Margarethe von Trottas Film über Hannah Arendt

Bildnis einer Denkerin

Margarethe von Trotta hat einen klugen Film über Hannah Arendt gemacht.

Ihre Filme stellen die Biographien von Frauen in den Mittelpunkt. Margarethe von Trotta hat Biopics zu Rosa Luxemburg, den Ensslin-Schwestern und Hildegard von Bingen gedreht. Nun hat sie sich Hannah Arendt gewidmet, die sie für die wichtigste Denkerin des 20. Jahrhunderts hält. Die Herausforderungen, die das Genre Biopic stets bereithält, sind ungleich größer, wenn das Leben einer Theoretikerin erzählt werden soll: Wie die Lebensleistung einer Intellektuellen filmisch darstellen, ohne die Persönlichkeit durch die Reduktion auf das Private zu trivialisieren? Trotta gelingt das nicht immer, und trotzdem ist es lohnend, den Film anzusehen.
Der Film konzentriert sich auf die Zeit von der Ergreifung Adolf Eichmanns 1960 bis zur Veröffentlichung von Arendts Buch »Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen«. So kann sich Trotta auf einige wenige Leitfragen im Werk ihrer Figur konzentrieren. Die These von der »Banalität des Bösen« und die Frage nach der Rolle der Judenräte bei der Ermordung der europäischen Juden stehen im Mittelpunkt des Films. Diese Beschränkung auf die Theorie dürfte Kassengift sein und zugleich ist es Trotta hoch anzurechnen, diese Entscheidung getroffen zu haben. Eine Darstellung von Arendts Emigration, Internierung in Frankreich und Flucht beispielsweise hätte sicherlich mehr Knalleffekte geboten.
Barbara Sukowa, die bereits als Rosa Luxemburg und als Hildegard von Bingen zu sehen war, spielt Arendt als bedächtige, jeden Gedanken langsam entwickelnde, aber auch humorvolle und ihren Freunden sehr zugewandte Frau. Arendts Zeit in New York erscheint als durchaus geruhsam, ein Leben zwischen Unterrichtstätigkeit und Schreiben im heimischen Arbeitszimmer voller endloser Diskussionen mit dem liebevollen Ehemann Heinrich Blücher (Axel Milberg) und dem Freundeskreis, der vorrangig aus deutschen Migranten besteht. Die Beschaulichkeit endet, als Arendt sich entschließt, als Korrespondentin des New Yorker den Eichmann-Prozess in Jerusalem zu begleiten. Ehemann und Freunde versuchen Arendt von der Reise abzuhalten – zu aufwühlend könnte das für sie werden. Die Debatten der Subkultur der europäischen Emigranten in New York, in der Arendt und Blücher verkehrten, werden im Film, immer umwölkt von ordentlich Zigarettenrauch, tatsächlich nachvollziehbar.
Trotta lässt Arendt zunächst als Privatperson verständlich werden und auf dieser Grundlage ihre politisch-philosophische Persönlichkeit entstehen. So entwickelt Arendt ihre Gedanken zunächst im Gespräch mit einer Freundin; erst ganz am Schluss des Films wird sie eine große Rede halten, in der sie ihre Anschauung gegen alle Kritik verteidigt. Und tatsächlich gelingt dieser Ansatz: So skeptisch man Arendts Theorie gegenüberstehen kann, so angreifbar sie durch die Umdeutung ihrer Lehren für die unsägliche Totalitarismustheorie geworden ist, die Darstellung ihres persönlichen Hintergrundes verdeutlicht, wie sie zu ihren Thesen kommen konnte.
Sukowas Darstellung der Arendt ist es anzumerken, dass sie sich mit den Texten ihrer Figur intensiv auseinandergesetzt hat. »Ich brauchte eine Schauspielerin, der ich beim Denken zusehen kann. Das habe ich nur Barbara zugetraut«, so die Regisseurin. Sukowa entwickelt ihre Gedankengänge vor der Kamera mit einer Konzentration, die die Zuschauer wirklich mitnimmt, eine wohltuende Abwechslung nach unzähligen Filmen, die tiefes Nachdenken nur durch stundenlanges Starren auf Bücherwände bebildern können.
Der Versuch, die private Hannah Arendt ebenso wie die Denkerin darzustellen, überzeugt nicht immer. Will man Arendt wirklich in der liebevollen Umarmung mit Heinrich Blücher sehen? Und muss man ihre Eifersucht auf die Geliebte des Ehemannes tatsächlich kennen, um ihr Werk zu verstehen? Wirklich unangenehm wird der Versuch, Denken und Leben zu verknüpfen, in den wiederholt eingeflochtenen Rückblenden auf die Studienzeit. Die relativ unmotivierten Wendungen zurück in die zwanziger Jahre, zurück zur jungen Hannah und ihrer Amour fou zu einem gewissen Professor Martin Heidegger gehen zu Lasten der Seriosität, die der Film eigentlich durch die Konzentration auf Arendts Werk beansprucht. Wenn Arendt als junge Frau in einem Marburger Wald spazieren geht, den schwärmenden Martin Heidegger an ihrer Seite, möchte man am liebsten vorspulen zur nächsten Debatte zwischen Arendt und ihren