Griechenland im deutschen Schlager

Flokatis zum Mitsingen

Demis Roussos, Nana Mouskouri, Vicky Leandros und Costa Cordalis haben viel dazu beigetragen, den deutschen Alltag zu mediterranisieren. Es ist Zeit, die retsinaseligen Siebziger zu würdigen
und sich bei den Griechen zu ­bedanken.

Sie sollte das Feld bereiten, sozusagen den Flokati auslegen, auf dem ein mitteleuropäisches Publikum es sich gemütlich machen würde, in Händen ein Glas des harzigen, recht eigentlich nur als Putzmittel für Gartenmöbel nützlichen Weins Retsina, aus den Lautsprecherboxen oder aus dem Kofferradio die ja immer leicht hysterisch anmutenden Klangbilder der Bouzouki scheppernd. Sie wurde schließlich berühmt wegen eines Accessoires – Nana Mouskouri heißt sie, tourt noch immer, neulich erst wieder gab sie eine Vorstellung in der Berliner Philharmonie. Und immer wieder brandet Beifall auf, schon wenn sie den ersten Ton anstimmt jenes Schlagers, der sie berühmt machen sollte dereinst: »Weiße Rosen aus Athen«. Dargeboten von der Frau mit der Brille, für die sie, so sagte sie selbst, belächelt, ja, verspottet wurde. Aber sie wurde ihr Markenzeichen – ein dunkles Horngestell, ähnlich den Agenturgestellen, die heutzutage in den sogenannten Hipvierteln in bohemistisch inspirierten Büros so gern getragen werden. Fast ließe sich sagen: Mouskouris und Michel Foucaults Look waren stilbildend – die Brille zum Habitus des Melancholischen.
Wie das Lied »Weiße Rosen aus Athen« genau in die Welt kam, ist nicht abschließend geklärt. 1961 steht, scheinbar allgültig, in den Internet­einträgen, sei dieser Schlager ins deutsche Gemüt geträufelt. Das gab es vorher nicht, und Jüngeren muss man das erklären. Darlegen, wie es um das deutsche Unterhaltungswesen in der Musik bestellt war. Ohne allzu detailliert zu werden, lässt sich sagen: Der noch sehr junge Schallplattenmarkt, in Union mit dem eben ­erfundenen Fernsehen, gierte nach Figuren, die beim Publikum populär werden können. Die Crux war, dass die allermeisten der damals gängigen Entertainer und Sänger irgendwie ranzig und vormodern wirkten – etliche, etwa die einst unter Ufa-Sternen wirkende und später dem Swing verpflichtete Margot Hielscher, hatten sogar den Ruch, schon im Dritten Reich Erfolge gehabt zu haben. Das war für die moderne Welt der frühen Popradios und für das Fernsehen ohne echte Zukunft. Gefragt waren fremde Klänge, die exotische Atmosphären evozieren. Den Deutschen sollte das Träumen erlaubt sein – und sie phantasierten tatsächlich gern, wie sich über die Jahrzehnte herausstellen sollte. Neben skandinavischen Künstlerinnen wie Siw Malmkvist, Wencke Myhre oder Gitte Haenning, denen allesamt die gewisse bräunliche Aura fehlte und deshalb auch in aller Frische Erfolg vergönnt war, kam schließlich einem Land eine besondere Importfunktion zu – und das war Griechenland.
Um den Faden von der Legende um »Weiße Rosen aus Athen« wieder aufzugreifen: Auf einer Tourismusbörse in den späten fünfziger Jahren war dieses Lied, ohne ausgefeilten Text, am Stand des griechischen Reisebüros, auf Vinyl gepresst, Reiseveranstaltern aus Deutschland zur gefälligen Beachtung weitergereicht worden. Es war eine Platte, die nichts als kalkuliert wehmütige Klänge enthielt – und zum späteren »Weiße Rosen aus Athen« noch feine, textlich unentzifferbare Vokalisen einer griechischen Stimme enthielt. Es war die von Nana Mouskouri, Kind eines Kinovorführers, figürlich ein bisschen stämmig, aber unbedingt ehrgeizig. Der Rest ist Geschichte, eine über Triumph und Durchhaltevermögen.
