Über Firmen, die ihre Weihnachtsfeier als Event inszenieren

Alle Jahre wieder

Viele Unternehmen inszenieren ihre Weihnachtsfeier als Event. Für Arbeitnehmer wird die Teilnahme oft zur Mutprobe.

Spätestens Anfang Dezember ist die Zeit der Verdrängung vorbei. Die Titelbilder der Frauenzeitschriften verkünden den Dresscode für die betriebliche Weihnachtsfeier, die Süddeutsche Zeitung veröffentlicht ein Regelwerk für den weihnachtsfeierlichen Small Talk und das Heute-Journal bringt einen Beitrag mit dem einschüchternden Titel »Überleben auf der Weihnachtsfeier«. Den meisten Arbeitnehmern dürfte allerdings auch ohne diesen alarmistischen Tonfall klar sein, dass die Weihnachtsfeier im Betrieb eine echte Belastungsprobe ist. Die Zeiten, in denen man sich – ohnehin dadurch besänftigt, dass das Weihnachtsgeld schon zwei Wochen vor der Feier auf dem Konto eingetroffen war – darauf beschränken konnte, mit ausdrucksloser Miene der öden Weihnachtsansprache des Chefs zu lauschen, gehören längst der Vergangenheit an. Mittlerweile inszenieren Firmen ihre Weihnachtsfeier als Event, bei dem den Mitarbeitern einiges abverlangt wird.
Der stets unauffällige Nachbar huscht verschämt in einer glitzernden Kostümierung durchs Treppenhaus. »Sei ein Geschenk!« ist das Motto seiner Weihnachtsparty, er ist Trainee in einer Agentur. Weil im Februar sein Jahresvertrag endet, nimmt er nun als Geschenk verpackt an einer Veranstaltung teil, bei der er auch noch einen Sketch zum Besten geben muss, und das alles in der Hoffnung, dass dieser Einsatz seine Chancen auf eine Weiterbeschäftigung erhöht.

Wer glaubt, diese spezifische Form der Winterschikane sei nur den sogenannten Kreativen der Werbeindustrie oder den Mitarbeitern jener Branchen vorbehalten, die Ende der neunziger Jahre noch als »New Economy« bejubelt wurden, liegt falsch. Dem übergewichtigen Controller eines mittelständischen Unternehmens dürfte der »sport­liche Bowling-Abend« ähnlich großes Unbehagen bereiten wie dem Trainee die Mottoparty. Und auch die Sachbearbeiterin, die nicht einmal unter der Dusche singen möchte, wird wegen der Karaoke-Show, die auf der Weihnachtsfeier für eine »lockere Stimmung« sorgen soll, schlaflose Nächte haben.
Sehr viele Arbeitnehmer würden angesichts solcher Herausforderungen wohl lieber die Flucht ergreifen, dennoch entscheiden sich die meisten zur Teilnahme. Das könnte daran liegen, dass die Weihnachtsfeier zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt stattfindet. Am Ende des Jahres fehlt vielen einfach die Energie, sich gegen Zumutungen zur Wehr zu setzen. Die Financial Times Deutschland berichtete im Sommer, dass die Beschäftigten hierzulande im Jahr 2011 mehr als eine Milliarde unbezahlte Überstunden leisteteten. Zu Beginn des neuen Jahres finden in den meisten Unternehmen die sogenannten Mitarbeitergespräche (MAG) statt. Gehaltsverhandlungen spielen beim MAG eine untergeordnete Rolle, den Arbeitgebern gelingt es seit Jahren, etwaige Forderungen mit dem Verweis auf die Globalisierung oder die Euro-Krise zurückzuweisen. Das MAG soll der Verbesserung des Arbeitsklimas und der unentgeltlichen Mitarbeitermotivation dienen. Auf der Weihnachtsfeier, die kurz zuvor stattgefunden hat, kann sich die Führungsriege schon mal einen guten Überblick über die Begeisterungsfähigkeit und Flexibilität ihres Personals verschaffen. Wesentlicher Bestandteil des MAG sind die sogenannten Zielvereinbarungen, die der Angestellte mit seinen Vorgesetzten verbindlich festlegt. Mit ihnen soll das Leistungsbewusstsein des Mitarbeiters gefördert werden, beim nächsten MAG wird überprüft, ob er »seine« Ziele erreicht hat.

