»Israelisch Kochen«

Kochen auf dem Krisenherd

Israels Geschichte lässt sich auch anhand seiner Küche erzählen.

Nicht einmal das Essen lässt sich in Israel von der Politik trennen: »Produktpiraterie« glaubte beispielsweise im Jahr 2008 der libanesische Unternehmer Fadi Abboud in dem Umstand zu erkennen, dass in Israel produzierter Hummus als »Made in Israel« verkauft wird. Abboud, Vorsitzender des libanesischen Industrieverbandes, geht es außer um Hummus noch um Falafel und um Tabule. Alle drei Speisen seien libanesische Spezialitäten und Israel besetze die Marken wie die Golanhöhen. Also forderte Abboud die libanesische Regierung auf, den Staat Israel vor internationalen Gerichten zu verklagen. Die libanesische Nahrungsmittelindustrie verliere nämlich etliche Millionen Dollar pro Jahr. »Wir arbeiten daran, all die Speisen und Zutaten, die verwendet werden, zu registrieren«, erklärte Abboud. Dann könne der Hummus so libanesisch werden, wie etwa der Feta-Käse griechisch ist, der vom Europäischen Gerichtshof als originales Produkt aus Hellas deklariert wurde.
Durch kam Abboud mit seinem Anliegen nicht. Auch dass er, wie er vollmundig behauptete, historisch recht hätte, lässt sich nicht gerade sagen. Und neu sind seine Thesen ebenfalls nicht. Auch viele Palästinenser glauben sich gegen den vermeintlichen israelischen Anspruch wehren zu müssen, Falafel sei ein israelisches Gericht. Aziz Shihab, Amerikaner palästinensischer Abstammung und Autor des Kochbuchs »A Taste of Palestine«, beschwerte sich einmal, als er an einem israelischen Restaurant in Dallas/Texas vorbeikam und dort Falafel angepriesen wurden: »Das war das Essen meiner Mutter, das Essen meines Großvaters. Wie kommt ihr dazu, es als euer Essen zu servieren?«

Wem gehört der Hummus?

Gerichte wie Hummus, Falafel und Tabule stammen historisch aus der Region, die man hierzulande Naher Osten nennt. Wenn es also jetzt, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Streit um ein Produkt namens »israelischer Hummus« gibt, dann ist dies bloß die kulinarische Variante des ebenso unappetitlichen Streits, ob es einen »israelischen Staat« geben darf. Ob auf der Speise- oder der Landkarte: Israels Existenz ist bei einem Teil seiner Nachbarn nicht gern gesehen.
Bleiben wir für einen Moment bei Fadi Abboud, Aziz Shihab und ihren teils sehr genauen Vorstellungen darüber, welches Essen wohl künftig als nicht israelisch zu gelten habe. Bei der Falafel lautet eine Ursprungsgeschichte, dass koptische Christen in Ägypten sie als fleischloses Gericht, das während der Fastenzeit verzehrt wird, erfunden haben sollen. Andere Quellen vermuten Vorläufer der Kichererbsenbällchen schon vor etwa 4 000 Jahren. Auf jeden Fall wird die Kichererbse seit Tausenden von Jahren im Mittelmeerraum angebaut. Große Wärme hilft der Pflanze beim Wachsen, ihr Wasserbedarf ist gering, und auch der Boden muss nicht sehr nährstoffreich sein. Claudia Roden, eine englische Schriftstellerin, die aus Ägypten stammt, behauptet, dass die Falafel zwar nie ein typisch jüdisches Gericht war. Doch natürlich wurde es, sagt die Autorin von »The Book of Jewish Food«, von Juden in Ägypten und Syrien gegessen.
Die Israelis, immerhin, sollen auf die leckere Idee gekommen sein, Falafel in einem Pitabrot anzubieten, gefüllt mit Tomaten, Gurken, grünem Salat und einer Joghurtsauce. »Das sieht vielleicht aus, als ob es überall aus dem Nahen Osten kommen könnte«, sagt die Soziologin Orit Rozin, »aber das ist wirklich eine israelische Erfindung.« Rozin forscht seit vielen Jahren an der Universität Tel Aviv über das israelische Alltagsleben. Sie glaubt, dass man die libanesische kaum mit der israelischen Küche vergleichen kann: »Die libanesische hat sich über einen langen Zeitraum entwickelt und ist recht stabil. In Israel aber ist alles im Fluss, es entsteht immer etwas Neues.«
Etwa bei den Kichererbsenbällchen: Bei »Falafel Queens«, einer Kette in Israel, gibt es seit einigen Jahren auch »Rote Falafel« und »Orange Falafel«. Die roten sind mit Jalapeños gewürzt und werden mit gegrillter Paprika, Tomaten und scharfer Sauce serviert, und die orangefarbenen werden aus Süßkartoffeln in Verbindung mit Kohl und Honig zubereitet.