Die Mouskouri bereitete den Teppich für alle, die ihr folgen sollten aus ihrer Heimat. Und sie kamen durchweg mit Klangbildern, die eherne Klischees bedienten. Solche von einsamen Stränden, guten, einfachen Nahrungsmitteln, Salat mit Schafskäse, dazu Wein, Naussa oder Retsina. Nie ging es anders als wehmütig – von der Ausnahme des nur in Deutschland bekannten Costa Cordalis abgesehen. Aber auch der, großgeworden in den Siebzigern mit Hilfe der ZDF-Hitparade, ein Hippie der ersten Migrantenstunde, bekam all seine Lieder immer mit einer Prise Sirtaki-Ästhetik und BouzoukiFlair produziert: »Anita« oder »Es stieg ein Engel vom Olymp«. Cordalis, um seine Geschichte gleich mal abzufertigen, wurde, Gerüchten zufolge, am Rande des Münchner oder Frankfurter Hauptbahnhofs entdeckt – quasi vom Fleck weg, nachdem er in einem Anfall von Heimweh sein Souvlaki auf­gegessen hatte. Er verkaufte sich gut, er war der Mann, der weibliche (und männliche) Phanta­sien aus der erotischen Sphäre bediente.
Cordalis, wie alle anderen, bekam diese Aufgabe zugewiesen: als Grieche den Deutschen das nötige Hörfutter für das notorische Fernweh zu liefern. Griechenland, so sagte es einmal der Musikmanager Hans R. Beierlein, war das Land, das den Deutschen noch in den frühen Sechzigern so fern war wie Zeitgenossen von heute allenfalls ein Archipel zwischen der Osterinsel und Japan. Griechenland, so Beierlein, empfahl sich als Traumfläche für das Schlagerbusiness, weil man faktisch am Ende es doch nicht so weit hatte dorthin. Wobei der Unterschied zu irgendeinem fernen Land in puncto Griechenland der war, dass es für die Bildungsbürger daheim schon immer als sogenannte Wiege des Abendlands imaginiert werden konnte. Griechenland – das waren Olympische Spiele, Sparta, Athen, Akropolis, Koloss von Rhodos, Herkules, Odysseus und Circe. Das war das Graecum für die abituriellen Segmente der Gesellschaft, das war »3 3 3 – bei Issos Keilerei«.
Für die ökonomische Entwicklung des Landes hatten die Bildungsreisenden aber wenig Bedeutung. Die paar Professoren und Griechischlehrer, die auf den Spuren der Archäologen ein paar Trümmerkrümel auflasen, reichten nicht, um das kostbarste Gut des Landes auszubeuten: Sonne, Sommer, Strände, Ferien. Trendsetter waren nicht Arbeiter und Angestellte, die zunächst mit dem Campingwagen eher nach Italien oder Spanien fuhren, um sich später als gute Deutsche der Mediterranisierung ihrer Lebensstile zu widmen – draußen sitzen, sonnen und bräunen. Griechenland war eher das Dorado der ersten Hippies, der ersten – nur dass man sie so nicht nannte – Ökos. Die »Gammler, Pinscher, Uhus«, die Bundeskanzler Ludwig Erhard in den Sechzigern am liebsten aus der deutschen Neudemokratiegemeinschaft ausgesiebt hätte, waren es, die, oft auf dem Wege nach Afghanistan, nach Indien oder Persien, in Griechenland Station machten. Und zwar nicht aus Liebe zum Land als solchem, sondern weil es billig war. Griechenland – das waren billige Oliven, Weißbrot, Käse und Wein. Kostete fast nix. Athen, Piräus und Kreta – das waren die Umschlagplätze der neuen Lebensgefühle, und wahrscheinlich nur zufällig waren es auch die Hauptknotenpunkte auf der Landkarte der Drogenumschlagplätze: auf dass der Stoff aus Asien nach Mitteleuropa kommen konnte. Der Film zu diesem Aspekt war »Alexis Zorbas«, die in Schwarzweiß in den frühen Sechzigern gedrehte Geschichte von einem Briten, der einen griechischen Eremiten kennenlernt, mit dem er zusammen eine Insel instand setzen will. In diesem Film sind bereits alle Motive des späteren Weltverständnisses der Grünen kenntlich. Der urwüchsige Grieche, der zwar nach deutschem Verständnis nix zuwege kriegt, aber dafür tiefenentspannt, entschleunigt und wild Sirtaki tanzt, so dem Besucher nahebringt, sich aus dem kapitalistischen rat race zu verabschieden. Die Musik von Mikis Theodorakis trug das ihre dazu bei, in der Achtundsechziger-Bewegung Griechenland zu popularisieren: Da wollte man hin, da wollte man sich gemein machen mit den armen, guten, gerechten Menschen, die, wie man es mit Adorno und Spengler im inneren Gepäck spintisierte, nicht entfremdet lebten. Wobei es ein eigenes Kapitel wäre zu erörtern, warum damals niemand den entsetzlichen Mord an einer Dorfwitwe, die es gewagt hatte, Zorbas (Anthony Quinn) zu begehren, problematisierte. Waren die vermeintlich »ursprünglichen« Traditionen der Griechen es wirklich wert, gepriesen zu werden?
