten beiden lauten: »Im Berichtszeitraum ließ sich das Gremium auch wieder über Entwicklungen im Bereich des Rechts- und Linksextremismus und über die Aktivitäten einzelner Organisationen und Gruppierungen unterrichten. Gegenstände waren neue Entwicklungen in der NPD und DVU sowie der Neonaziszene.« Die beiden folgenden Sätze beziehen sich auf den »Ausländerextremismus«. Wenn schon der Verfassungsschutz auf dem rechten Auge blind ist – hätte sich zumindest das Parlamentarische Kontrollgremium stärker für die rechtsextreme Szene interessieren müssen?

Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele ist Mitglied des Gremiums. »Ich darf ja nicht sagen, was wir dort erfahren«, sagt er im Gespräch mit der Jungle World, »aber ich kann grundsätzlich sagen, dass ich nicht informiert worden bin.« Der Verfassungsschutz hatte sich vielmehr darauf festgelegt, dass es keinen rechtsextremen Terror gebe – »und das konnte man ja auch im Verfassungsschutzbericht nachlesen«, sagt Ströbele. Das Dilemma des Kontrollgremiums ist, dass es auf die Informationen derjenigen angewiesen ist, die es kontrollieren soll.
Das kritisiert auch Wolfgang Nešković, der für die Linkspartei im Parlamentarischen Kontrollgremium sitzt. Es fehle an Möglichkeiten, »fundierte Gegenvorstellungen zur Regierungsdarstellung« zu entwickeln. Das gilt erst recht, wenn allenfalls die Opposition Interesse an der Aufklärung hat. »Die eigentlichen Skandale erfahren wir erst aus den Medien«, sagt Ströbele. Wie beim NSU-Skandal kann das Geschehen dann nur im Nachhinein durch einen Untersuchungsausschuss aufgeklärt werden – wenn die entsprechenden Akten nicht schon geschreddert wurden.
Der Historiker und Geheimdienstexperte Wolfgang Krieger hält die Befugnisse des Parlaments dagegen für ausreichend. »Es ist ein Märchen, dass die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste in Deutschland schwach ausgeprägt ist«, sagt er. »Im Vergleich zu anderen Gremien, etwa in Frankreich oder Großbritannien, hat das Parlamentarische Kontrollgremium erheblich größere Befugnisse.« Er geht davon aus, dass die Parlamentarier ausreichend informiert gewesen seien. »Natürlich sagen sie, sie seien nicht informiert, weil sie in den Schlamassel nicht mit reingezogen werden wollen«, meint er, »sie haben eben keine Fragen gestellt, sie haben sich auch nicht drum gekümmert.« Dass das Kontrollgremium keine ausreichenden Nachforschungen angestellt hat, liegt jedoch auch an der Personalknappheit. »Elf Parlamentarier können nicht drei große Geheimdienste vollständig kontrollieren«, sagt Ströbele. Dafür wäre ein fester Mitarbeiterstab erforderlich, der zu einzelnen Bereichen umfassende Recherchen anstellen kann. Das gibt es etwa in den USA, wo die Parlamentarier 16 Geheimdienste zu kontrollieren haben, dafür aber mit entsprechenden Kapazitäten ausgestattet sind. »Ich bin ja nicht immer ein Fan der USA«, meint Ströbele, »aber die Geheimdienstkontrolle funktioniert dort besser.«
Es bleibt die Frage, was das Parlamentarische Kontrollgremium mit den Informationen anfangen kann. Gerade weil die Parlamentarier, die die Geheimdienste kontrollieren sollen, entsprechende Kenntnisse erhalten, sind sie selbst zur Geheimhaltung verpflichtet. Dadurch, dass sie die Informationen nicht weitergeben dürfen, haben sie auch wenig Möglichkeiten, politische Konsequenzen herbeizuführen. Aus den Kontrolleuren werden bloße Mitwisser. Zwar kann das Parlamentarische Kontrollgremium auf Beschluss von zwei Dritteln seiner Mitglieder entscheiden, einen Vorgang öffentlich zu bewerten. Dabei dürfen jedoch keine geheimhaltungsbedürftigen Vorgänge veröffentlicht werden. Trotzdem ist die öffentliche Bewertung noch die schärfste Waffe der Parlamentarier. Immerhin kann so eine gezielte Nachforschung provoziert werden, sei es durch einen Untersuchungsausschuss oder durch die Medien. »Natürlich wollen wir keine Leute oder Auslandskontakte gefährden«, sagt Ströbele, »aber es gibt sehr vieles, was ohne solche Gefährdung an die Öffentlichkeit getragen werden kann, und das müssen wir dann auch tun.« Der Bundesregierung dient das Gremium dabei allzu gern als Feigenblatt, um dem Parlament und der Öffentlichkeit Informationen vorzuenthalten. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht bereits 2009 festgestellt, dass der Verweis auf eine Berichterstattung gegenüber anderen parlamentarischen Kontrollgremien die Bundesregierung nicht von ihrer Berichtspflicht gegenüber dem Bundestag befreit. Das Fragerecht des Parlaments bleibt grundsätzlich erhalten. Allerdings ebenfalls nur unter Beachtung des Geheim­schutzinteresses. Das heißt: Fragen kann man ja mal. Aber Antworten bekommt man nicht unbedingt.