Bei Tabule, einem Salat aus Couscous und Petersilie, verweisen die Quellen auf einen teils ­libanesischen, teils syrischen Ursprung. Zur Hälfte könnte Herr Abboud also zumindest in diesem Fall recht haben. Beim Hummus schließlich gibt es sehr unterschiedliche Ursprungstheorien: Sie bewegen sich zwischen der Vermutung, es müsse mehrere tausend Jahre im östlichen Mittelmeerraum verbreitet sein, und der Einordnung ins 12. oder 13. Jahrhundert. Aus dieser Zeit stammt das früheste bekannte Rezept mit gekochten und pürierten Kichererbsen, freilich noch ohne Tchina. Vom Libanon allerdings ist auch da nicht die Rede.
Bislang wurde der israelisch-libanesische Wettstreit, woher der Hummus kommt, mit quasi sportlichen Mitteln ausgetragen. In Abu Gosch, einem in Israel gelegenen arabischen Dorf, dem man in Israel nachsagt, Herkunftsort des weltweit besten Hummus zu sein, hatten im Januar 2010 etwa 50 Köche, sowohl jüdische als auch arabische Israelis, auf einen Schlag über 4 000 Kilogramm Hummus gekocht. Der im Guinnessbuch registrierte Rekord ging jedoch im Mai 2010 zurück in den Libanon: 300 Köche im Dorf al-Fanar nahe Beirut schafften an einem Tag über 10 000 Kilogramm Hummus. Auf dem Weltmarkt allerdings dominiert das israelische Unternehmen »Sabra Hummus« als erfolgreichster Exporteur.
Gibt es überhaupt eine israelische Küche? »Ja, definitiv«, sagt Orit Rozin. »Man muss nur unterscheiden zwischen Fastfood, einfachem und preisgünstigem Essen und gehobener Küche.« Auf jeder dieser Ebenen hebe sich Israel deutlich von anderen Ländern ab. Die Küche sei mittlerweile einzigartig, und das sei sie, zumindest kulinarisch, vor 60 oder 50 Jahren noch nicht gewesen. Das Fazit ihrer Forschung lautet: »Die Israelis teilen eine gemeinsame Cuisine, tauschen Rezepte aus und mögen die Mischung aus Ost und West. Heute ist die Küche, die so vieles integriert hat, in einem gewissen Sinn die Basis für israelische Identität.«
Auch Joan Nathan hat sich intensiv mit der israelischen Küche beschäftigt. Die Amerikanerin hat mit »The Foods of Israel Today« eines der wenigen Kochbücher zur israelischen Küche vorgelegt – »wenig« jedenfalls im Vergleich mit den Büchern, die sich mit der jüdischen Küche beschäftigen. Und »wenig« bezogen auf den deutschen und englischsprachigen Buchmarkt. In Israel selbst erleben die hebräischsprachigen Kochbücher seit einigen Jahren einen Boom. »Gewöhnlich wird Cuisine definiert als die Art zu kochen, die sich aus einer besonderen Kultur ableitet«, schreibt Nathan. Für sie ist die israelische Küche »ein Bastard, beeinflusst aus fast jeder Ecke der Welt, aber mit einer wachsenden Bedeutung der Zutaten, die im Lande wachsen«. Die jüdische hat im Unterschied zur israelischen Küche eine mehrtausendjährige Geschichte. Sie gehorcht der Kaschrut, den religiösen Vorschriften, welche Speisen wie zubereitet, aufgetischt und gegessen werden dürfen. Darüber hinaus hat sich die jüdische Küche in den Ländern, in denen es größere jüdische Gemeinschaften gab, etwa in den osteuropäischen Schtetls, jeweils weiterentwickelt und viel von den Besonderheiten dieser Länder aufgenommen.
Die interessante Mischung aus Behauptung und Veränderung der hergebrachten Tradition hat Teddy Kollek, langjähriger Bürgermeister Jerusalems, am Beispiel des Tscholent, des Schmortopfs, der zum Schabbat zubereitet wird, beobachtet: »Der Mensch kann seine Lebensweise ändern und seinen Wohnsitz wechseln, seinen Essgewohnheiten jedoch bleibt er treu, denn diese sind ein integraler Bestandteil seiner kulturellen Identität. So gibt es keinen aschkenasischen Juden, dem es einfallen würde, in seinen Tscholent hart gekochte Eier hineinzugeben, während ein rein sefardischer Tscholent gar nicht anders vorstellbar ist.« Von allen Wurzeln der israelischen Küche ist die jüdische gewiss die prägendste. Israel ist ein jüdischer Staat, und seine Bevölkerung besteht zu vier Fünfteln aus Juden. Aber auch das übrige Fünftel – überwiegend arabische Israelis – baut Lebensmittel an, kocht und isst. Und die muslimischen Vorschriften, damit ein Essen halal ist, sind ähnlich wie die Kaschrut, die jüdische Speisegesetzgebung, aber nicht identisch. Zudem kümmert sich ein großer Teil der jüdischen Bevölkerung gar nicht darum, ob ihre Mahlzeiten koscher sind. Ähnliches gilt für weite Teile der arabischen Bevölkerung bezüglich der muslimischen Speisegesetze.
