Das Verfahren gegen Beate Zschäpe

Die Fassade bröckelt

Ein Jahr nach dem Auffliegen des rechts­extremen NSU ist das noch lebende mutmaßliche Mitglied Beate Zschäpe auch wegen Mordes angeklagt worden. Opfer­familien kritisieren die Arbeit der Justiz.

Ihre Namen gaben reichlich Anlass zu Spott: Heer, Stahl und Sturm heißen die drei Pflichtverteidiger der mutmaßlichen Rechtsterroristin Beate Zschäpe. Doch obwohl dies klingt, als entstammten sie einem Roman des nationalistischen Weltkriegsdichters Ernst Jünger, sind die drei keine Anwälte der rechtsextremen Szene. Es sei seine Aufgabe, »Frau Zschäpe gegen eine Übermacht von mehr als 500 Ermittlern beizustehen, das ist mein Beruf », sagte der Koblenzer Jurist Wolfgang Heer, der »vollkommen nüchtern an die Sache herangehen« will. Was »die Sache« genau ist, blieb lange offen, niemand konnte mit Bestimmtheit sagen, wofür Zschäpe konkret juristisch belangt werden würde: Als bloße Helferin ihrer beiden Neonazi-Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt oder als Mittäterin der zehn Morde des Nationalso­zialistischen Untergrunds (NSU)? Seit Donnerstag vergangener Woche besteht Klarheit. Genau ein Jahr, nachdem Zschäpe sich der Polizei in Jena gestellt hatte, klagte Generalbundesanwalt Harald Range sie wegen Mittäterschaft bei den zehn Morden an. Außerdem soll Zschäpe für die beiden Sprengstoffanschläge des NSU in Köln, 15 bewaffnete Raubüberfälle und die Brandstiftung am Haus in Zwickau, in dem die drei gewohnt hatten, mitverantwortlich sein. Sowohl die Brandstiftung, durch die eine Nachbarin und ein Handwerker in Gefahr kamen, als auch die Bombenanschläge wertet die Anklage als Mordversuche.

Vier weitere Neonazis wurden ebenfalls angeklagt: Dem ehemaligen NPD-Funktionär Ralf Wohlleben und dem geständigen Carsten S. wird Beihilfe zum Mord vorgeworfen. Sie sollen dem NSU eine Waffe beschafft haben und könnten mit 15 Jahren Gefängnis bestraft werden. Der mutmaßliche NSU-Unterstützer Andre E. soll Beihilfe zu einem Sprengstoffanschlag in Köln geleistet haben, dem Rechtsextremisten Holger G. wird Unterstützung des NSU in drei Fällen zur Last gelegt.
Generalbundesanwalt Range schöpft damit den Spielraum gegen die prominenteste Angeklagte Zschäpe maximal aus. Der Tatvorwurf ist die schwerstmögliche Anklage gegen sie, Mittäter werden gemäß dem Strafgesetzbuch genauso bestraft wie Einzeltäter. Der Klageschrift zufolge war der NSU eine aus »drei gleichberechtigten Mitgliedern bestehende Gruppierung«, ein »einheitliches Tötungskommando, das seine Mordanschläge aus rassistischen und staatsfeindlichen Motiven arbeitsteilig verübte«. Zschäpe habe dabei die »unverzichtbare Aufgabe (gehabt), dem Dasein der terroristischen Vereinigung den Anschein von Normalität und Legalität zu geben«, so die Generalbundesanwaltschaft (GBA). Nachbarn und Bekannten gegenüber habe sie die häufige Abwesenheit von Böhnhardt und Mundlos »unverfänglich erklären« müssen und eine »unauffällige Fassade pflegen« sollen. Nur so habe der NSU über Jahre hinweg unentdeckt terroristische Verbrechen begehen können, so die GBA. Außerdem sei Zschäpe »maßgeblich für die Logistik der Gruppe verantwortlich« gewesen, habe das Geld aus den Raubüberfällen verwaltet, eine Waffe und falsche Papiere besorgt.
Die heute 37jährige Rechtsextremistin wuchs bei ihrer Großmutter in Jena auf. Nach der Wende in der DDR wurde die damals 14jährige Teil von Jenas erstarkender rechte Szene, mit 16 Jahren lernte sie Uwe Mundlos kennen, er wurde ihr Freund. Sie wollte Kindergärtnerin werden, fand aber keine Lehrstelle, später lernte sie Gärtnerin. In dieser Zeit trennte sie sich von Mundlos und verliebte sich in Uwe Böhnhardt, seinen besten Freund, der ebenfalls in der rechtsextremen Szene aktiv war. Ab 1995 traten sie fast nur noch zu dritt auf. In ihren Vernehmungen bezeichnete Zschäpe die Männer als ihre »Familie«. Als die Polizei Anfang 1998 eine von Zschäpe gemietete Garage entdeckte, in der die drei teils mit echtem Sprengstoff versetzte Bombenattrappen baute, tauchten sie unter. Mindestens neun Decknamen nutzte Zschäpe in dieser Zeit.