Die Zweite, die nach der Mouskouri in Deutschland Karriere machte, allerdings mit einem Film, war die spätere sozialistische Kulturmininisterin Melina Mercouri. Sie, die Heldin des Jules-Dassin-Films »Sonntags nie«, landete in Deutschland, in der Figur der gutherzigen Prostituierten Ilya, einen krachenden Hit mit »Ein Schiff wird kommen«. Viele coverten dieses Stück, auf Deutsch Caterina Valente, in Großbritannien etwa Petula Clark. Piräus erhielt durch diesen Film einen Platz in der Hall of Fame der ikonographischen Orte, die man unbedingt auf dem Weg zu Freiheit und Abenteuer besucht haben sollte.
Die Dritte, die in Deutschland populär wurde, war schließlich Vicky Leandros, die zwar nie ihre griechischen Bindungen kappte, aber seit den frühen Sechzigern in Hamburg lebte. Die Leandros, das war eine Art Britney Spears der damaligen Jahre, ein Popprodukt, das sich ihr Vater Leo ausgedacht hatte – das Griechische ihrer Herkunft als softes Flair vor sich her tragend, dennoch nie dem Verdacht ausgesetzt, allzu leutselig die Bouzouki in Anschlag zu bringen. Die Leandros verstand sich schließlich als Weltbürgerin: Dass sie in Deutschland als Griechin wahrgenommen wurde, dass die meisten ihrer Hits (»Ich liebe das Leben«, »Die Bouzouki klang durch die Sommernacht« oder »Meine Freunde sind die Träume«, alles aus den Siebzigern) gräkoid angehaucht abgemischt wurden, war nur zu ihrem Vorteil.
Aber als Vicky Leandros begann, zur größten deutschen Schlagerchanteuse zu werden, musste das Feld als längst bestellt wahrgenommen werden: Griechisches war so schwer in Mode, war so angesagt nicht nur in szeneastischen Kreisen, dass es fast fahrlässig gewesen wäre, diesen Trend zu verpassen. Griechisch angehauchter Pop – das englischsprachige Wort für »Schlager« –, das war Flokati zum Hören. Wer jene Zeit nur aus der Erzählung der Eltern oder Großeltern kennt: Ein Flokati war und ist ein griechischer Hirtenteppich, der in fast jedem dritten deutschen Wohnzimmer (WG inklusive) auslag. Matt weiß und fusselig – ein Stück Bodenbelag, den kein gewöhnlicher Staubsauger in den Griff kriegte. Fotos aus jenen Jahren belegen, dass der Flokati so selbstverständlich zum Interieur gehörte wie später das Billy-Regal von Ikea. Dieser Teppich war sozusagen die kuschelige Entsprechung zu den Migranten aus Griechenland, die in die Bundesrepublik kamen. Von ihnen, von ihrer Heimatseligkeit sang, erfolgreich wie niemand sonst, Udo Jürgens 1974. Sein »Griechischer Wein« gilt als die populärste Vertonung zunächst deutscher Kitschgastarbeiterseligkeit, die es bis zum Soundtrack in einigen »Lin­denstraßen«-Folgen geschafft hat.
Einige Namen müssen noch unbedingt erwähnt werden, weil sonst das Kaleidoskop einer längst vergangenen ästhetischen Epoche nicht annähernd vollständig wäre. Anfang der siebziger Jahre, im goldenen Zeitalter des noch nicht auf Humtata-Allüren begrenzten Schlagers, kam ein Mann ins deutsche Fernsehen, der womöglich am stärksten die Phantasien bediente, die mit dem Film »Alexis Zorbas« geweckt worden war: Demis Roussos, ein Mann heute in den späten Jahren seines siebten Lebensjahrzehnts. Mit der Gruppe Aphrodite’s Child tourte er zunächst durch die Benelux-Länder und Frankreich, ehe er nach Deutschland kam. »Good bye, my love, good bye« war sein wichtigstes Lied, auch »Schönes Mädchen aus Arcadia« muss genannt werden oder »Forever and ever« – so viel weißgewandete Wehmut, als sei’s ein Wiedergänger eines griechischen Lüstlings mit Frauenherzenbrecherattitüde, war nie wieder. Roussos war der bärtige Bär unter den gelackten Schlagersängern, er gab den großen, welterfahrenen Bruder, den niemand mehr aus seiner Tonne holen konnte, als sei er ein Diogenes. Man wurde zwar nie den Verdacht los, dass in seinen Bartflusen eventuell noch Fetareste kleben könnten, aber es wirkte damals wahnsinnig urwüchsig-wild. Er gab den edlen Wilden für das Publikum, den Mann, der von geschlechterdemokratischen Erwägungen noch unangekränkelt die rauhe Lust zur Geltung bringen würde – und das mit aller Sanftheit seiner Augen.