»Es ist schwer, in Tel Aviv ein gutes koscheres Restaurant zu finden, und das ist wirklich kein Witz«, sagt Orit Rozin. Besonders deutlich wurde die verbreitete Bereitschaft zum unreligiösen Essen in den neunziger Jahren, als, wie man in Israel sagt, »die Russen« kamen: Menschen aus früheren Sowjetrepubliken wie Russland, der Ukraine, Georgien, Kasachstan und Weißrussland. Die Einwanderungsgesetze Israels besagen, dass ein Rückkehrrecht ins Heilige Land für alle gilt, die einen jüdischen Großelternteil haben. Das unterscheidet sich von der halachischen Definition, wonach Jude ist, wer eine jüdische Mutter hat oder zum Judentum übergetreten ist. Entsprechend sehen sich viele der russischen Einwanderer zwar als Israelis, nicht aber als Juden. Mit kulinarischen Folgen: Schon am neuen Busbahnhof in Tel Aviv findet sich unübersehbar das »Kingdom of Pork«, ein rosa angemalter Stand für Schweinefleisch. Gleich ­neben der viel befahrenen Straße und dem Parkplatz für Scherutim, die Sammeltaxen, drängeln sich meist asiatische Arbeiter um diesen Stand, der seinen Namen auf Hebräisch, Russisch und in Thai angeschlagen hat. So etwas war bis Anfang der neunziger Jahre in Israel undenkbar. Doch mittlerweile wird alles angeboten, was das Schwein hergibt – sogar Blutwurst: »für fromme Juden wohl die abscheulichste aller Kombinationen«, wie der in Jerusalem lebende Journalist Ulrich Sahm befindet.
Schon früher gab es Schweinezucht in Israel. Diese wurde meist von Christen betrieben, aber auch in Kibbuzim, wenn sie sich säkular und sozialistisch verstanden. Aufgrund der vom israelischen Oberrabbinat vorgegebenen Regeln züchtete man auf einem künstlich erhöhten Boden aus Holz oder Beton: Durch diesen Trick konnte niemand mehr behaupten, der Boden des Heiligen Landes sei verunreinigt worden. Ein Kibbuz-Bauer, der Schweine züchtet, erklärte: »Wir betreiben ein offizielles Forschungsinstitut zum Testen von Medikamenten. Per Gerichtsurteil dürfen wir für die Tests ungeeignete Schweine zu Wurst verarbeiten.« Seit 1959 produziert etwa der große Kibbuz Mizra bei Nazareth Schweinefleisch, das er an unkoschere Supermärkte und Restaurants liefert. In Israel wird er dafür kritisiert. Verboten wurde die Auslieferung von Schweinefleisch aber erst 1987 in den palästinensischen Gebieten, als durch die erste Intifada Islamisten Macht auch über den Alltag der Menschen erhielten.
In Israel wurde stets Schweinefleisch verkauft, nicht nur in Tel Aviv, sondern sogar in manchen West-Jerusalemer Restaurants, aber es wurde immer verschämt als »white meat« deklariert. Dass dieses »weiße Fleisch« zur gängigen Küche Israels zählt, kann Orit Rozin nicht bestätigen: »Dass es plötzlich Schweinemetzger in Israel gibt, hat die israelische Küche kaum verändert.« Vielmehr lebten viele Einwanderer aus der früheren Sowjetunion in ihren eigenen Vierteln und würden diese kaum verlassen. Nur dort befänden sich die Metzgereien und Supermärkte, die unkoschere Waren verkaufen. Ihr Einfluss auf die übrige israelische Gesellschaft sei gering. »Sie haben nicht mal die Restaurantszene nennenswert verändert«, sagt Rozin. »Außerhalb ihrer Viertel haben sie keinen großen Einfluss.«

Das zionistische Wunder

Der Staat Israel existiert seit 1948, doch zionistische Siedler kamen bereits Ende des 19. Jahrhunderts, und eine kleine Gruppe Juden hatte immer schon in dem Land, das früher Kanaan und Judäa, später Palästina hieß, gelebt – man nennt sie oft »den Alten Jischuw«. Ihre Küche war stark von der osmanischen beeinflusst sowie, natürlich, von dem Gemüse und dem Obst, das damals – vor allem von den arabischen Bauern – angebaut wurde: Die Ernten waren in der Regel mager. Der Rabbiner David D’Beth-Hillel, der im 19. Jahrhundert Palästina besuchte, berichtete 1832 von einer Reise, dass er »Blumenkohl auf dem höchsten Stand der Perfektion, ähnlich dem englischen und amerikanischen«, gegessen hätte. Aber, bemängelte er, auch die »nicht kultivierte arabische Kartoffel« habe er in großer Menge gesehen. Des Weiteren registrierte der reisende Rabbiner schlechte Äpfel und zu milden Tabak.