Range ließ die 480seitige Anklageschrift und rund 1 000 Ordner Ermittlungsakten dem Oberlandesgericht München zustellen. Bayern ist »räumlicher Schwerpunkt« der NSU-Taten: Fünf der zehn Morde wurden hier begangen – drei in Nürnberg und zwei in München. Zschäpe droht lebenslange Haft.
Mehmet Daimagüler, der Anwalt der Familien von zwei Opfern, bedauerte, dass nur so wenige Verdächtige angeklagt wurden. »Wenn die Sicherheitsbehörden besser gearbeitet hätten, dann wären nicht so viele Taten verjährt. Die Justiz muss nun versuchen, die Fehler der Vergangenheit ein wenig zu heilen«, sagte er. Daimagüler tritt in dem Verfahren als Nebenkläger auf. »Die Anklage ist erhoben und ich glaube, man kann daran sehen: Die Aufklärung geht voran«, sagte hingegen Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Eva Högl, Obfrau der SPD im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages, nutzte die Anklageerhebung, um Friedrichs Umgang mit dem NSU als »unengagiert« zu kritisieren. Sie warf dem Minister insbesondere vor, dass er nicht sofort nach Auffliegen der Terroristen einen »umfassenden Aktenvernichtungs-Stopp« angeordnet habe. Allein im Bundesamt für Verfassungsschutz wurden seitdem noch 310 Dokumente aus dem Bereich Rechtsextremismus geschreddert. Der FDP-Politiker Hartfrid Wolff forderte, dass »die Dienste strenger an die Leine genommen werden« sollten.
Zschäpes Verteidiger übten Kritik an der GBA. Der Koblenzer Anwalt Wolfgang Stahl sagte, er habe »völliges Unverständnis« für Ranges Vorgehen, »wesentliche Inhalte der Anklageschrift zuerst der Öffentlichkeit zu präsentieren«. Die in der JVA Köln-Ossendorf einsitzende Zschäpe habe »aus dem Fernsehen« von der Anklageerhebung erfahren. Sie sei sehr irritiert gewesen, so mit den Vorwürfen konfrontiert worden zu sein, bevor die Anwälte mit ihr sprechen konnten. Stahl hält dies für einen Verstoß gegen die Richtlinien für Strafverfahren. Schon im Dezember 2011, zu Beginn der Ermittlungen gegen den NSU, seien »Akteninhalte und Asservate der Öffentlichkeit präsentiert worden, die der Verteidigung noch nicht bekannt waren. Dieses Vorpreschen zieht sich wie ein roter Faden durch das Verfahren«, sagte Stahl.
Die GBA behauptete, die Medien erst informiert zu haben, als die Anklage durchgesickert sei. »Dieses Vorgehen war ausnahmsweise angezeigt, um Spekulationen über den Inhalt der Anklageschrift zu begegnen und einer Fehlinformation der Öffentlichkeit vorzubeugen.« Die Verteidiger Zschäpes seien telefonisch und per Fax über diesen Schritt und den Inhalt der Anklage informiert worden.

Doch die Fragen zum juristischen Stil dürften bald in den Hintergrund treten. Wichtiger ist, ob die Ankläger ihre Vorwürfe gegen Zschäpe untermauern können. Daran bestehen Zweifel. Bis heute etwa weiß man nicht, wer die Opfer erschossen hat und wie sie ausgewählt wurden. Da dürfte es schwierig werden, Zschäpes Anteil an den Taten sauber nachzuweisen – und zwar, wie erforderlich, für jeden einzelnen der zehn angeklagten Morde. Gegenüber einem Ermittlungsrichter soll Zschäpe vor einem Jahr gesagt haben, sie stelle sich »nicht, um nicht auszusagen«. Doch auf ihre Aussage wartet die Justiz seither vergeblich. Ihre Anwälte haben ihr geraten, diese Ankündigung nicht wahr zu machen. Auf eine Kronzeugenregelung kann sie ohnehin nicht hoffen. »Überlegungen hierzu entbehren einer tatsächlichen Grundlage«, heißt es bei der GBA. Die Vorwürfe gegen Zschäpe seien »so massiv, dass ein Strafnachlass nicht zu begründen wäre«, sagt auch der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach. Wahrscheinlicher ist, dass die Verteidigung sie darauf vorbereitet, mit ihrer Aussage im Prozess die Anklage zu erschüttern.