Schon damals, nur nebenbei, hatten Linke natürlich allesamt etwas gegen populäre Unterhaltungskunst, am stärksten gegen den Schlager. Sie selbst huldigten aber nicht minder Künstlern und Künstlerinnen, die ohne viel Aufwand als Schlageristen mit welthaltiger Gesamtmoral bezeichnet werden können. Linke delektierten sich ohnehin an »Alexis Zorbas«-Musik, dieser Kunstgattung schlechthin, denn den Sirtaki, die Musik zur Bouzouki, hatte Theodorakis, großer Sinfoniker, der er immer war, nur erfunden, damit griechische Musik im Ausland besser genießbar wird. Seine pompöse Komposition zu den Texten Pablo Nerudas, »Canto General«, darf mit Fug und Recht als wagnerianische Chorübung für linke Pompliebhaber bezeichnet werden. Die Sängerin, die das Stück am stärksten prägte, die Griechin Maria Farandouri, wurde in linken Kreisen in den mittleren Siebzigern verehrt wie in den meisten anderen Zirkeln Vicky Leandros: eine Dramatikerin vor dem Herrn, immer intonierend, als seien die Klänge, die sie herausbringen wird, von vollendeter Wichtigkeit.
Natürlich segelten auch viele Nichtgriechen auf der Welle des Griechischen, aber das erst nach dem Ende der Militärdiktatoren in Athen. Vorher wäre das nicht, im schon damals politisch korrekten Deutschland, stubenrein gewesen. »Der letzte Sirtaki« (Rex Gildo), »Akropolis Adieu« (Mireille Mathieu) oder »Der Stern von Mykonos« (Katja Ebstein) – drei Titel aus der Fülle von Anklängen ans Griechische. Die Stichworte sind immer beredt: Sirtaki als Tanz des Urlaubs, die Akropolis als VIP-Trümmerhalde in Athen, Mykonos als Traumstück von einem Ort, der seit Mitte der siebziger Jahre zum Ferienjerusalem von schwulen Männern wurde. Entsprechend wirkte sich das auf die Immobilienwünsche von deutschen Stars aus. Horst Rippert, den das deutsche Publikum als Iwan Rebroff kannte, ließ sich gern in seinem Domizil in den Kykladen abbilden, ebenso verschwieg Alfred Biolek nie, dass ihn das Blau des Meeres und des Himmels über Santorin lockten – und er also dort gern lange sich aufhält in der eigenen Datsche.
Aber die große Zeit der griechischen Traumverehrung ist vorbei. Ihr Niedergang setzte ein, als die Türkei für das Gros der Sommerurlauber billiger und behaglicher wurde. Das war Ende der achtziger Jahre, und seither hat es auch keinen relevanten Beitrag aus diesem Land für die deutsche Popgeschichte gegeben. Griechenland im Pop – das war einmal. Geblieben ist nur, alles in allem, die Internationalistin schlechthin, die in Genf lebende – Nana Mouskouri. Ihr ist zu verdanken, dass einige wirklich brillante Stücke veröffentlich wurden: Es musste nur ein wenig klingen wie Griechenland.

Jan Feddersen (Jg. 1957) ist »Taz«-Redakteur und wuchs in Hamburg mit Schlagern aus Kofferradios auf. Seine liebste Griechin ist Nana Mouskouri – ihrer »Weißen Rosen aus Athen« wegen –, gleich dahinter Mariza Koch und jene Vicky Leandros, die »Le lac majeur« von Mort Shuman sang. Er bevorzugt ansonsten eher angelsächsischen Pop, etwa den frühen Tom Jones, Alma Cogan oder Lena Zavaroni.