Wie es wenige Jahrzehnte später in Palästina aussah, hat der amerikanische Schriftsteller Mark Twain in seinem Reisebericht »Die Arglosen im Ausland« aus dem Jahr 1869 festgehalten: »Palästina sitzt in Sack und Asche. Über ihm brütet der Bann eines Fluches, der seine Felder hat verdorren lassen und seine Tatkraft gefesselt hat.« Was nur wenige Jahre später durch die europäischen Zionisten um Theodor Herzl zum manchmal vielleicht zu sehr gelobten Land avancierte, galt Twain als »verlassen und hässlich«. Selbst Jerusalem, die Heilige Stadt, hatte für ihn »all seine Größe verloren und ist ein Bettlerdorf geworden«. Als etwas treffender in der Prognose erwies sich Twains Kollege Herman Melville. 1856/57 bereiste er Palästina und notierte in seinem Tagebuch über Artas, einen Bauernhof in der Nähe von Betlehem: »eine Art von landwirtschaftlicher Akademie für Juden, um das Heilige Land auf seine Position als Mittelpunkt der Erde am Ende der Tage vorzubereiten«. Die Begründer der Farm in Artas gehörten der protestantischen Sekte der Siebenten-Tags-Adventisten an. Bei dieser originellen Kombination blieb Melville skeptisch: »Zum Ersten ist Judäa mit nur wenigen Ausnahmen eine Wüste. Zum Zweiten hassen die Juden die landwirtschaftliche Arbeit. Alle, die in Palästina die Erde bearbeiten, sind Araber. Die Juden trauen sich nicht, außerhalb ihrer gemauerten Städten und Dörfern zu leben, weil sie eine heimtückische Verfolgung durch die Araber und Türken befürchten. Außerdem ist die Zahl der Juden in Palästina vergleichsweise klein.« Melville war sich sicher: »Nur durch ein Wunder« könnte das Heilige Land jüdisch besiedelt werden. Die ersten zionistischen Siedler, die sich an dieses Wunder heranwagten, waren meist chassidische Juden aus Osteuropa, die vor Pogromen und Perspektivlosigkeit in ihrer Heimat flohen. Etwa 30 000 Juden machten Alija, wie man auf Hebräisch zur Einwanderung sagt. Hinzu kamen etwa 5 000 jemenitische Juden und je etwa 1 000 Juden aus Usbe­kistan und dem Irak. Alle Einwanderungsgruppen brachten ihre Art zu kochen und zu essen mit.
Das war bei den Chassiden oft die schwere Schtetl-Küche mit ihrem Klassiker, den Gefillte Fisch, die sich am heißen Mittelmeer als nicht so gut verdaulich erwies. Aber zur ersten Alija gehörten auch viele Juden, die sich nicht religiös verstanden, die sozialistisch dachten und weltlich aßen. Und anders als für Einwanderer aus dem Jemen, die weitgehend ihre alte Küche beibehalten konnten und wollten, war für die Europäer im Heiligen Land beinahe alles anders. Das mediterrane Klima hatte sehr wenig gemein mit dem, was sie aus Polen oder Russland kannten. Hier wuchs ja auch ganz anderes Gemüse: Artischocken, Auberginen, Kichererbsen, Oliven, Paprika und Zucchini. Und für etliche der Einwanderer aus Osteuropa war die Vorstellung, rohes Gemüse zu essen, völlig fremd. Erst der Kontakt zu jemenitischen Juden lehrte sie die Vorzüge von Rohkost. Auch der Kontakt zur palästinensischen Bevölkerung half den frühen Zionisten. »Die jüdischen Siedler haben nach neuen Wegen gesucht, wie sie an ihre biblische Vergangenheit anknüpfen können«, sagt Yael Raviv, eine israelische Kulturwissenschaftlerin. »Da waren die Araber perfekte Vorbilder für sie.«
Etwa zur gleichen Zeit wie die erste Alija kamen auch deutsche Templer nach Palästina. Und da es den russischen und polnischen Juden meist an landwirtschaftlicher Erfahrung mangelte und sie mangels Arabischkenntnissen kaum mit den im Lande lebenden Arabern kommunizieren konnten, wandten sie sich oft an die überwiegend aus dem ländlichen württembergischen Raum stammenden Templer. Jiddisch und Deutsch waren schließlich halbwegs kompatibel. »Die jüdischen Siedler lernten von den Templern, was es bedeutete, ein Leben als Bauer zu führen. Und von deutschen Frauen lernten sie Beschäftigungen wie die Aufzucht von Geflügel und von Gemüse in heimischen Gärten«, schreibt der Historiker Naftali Thalmann. »Die Templerkolonien waren exemplarische Modelle moderner landwirtschaftlicher Siedlungen in Palästina.«
Die Kooperation von Juden und Templern sollte sich für die frühen Zionisten als – buchstäblich – fruchtbar erweisen: Beide Gruppen bauten Wein an, den sie aus Deutschland importiert hatten. Und 1887 reiste Baron Edmond de Rothschild nach Palästina. Der französische Philanthrop und Sohn des James de Rothschild, der wiederum das große Bankhaus begründet hatte, besaß in Frankreich ein Weingut. Nicht nur weil ihm der Wein schmeckte, den man ihm im Heiligen Land bot, wusste er: Palästina hatte Perspektive. Und Rothschild kaufte Land. Die Städte Zichron Jaakow und Rischon LeZion entstanden durch seine Initiative. Der Wein wuchs in den Bergen im Norden des Landes, was nicht nur positive Aspekte hatte. »Die meisten Bauern waren zufrieden mit dem sicheren Einkommen durch ihre Weinberge und entwickelten keinen anderen Anbau«, schreibt der Historiker Dan Giladi. »Auch der sehr niedrige Preis für die frischen Produkte, die aus den benachbarten arabischen Dörfern kamen, ermunterte sie nicht, ihr eigenes Essen anzubauen.« Gegen Ende des 19. Jahrhunderts, schätzt Giladi, bedeckten Rothschilds Weinstöcke etwa die Hälfte des kultivierten Bodens Palästinas. Dieser allzu ausgeprägte Schwerpunkt auf ein Produkt rächte sich, als die Weinreben um 1891 von einer Krankheit befallen wurden.

