Die Vorbereitungsgruppe Erfurt im Gespräch über das Naziproblem in der thüringischen Stadt

»Menschen beim Einkaufen stören«

»Der Frust muss raus« – das finden linke Gruppen aus Erfurt. Sie rufen unter diesem Motto zu einer Demonstration am 13. Oktober auf, die sich gegen die Nazigewalt in der Stadt und gegen deren Verharmlosung durch Behörden und die Öffentlichkeit richten soll. Die Vorbereitungsgruppe hat mit der Jungle World gesprochen.

Wie groß ist der Frust und woher kommt er?
Er ist ziemlich groß! Dafür ist vor allem eine Politik verantwortlich, die während der vergangenen Jahre systematisch alle Gruppen und Menschen, die nicht in das Bild passen, verdrängt und Erfurt zu einem Einkaufsparadies für ein kauffreudiges Publikum gemacht hat. Dazu ließ der SPD-Oberbürgermeister Andreas Bausewein unter anderem 2008 die entsprechende Innenstadtverordnung verschärfen, so dass es zum Beispiel verboten ist, Alkohol in der Innenstadt zu trinken. Auch das Verweilen größerer Gruppen über einen längeren Zeitraum wird im Stadtzentrum nicht geduldet. Nachdem 2009 ein besetztes Haus geräumt worden war, gab es für viele politische und subkulturelle Gruppen keinen Rückzugs- und Treffpunkt mehr. Alle Versuche, sich durch Besetzungen neue Räume anzueignen, wurden rigoros unterbunden.
Welchen Anteil haben Nazis an dem Frust?
Enorme Polizeiaufgebote und ordnungspolitische Vorgaben behindern antifaschistische Interventionen wie Demonstrationen oder Kulturveranstaltungen. Demgegenüber können die Nazis ihrer Agitation, Hetze und Gewalt gegen Menschen freien Lauf lassen.
Sie sprechen im Aufruf von einer »langen Liste von Übergriffen auf Migranten, Punks, Nichtdeutsche«. Bundesweit Schlagzeilen machte jedoch vor allem der Angriff auf Besucher des Kunsthauses Mitte Juli. Warum fühlen sich Nazis in Erfurt eigentlich so sicher?
Dass nur dieser Angriff bekannt wurde, ist kein Wunder, denn er galt einer Institution, die in der Stadt ein gutes Standing hat. Migrantinnen und Migranten, Punks und Alternative werden in Erfurt dagegen nicht ernst genommen. Mehrfach hat die Polizei sogar die Angegriffenen zu Tätern erklärt. So wurden nach einem Angriff von 20 Nazis auf eine Feier des Bildungskollektivs im Juni nicht die Nazis juristisch verfolgt, sondern ein vom Überfall Betroffener wurde angezeigt. Aber das ist noch nicht alles: Demonstrationen von Nazis, die in anderen Städten verboten wurden, werden in Erfurt erlaubt, von Nazis angemeldete Kundgebungen verschwiegen. So hat die Stadt Weimar am 1. Mai eine Nazidemo wegen der langen Vorstrafenregister der Ordner verboten, eine Ausweichkundgebung konnte am selben Tag in Erfurt mit denselben Ordnern problemlos stattfinden.
Das dürfte die Nazis freuen.
Nazis registrieren auf allen Ebenen, dass ihr Handeln keine Konsequenzen nach sich zieht, deswegen können sie auch ganz unverfroren weitermachen. Sie fühlen sich ganz wohl in Erfurt, weil sie zahlreiche Räume nutzen können, ohne dass sie Probleme bekommen. Es gibt hier kein Bewusstsein für menschenverachtendes Denken und Handeln. Ein Großteil der Bevölkerung akzeptiert oder befürwortet rassistische sowie nationalistische Aussagen und unterstützt damit die Nazis.
Die Demonstration richtet sich deshalb nicht nur gegen Nazis, sondern auch gegen diese Bürger, die Rassismus und rechte Gewalt tolerieren. Sind Sie tatsächlich so isoliert in Erfurt?
Angriffe auf Menschen, die das Stadtbild stören, werden nicht öffentlich. Das ist eine Form der Unsichtbarmachung. Isoliert sind wir insoweit, als wir als Minderheit den Rassismus der Bevölkerungsmehrheit ansprechen und kritisieren. Während die wenigen, manchmal aber doch vorhandenen bürgerlichen Proteste dabei verbleiben, Nazis mit Pfeifen anzutrillern und ihnen »Nazis raus« entgegenzurufen, stellen wir die Frage, wie Rassismus gesellschaftlich produziert wird. Konkurrenz und Ausbeutung müssen dann ebenso kritisiert werden wie bürgerliche Ideologie, Volksgemeinschaft und Nationalismus.
Das ganze Ausmaß des NSU-Skandals ist immer noch nicht bekannt. Dass die Behörden nach den vielen für sie peinlichen Enthüllungen dennoch weiterhin nicht entschieden gegen Nazis vorgehen, zeigen Sie auf Ihrem Blog frust.blogsport.de. Dort präsentieren sie einige Beispiele für die unverdrossene Verharmlosung. Wie kann man ihr entgegenwirken?
Erst einmal hoffen wir, mit unserer Kritik kleine, konkrete Verbesserungen in Erfurt zu erreichen. Wenn erkannt wird, dass eine aktive und blühende Subkultur am effektivsten gegen Nazis wirkt, wäre schon einiges gewonnen. Wir wollen die Erfurter Zustände kritisieren, in denen Behörden, Bürgerinnen und Bürger sowie die Polizei als Teil des Problems zu benennen sind. Wir fordern, dass die Stadtpolitik sich verändert, Täterinnen und Täter als solche benannt und die Augen für die Naziproblematik geöffnet werden. Und natürlich fordern wir auch ein anderes Verhalten der Polizei.
Die Polizei ist nicht dafür bekannt, auf Appelle linker Gruppen zu hören.
Wir sind uns der Beschränktheit dieser Forderungen bewusst. Erst wenn wir die Ursachen für ausgrenzendes und rechtes Gedankengut bekämpfen, ist eine Gesellschaft ohne Rassismus und Nationalismus überhaupt denkbar. Dies ist ein weiteres Ziel der Demonstration: zu verdeutlichen, dass es eben nicht ausreicht, bloß gegen Nazis zu sein. Wer effektiv Nazis und Rassismus bekämpfen will, muss für eine gänzlich andere, soziale und solidarische Gesellschaft eintreten. Wir wollen selbstverständlich über die bloße Äußerung unserer Verärgerung und unseres Frustes hinausgelangen und der kleinbürgerlichen, weißdeutschen Realität etwas entgegensetzen. Und nicht zuletzt wollen wir mit der Demonstration Solidarität mit den Betroffenen rechter Gewalt zeigen.
Wer beteiligt sich an der Vorbereitung der Demonstration?
Wir sind verschiedene Gruppen und Einzelpersonen, die linke emanzipatorische Politik im Umfeld des »Veto« betreiben, eines kleinen Ladenprojekts in Erfurt.
Welche Bedeutung hat der Protest über Erfurt hinaus?
Wir gehen davon aus, dass es in anderen Städten ähnlich aussieht, und bauen auf überregionale Unterstützung. Andererseits wollen wir auch Präsenz zeigen in der schönen Innenstadt von Erfurt und uns die Räume wieder nehmen. Wenn wir Menschen beim Einkaufen stören, umso besser.