Angst vor der Arbeitslosigkeit spielt bei der Entscheidung für die Teilnahme an der Weihnachtsfeier selbstverständlich auch eine Rolle. Der Chef einer Hamburger Agentur überzeugte seine Mitarbeiter, die irritiert auf eine Einladung zum White-Trash-Bowling reagierten, mit den Worten: »Ihr shoppt im Discounter Hartz-IV-Klamotten und dann geht der Spaß los!« Diese Drohung verfehlte ihre Wirkung nicht, die meisten von ihnen hatten befristete Arbeitsverträge und bei mehr als der Hälfte der Anwesenden handelte es sich um ehemalige ALG-II-Bezieher.
2009 verkündeten die Zeitungen erleichtert, dass sich viele Betriebe trotz der Krise nicht von ihrer Weihnachtsfeier abhalten ließen. Die Freude darüber, dass die meisten Unternehmen die Weihnachtsfeier mittlerweile als unverzichtbar für das »Teambuilding« werten, war groß. Als Königsdisziplin des Teambuilding gilt den Chefs jedoch weiterhin der Betriebsausflug, bei diesem sommerlichen Event wird die Belegschaft zu sportlichen Höchstleistungen animiert. Drachenbootfahren, Beachvolleyballturniere oder ein Besuch im Kletterpark gehören längst zum Standardrepertoire eines jeden Betriebsausflugs. Im privaten Freundeskreis würden solche Aktivitäten vermutlich schnell zu schweren Zerwürfnissen führen, denn die Zahl der passionierten Alpinisten oder routinierten Drachenbootlenker im Umfeld des bundesdeutschen Durchschnittsbürgers dürfte sehr überschaubar ausfallen. Für die Unternehmen spielen die Vorlieben der Mitarbeiter aber ohnehin keine Rolle, im Gegenteil, beim Teambuilding setzen sie auf das Prinzip der Leidensgenossenschaft.

Die Feststellung, dass sich die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit immer mehr auflöst, schockiert mittlerweile niemanden mehr. Während das Privatleben zum Zweitjob wird, stellt sich die Frage, was »Freizeit« bedeutet, wenn der Chef deren Gestaltung übernimmt. Die Zeit veröffentlichte Ende Oktober ein lesenswertes Dossier, das sich mit der Ausbeutung in der modernen Arbeitswelt beschäftigte. Die Autoren Amrai Coen und Thomas Fischermann begleiteten für ihren Artikel »Bespaßt und gequält« die Belegschaft einer Bäckerei beim Betriebsausflug. Wohin die Reise ging, wusste keiner. Dass Firmen beim Betriebsausflug auf den Überraschungseffekt setzen, ist nicht ungewöhnlich. Die ahnungslosen Angestellten erfahren erst bei der Ankunft, was sie erwartet. Auf eine solche Gelegenheit zur Machtdemonstration verzichten Unternehmer ungern. Der Ausflug der Bäckerei endete auf einem schlammigen Acker im Brandenburger Hinterland, auf dem Programm stand Panzerfahren. Der im Artikel zitierte Veranstalter dieses Events bekundet, immer mehr Firmen würden »Panzerfahren als Teambuilding« buchen. Seine Kunden seien Versicherungen, IT-Firmen, Automobilhersteller oder eben der Besitzer einer Bäckereikette. Es ist durchaus beunruhigend, dass es deutsche Unternehmen gibt, die sich nichts Schöneres vorstellen können, als ihren Mitarbeitern eine Tour im Panzer zu ermöglichen. In Brandenburg kann man übrigens zu jeder Jahreszeit historisch fragwürdige Firmenevents veranstalten. Im Internet findet sich eine Agentur, die Firmen mit dem Angebot lockt, für die Weihnachtsfeier einen stimmungsvollen »Fackelmarsch« in der Abgeschiedenheit der Brandenburger Idylle zu organisieren.
Wenig geschmackssicher ist es allerdings auch, wenn Chefs ihre Mitarbeiter mit dem Motto »Weihnachten gibt’s Schläge« zum Indoor-Golf nötigen oder mit der Aufforderung »Pack die Skier ein« großzügig zum Wochenendtrip in die Berge laden. Denn eigentlich müssten die Arbeitgeber am besten wissen, dass die kläglichen Gehälter, die derzeit gezahlt werden, in der Regel weder für eine Mitgliedschaft im Golfclub noch für den Winterurlaub reichen. Da kann es auf die ungeübten Golfspieler und Skianfänger vielleicht beruhigend wirken, zu wissen: Arbeitnehmer sind auf der Weihnachtsfeier unfallversichert.