Die Küche der Kibbuzim

Trotz dieser Misserfolge gehen auf Baron de Rothschild erfolgreiche Experimente, was den Anbau von Oliven, Feigen, Mandeln und Grapefruits angeht, zurück. Rothschild gab sein persönliches Engagement nie auf: 50 Millionen Dollar soll er für die Förderung des frühen Zionismus ausgegeben haben. Weder Rothschilds Mäzenatentum noch die Siedlungsbewegung in Palästina entsprangen historischem Zufall. Es waren antisemitische Pogrome und die durch Industrialisierung bewirkte Verarmung großer Schichten der Bevölkerung, auch der jüdischen, die den Gedanken an Auswanderung nahelegten. Auf der politischen Ebene formierte sich 1897 in Basel der 1. Zionistenkongress. Unter dem Vorsitz des Wiener Journalisten Theodor Herzl wurde ein politisches Programm formuliert: »Der Zionismus erstrebt die Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina für diejenigen Juden, die sich nicht anderswo assimilieren können oder wollen.« Gerade auf junge aschkenasische Juden sollte der Zionismus in den Folgejahren eine große Attraktivität ausüben. Im Jahre 1895 lebten in Palästina 47 000 Juden, das waren 9,4 Prozent der Bevölkerung. Sieht man von Rothschilds Geld, das nicht alle Juden erreichte, ab, waren die meisten Juden arm. Das Land gehörte zu über 99 Prozent palästinensischen Arabern, nur zu 0,5 Prozent Juden.
Die frühen Zionisten hatten auch durchaus Konflikte mit Baron de Rothschild. Sie warfen ihm Kolonialismus vor, während ihnen eine »Eroberung der Arbeit« vorschwebte: also nicht einheimische Arbeitskräfte für sich schaffen zu lassen, sondern das Gelobte Land mit eigener Hände Arbeit zu erschließen. Dieser Ansatz war umstritten, schloss er doch arabische Arbeiter von den neu entstehenden Produktionsstätten aus. Von 1904 bis 1914 kamen mit der zweiten Alija etwa 40 000 Juden aus Osteuropa. Diese Einwanderungswelle war deutlich zionistischer geprägt als die erste. In diese Zeit fällt auch die Gründung Tel Avivs (1910), der ersten hebräischen Stadt, wie es damals hieß. Und am See Genezareth entstand mit Degania der erste Kibbuz. Die Not, die viele Juden aus Europa fliehen ließ, verband sich mit einem ungeheuren Optimismus. So fanden während der dritten Alija – zwischen 1919 und 1923 – etwa 40 000 Juden eine neue Heimat am Mittelmeer.
Neben und mit den in Palästina lebenden Arabern entstand allmählich eine neue Gesellschaft. Einwanderer aus völlig unterschiedlichen Kulturkreisen kamen ins Land: aschkenasische Juden aus den USA, Sefarden und Mizrahim aus arabischen, südeuropäischen und afrikanischen Ländern. Ihr gemeinsames Band war das Judentum und allzu oft die Erfahrung von Antisemitismus. Der gemeinsame kulinarische Nenner der Einwanderer und der wenigen Alteingesessenen waren die jüdischen Speisegesetze. Doch schon die Frage, ob und wie ernst diese Regeln befolgt werden sollen, wurde sehr unterschiedlich beantwortet.
Für die jüdische Besiedlung Palästinas waren Kibbuzim von großer Bedeutung. In deren Küchen und Speisehallen entstand eine neue, eher funktionelle Form des Essens und der Zubereitung. Vieles, das noch heute den Alltag in Israel prägt, entstammt den Kibbuzim: etwa das typische israelische Frühstück vom Buffet, mit viel frischem Obst, frischem Brot, Tomaten- und Auberginensalat und dem weißen, körnigen Hüttenkäse. Neben den Kibbuzim entstanden die Moschawim, ebenfalls genossenschaftlich organisierte Siedlungen, aber eine bürgerlichere Form. Sie setzten auf vieles, auf das die Kibbuzim aus ihrem sozialistischen Selbstverständnis heraus verzichteten: auf die individuelle Kindererziehung, auf privaten Besitz, die Familie.
Beide, Kibbuzim und Moschawim, versorgten die wachsende jüdische Gesellschaft in Palästina mit Grundnahrungsmitteln. Als die Nachfrage größer wurde, entstand 1926 die Tnuva, eine von der jüdischen Arbeiterbewegung initiierte Kooperative, die sich um die schnellere Verteilung der Waren kümmerte. Gerade für die in den Kibbuzim produzierte frische Milch war das von großer Bedeutung. Wer heute in Israel schnell und, verglichen mit den Supermärkten, relativ günstig frische Lebensmittel einkaufen will, der geht auf den Schuk – den Markt. Diese Oasen für alle Sinne entstanden um die Jahrhundertwende.
Den Machane Jehuda, den größten Markt in Israels Hauptstadt Jerusalem, gibt es seit 1870. Einige Jahre später, um 1908, wurden solche Märkte auch überdacht und mit kleinen Verkaufsnischen versehen. Der Carmel-Markt in Tel Aviv, einer der schönsten und größten des Landes, wurde in den zwanziger Jahren gegründet. Wie sich die Menschen aus so vielen Winkeln der Erde miteinander verständigen mussten und dafür Hebräisch lernten, die von Elieser Ben-Jehuda wiederbelebte Sprache der Israeliten, so musste sich langsam auch eine gemeinsame Küche entwickeln. Eine Pionierin war Erna Meyer, eine deutsche Jüdin, promovierte Hauswirtschaftslehrerin und Architektin, die in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts nach Palästina gekommen war und im Auftrag der zionistischen Frauenorganisation WIZO das Buch »Wie kocht man in Erez Israel?« vorlegte. Es erschien 1936 in Tel Aviv auf Hebräisch, Englisch und Deutsch. »Wir Hausfrauen müssen den Versuch unternehmen, unsere Küche von europäischen Gewohnheiten zu befreien«, heißt es darin, »sie passen nicht zu Palästina.« Entsprechend schrieb Meyer nicht nur Rezepte nieder, sondern erklärte auch, wie regionale Produkte zu verarbeiten sind: Wie lässt sich mit der in Osteuropa völlig unbekannten Aubergine kochen? Wie kann man zum Braten Olivenöl statt Butter nutzen? Schon in Deutschland hatte Erna Meyer mit ihrem Buch »Der Neue Haushalt. Ein Wegweiser zur wissenschaftlichen Hausführung« 1926 einen Bestseller vorgelegt. Meyer wollte die Haushaltsführung so gestalten, dass die Frau, auch wenn sie sich weiter um die Küche kümmerte, an allen gesellschaftlichen Dingen teilhaben konnte. Damit ihre Vorstellungen einer effektiven Haushaltsführung sich auch durchsetzten, erschien 1938 ein Wörterbuch der Küchenbegriffe, wiederum in Deutsch, Hebräisch und Englisch.
Der New Yorker Restaurantkritiker, Historiker und Rabbiner Gil Marks schreibt in seiner »Encyclopedia of Jewish Food«, dass im Grunde das typische Schabbatessen in Israel auf der bewussten Mischung der verschiedenen nationalen und regionalen jüdischen Küchen basiere, die Erna Meyer lehrte: »Zum Anfang vielleicht ein marokkanisches Fischgericht, dem eine aschkenasische oder kurdische Hühnersuppe folgen kann, zu der auch nahöstlicher Hummus und Auberginensalat gereicht werden kann. Danach vielleicht ein Hauptgang aus Hähnchenschnitzel oder vielleicht marokkanischem Couscous.« Und genau das gilt auch dem »Israel Defense Force Cookbook« als typisch israelisches Essen; den Verweis auf die Armee und ihre Kochvorschriften verdanken wir Joan Nathan. Er zeigt eine weitere Besonderheit Israels auf: dass Staat und Regierung ein großes Interesse an der Entstehung einer eigenständigen nationalen kulinarischen Kultur hatten. David Ben-Gurion, der erste Premierminister des Landes, hatte schon früh verkündet, er wünsche sich, dass es eines Tages ein »israelisches Essen« gebe, so wie der »israelische Volkstanz« als Begriff um die Welt gegangen war. Ben-Gurion dachte sogar darüber nach, den Einwanderern aus Jemen, Irak und Persien staatlicherseits ein eigenes Essen zukommen zu lassen.

Alte und neue Heimat

Dov Noy, Ethnologe in Jerusalem, glaubt, dass es in Israel nicht mehr die Idee von der Gesellschaft als Schmelztiegel gibt. Vielmehr domi­niere mittlerweile die Vorstellung, das Land sei eine Art Mosaik – auch beim Essen –, das »der Nation den Rahmen gibt, wo jede Schüssel unterschiedlich ist und für sich selbst steht«. Die Soziologin Orit Rozin schreibt in ihrem Aufsatz »Food, Identity, and Nation-Building«, die Essgewohnheiten seien »Werkzeuge für das Entstehen einer homogenen Nation«. Anders als Ben-Gurions private Gedanken nahelegen, attestiert Rozin der israelischen Politik in den ersten Jahren des Staates, dass sie bei den Neuankömmlingen aus aller Welt nicht nur deren physisches Wohlbefinden, sondern auch ihre Würde im Blick gehabt habe.
Bei aller Rücksichtnahme: Letztlich wurde im Heiligen Land doch von allen etwas anderes gegessen als noch in ihrer alten Heimat. Und das wurde auch anders hergestellt als in den Herkunftsländern. Gerade die Kibbuzbewegung veränderte die Art, wie Lebensmittel produziert wurden. Und sie beendete auch die Ära der Hausfrau: Im Kibbuz arbeiteten alle zusammen, meist in der Landwirtschaft. Und für das Kochen gab es Großküchen, deren Speisen in großen Sälen gereicht wurden. Auch das Wohnen und die Kindererziehung wurden kollektiviert – die klassische Familie mit dem Vater als Ernährer und der Frau am Herd existierte nicht mehr.
Wie sehr schon die frühen Zionisten das Verhältnis der Geschlechter durcheinanderwirbelten, beschreibt der Schriftsteller Joseph Baratz in seinem Buch »Siedler am Jordan«, das vom ersten Kibbuz in Erez Israel handelt: Die Frauen forderten von den Männern, endlich als Kibbuzniks ernst genommen zu werden, auf den Feldern und Plantagen arbeiten, in den Ställen für Kühe und Hühner Verantwortung tragen zu dürfen, und nicht mehr für den Haushalt vorgesehen zu sein. »Am Ende haben die Frauen gewonnen«, schreibt Baratz. »Teilweise haben wir verstanden und uns geändert. Nun wissen wir, dass Frauen landwirtschaftlich arbeiten können, dass sie pflügen können, ja sogar kämpfen. Nicht ihre Worte haben uns überzeugt, sondern ihre Taten.« Ob die Kibbuzbewegung ein neues Verhältnis der Geschlechter zueinander bewirkte, ist umstritten. »Was da passierte, geschah doch nur in den Kibbuzim«, sagt Orit Rozin. »Das galt nicht für den Rest der Bevölkerung.«
1917, die ersten Kibbuzim waren gerade entstanden, zerstörte eine Plage beinahe die gesamte Gemüseernte. Auch die Orangenproduktion – die Jaffa-Orange fing gerade an, Großbritannien und sogar neue Märkte in Amerika zu erobern – nahm enormen Schaden. Zudem sorgte der Erste Weltkrieg dafür, dass kaum Jaffa-Orangen nach Europa abgesetzt werden konnten. In jenem Jahr gab Großbritannien mit der Balfour-Deklaration sein Einverständnis, Palästina als »nationale Heimstätte« der Juden aufzubauen. Die Zeit der osmanischen Herrschaft war vorbei, britische Truppen eroberten Palästina, und das Land wurde britisches Mandatsgebiet.
Von Teddy Kollek stammt das Bonmot, dass damals besser die Franzosen gekommen wären: Das hätte für die israelische Küche einen besseren Start bedeutet. Die Aussicht auf die Realisierung des Herzl’schen Traums eines jüdischen Staates beflügelte die zionistischen Siedler enorm. Hinzu kam, dass der Völkerbund, eine Vorgängerorganisation der UNO, 1923 die Teilung Palästinas in ein östliches Transjordanien und ein westliches Cisjordanien beförderte – das lief auf eine faktische Anerkennung des Zionismus durch den Völkerbund hinaus. Etwa 80 000 Juden kamen im Rahmen der vierten Alija, die etwa von 1924 bis 1931 dauerte, ins Land. Welche Veränderung die Einwanderung bewirkte, lässt sich am Beispiel des Obstanbaus zeigen: Vor dem Ersten Weltkrieg gab es auf dem Gebiet des heutigen Israel etwa 7 500 Hektar an Obstgärten, ein Drittel davon gehörte Juden. Ende der zwanziger Jahre waren etwa 35 000 Hektar Obstgärten im Besitz von Juden. Drei Viertel des Exports, den Palästina abwickelte, waren Zitrusfrüchte. Vor allem waren es Jaffa-Orangen, die in den Export gingen. Jaffa-Orangen sind, anders als ihr Name andeutet, keine exklusiv israelische Orangensorte. Den Namen nach der südlich von Tel Aviv gelegenen Stadt Jaffa haben diese besonders süßen Orangen nur, weil sie vom dortigen Hafen in alle Welt exportiert wurden. Es gibt sie außer in Israel und den palästinensischen Gebieten in Zypern, dem Irak, dem Libanon, Syrien und der Türkei.
Je mehr Juden in Palästina lebten, umso stärker entwickelte sich eine Art Binnenökonomie: Wenn es beispielsweise mehr Bäcker gab, so setzte sich auch langsam eine andere, eine neue Art, Brot zu backen, durch, die sich von den arabischen Pita-Bäckereien zwar nur geringfügig unterschied, aber eine neue Tradition begründete. Es waren die kleinen, aber feinen Unterschiede, die entstehen, je nachdem, ob jemand sein Bäckerhandwerk in Warschau, Chicago, Tunis oder Jerusalem gelernt hatte. Zudem gab es in den zwanziger und dreißiger Jahren regelrechte Kampagnen unter den Siedlern, man solle »jüdisch« kaufen, also eher Waren von jüdischen als von arabischen Herstellern beziehen. Es kam sogar zu kulinarischen Kuriositäten wie dem Kochen von Plumpudding, einer traditionellen englischen Weihnachtssüßspeise, weil assimilierte Juden diesen Brauch zum christlichen Fest in ihren Heimatländern gepflegt hatten.

Kochen in der Krise

Doch auch die Erfolgsmeldungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Leben der jüdischen Einwanderer, wie auch das der palästinensischen Bevölkerung, schwierig war. Der amerikanische Autor Antonia Frederick Futterer berichtet in seinem Buch »Palestine Speaks« (1931), dass er arabische Juden getroffen habe, die von einem Besuch in Kairo zurückkamen: »Sie trugen einen kleinen Bestand von Essen, ein bisschen Zucker, hart gekochte Eier und Schokolade bei sich. Sie erklärten, dass sie diese Dinge mit nach Hause zu ihren Familien bringen würden, und beschwerten sich bitterlich über den Hunger und das Sterben in Palästina, im Vergleich zu Ägypten.« Die angespannte Situation verbesserte sich auch nicht durch die fünfte Alija von 1932 bis 1945. Vor allem Flüchtlinge vor dem NS-Terror kamen nach Palästina, oft mittellos und zu einem nicht geringen Teil akademisch ausgebildet. Doch die junge zionistische Gesellschaft suchte Handwerker und Arbeiter.
Als der Zweite Weltkrieg begann, verschlechterte sich auch die Situation der Obstwirtschaft in Palästina. Der europäische Markt, auch der in Großbritannien, brach fast völlig weg. Wissenschaftler suchten nach Lösungen, wie die überschüssigen Orangenmengen konserviert werden konnten: in Form von Düngemitteln, Vitamintabletten, Marmelade oder Orangenöl. Auch kondensierter Orangensaft wurde entwickelt, und die Kibbuzim, bis dato meist reine Landwirtschaftsbetriebe, bauten Betriebe zur Nahrungsmittelproduktion auf. Mit den Idealen der Naturverbundenheit der frühen Zionisten waren die harten dreißiger und vierziger Jahre nicht zu vereinbaren. Statt Erna Meyer fand nun Lilian Cornfeld Gehör. Die gebürtige Kanadierin arbeitete in Montreal als Lehrerin, bevor sie nach Palästina emigrierte. Dort wirkte sie als Ernährungsexpertin, unter anderem mit Kolumnen in der »Palestine Post«, der späteren »Jerusalem Post«. In den dreißiger Jahren hatte sie auch eigene Radiosendungen, und 1948 schrieb sie das Kochbuch »Ani mevaschelet«, übersetzt: »Ich koche«. 1949 legte sie ein weiteres Buch vor, in dem sie erklärte, wie man mit Notrationen kochen kann. Als Ernährungsberaterin arbeitete sie auch für die WIZO, für die US-Armee, das amerikanische Rote Kreuz und das UN-Hilfsprogramm UNNRA.
Während Erna Meyer noch die verschiedenen nationalen und regionalen Küchenrichtungen in gewisser Weise fusionieren wollte, sprach sich Lilian Cornfeld strikt gegen das Essen der Diaspora aus. Sie propagierte eine mediterrane jü­dische Küche, vitaminreich und fettarm. Die Diasporaküche, schrieb sie, habe gemein, dass »große Mengen an Fleisch und anderes fettes Essen konsumiert werden. Daher werden zu wenig Früchte und Gemüse gegessen, und nur teilweise in einem frischen und ungekochten Zustand. Die Kochmethoden sind sehr grob und neigen dazu, dem Obst und dem Gemüse alle Frische zu rauben, indem sie lange und ausdauernd gekocht werden – übertrieben noch durch Braten mit viel Fett.« Cornfeld nannte ein Beispiel, das sie besonders aufregte: Karotten. »Sie sind das einzige Gemüse, das die Menschen aus Polen freiwillig essen. Aber es wird nur zu sich genommen, nachdem es seine ursprüng­liche Form verloren hat. Die Hausfrau ist vor allem stolz darauf, dass die Karotte so zubereitet wurde, dass es unmöglich ist, sie als Karotte zu erkennen. Wenn sie jedoch auf so eine Weise gekocht werden, verlieren die Karotten jeden Nährwert, den sie einmal hatten.«
Es kamen viele Aspekte zusammen, die Cornfelds Küchenphilosophie erfolgreich machten: so auch die wirtschaftliche Krise, verstärkt durch den Unabhängigkeitskrieg, die allzu häufigen Fleischverzehr verhinderte. Viele Rezepte aus der Diaspora – und besonders die schwere Küche aus Osteuropa – galten als kaum verträglich mit den Bedürfnissen, die jemand hatte, der in einem heißen Mittelmeerland körperlich hart arbeiten muss. Schließlich wurde Cornfeld von vielen zionistischen Organisationen, allen voran der WIZO, stark unterstützt. Und deren In­teresse war es, die vielen Flüchtlinge möglichst schnell, günstig und gut zu ernähren.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus: Katrin Richter/Martin Krauss: Israelisch Kochen. Verlag Die Werkstatt, ­Göttingen 2012, 168 Seiten, 16,90 Euro. Der Band ist soeben ­erschienen.