Widersachern. Trotz dieser Schwächen gelingt dem Film das Kunststück, einige zentrale Thesen aus dem Werk zu vermitteln. »Menschen, die nicht denken, sind wie Schlafwandler«, so hat Arendt es in dem legendären Fernsehinterview mit Günter Gaus formuliert. Ihre These vom Kriegsverbrecher Adolf Eichmann als dem personifizierten Gehorsam, dem Bürokraten, der sich hinter dem Befehlsdruck versteckt, statt eigene Gedanken zu entwickeln, bildet für Trotta den Orientierungspunkt zum Verständnis ihrer Haupt­figur. Ihre Hannah Arendt ist eine Kämpferin für die Wahrheit, die sich unerschrocken einer feindlichen Welt entgegenstellt, eine sture, unnachgiebige Analytikerin, die lieber auf Freunde verzichtet, als eine Wahrheit zurückzuhalten. Dass sie nicht zur Jeanne d’Arc der politischen Theorie verkitscht wird, liegt auch an der Sorgfalt, mit der der Film die Motivation ihrer Widersacher schildert. Die zum Teil sehr persönlichen Angriffe, die auf Arendts Publikationen zum Eichmann-Prozess folgten, die Drohungen, denen sie von Seiten der Universitätsleitung, aber auch des Mossad und gewöhnlicher Nachbarn ausgesetzt war, sind der großen symbolischen Bedeutung geschuldet, die der Prozess gegen den hochrangigsten Befehlshaber der Shoah hatte.
Die komplexen Auseinandersetzungen werden so weit vereinfacht, dass sie einem breiten Publikum zugänglich werden. Das ist ebenso zu begrüßen wie die Entscheidung, auf eine schauspielerische Besetzung Adolf Eichmanns komplett zu verzichten. Die unzähligen Hitler-Personifikationen von Bruno Ganz bis Helge Schneider zeigen, dass die Darstellung einer historisch derart aufgeladenen Figur nicht gelingen kann. Lieber greift Trotta auf die bekannten Archivbilder aus dem Eichmann-Prozess zurück, diese Bilder können die tiefe emotionale Verstrickung der Prozessbeteiligten verdeutlichen. Die Aufnahmen des Überlebenden K. Zetnik (alias Yehiel De-Nur), der im Zeugenstand zusammenbrach, machen die Ablehnung verständlich, mit der Arendt konfrontiert ist. Eichmann als unmenschliches Monster, das erscheint den Zeitgenossen vorstellbarer als seine Reduktion auf ein Männchen, das zum eigenständigen Denken gar nicht in der Lage ist – im Film wie in der Realität führt diese Interpretation zum Bruch Arendts mit ihren besten Freunden Kurt Blumenfeld (Michael Degen) und Hans Jonas (Ulrich Noethen).
Was im Film nicht auftaucht, gar nicht auftauchen kann, weil die Darstellung sich auf einen kleinen Zeitraum beschränkt, ist das veränderte Wissen über Eichmann spätestens mit der vollständigen Veröffentlichung des Sassen-Interviews und der so genannten »Argentinien-Papiere«. Die Philosophin Bettina Stangneth, die auch einen Kommentar zu Trottas Film verfasst hat, hat diese Aufzeichnungen für ihr Buch »Eichmann vor Jerusalem – Das unbehelligte Leben eines Massenmörders« (2011) verwendet. Zur Zeit des Prozesses war die Echtheit der Notizen noch nicht erwiesen. Stangneth interpretiert sie als Nachweis dafür, dass Eichmann keineswegs der unbedachte Bürokrat war, als den Arendt ihn sah. Im Gegenteil stand er auch in der Nachkriegszeit noch hinter seinen Entscheidungen und wählte seine Rolle als unbedarfter Befehlsempfänger mit Bedacht.
Auch der Verhörbeamte Eichmanns, Avner Werner Less, zeigt in seinen Aufzeichnungen zum Prozess, die gerade auf Deutsch erschienen sind, ein ähnliches Bild von dem Angeklagten. Für ihn war Eichmann »die Quintessenz des aktiven Schreibtischmörders, einer von den Nazis ausgelösten Kettenreaktion deutscher Erziehung«, keinesfalls nur der »Hanswurst«, den Arendt in ihm sehen wollte.
Trotta ergreift Partei für Arendt, die in ihrer Darstellung zu einer Kämpferin für das kritische Denken, für die persönliche Freiheit wird. Ob Arendts Bild von Eichmann tatsächlich seiner Persönlichkeit entspricht, spielt für sie keine große Rolle, ebensowenig wie die Frage, ob Arendt sich tatsächlich im Ton vergriff, zu emotionslos über den Holocaust urteilte, wie es ihr von Überlebenden vorgeworfen wurde. Im Fokus des Films steht einzig die Frage nach der persönlichen Integrität, nach dem Mut, auch gegen Widerstände dem eigenen Wunsch nach Verstehen zu folgen. Wenn es auch einem Spielfilm nicht gelingen kann, die politischen Thesen einer Philosophin (oder politischen Wissenschaftlerin, wie Arendt sich selbst verstanden wissen wollte) umfassend darzustellen, macht Trottas Film es doch möglich, Arendt näher zu kommen.
Viele ihrer Thesen, für die sie von Freunden und Öffentlichkeit gescholten und gemieden wurde, sind heute Konsens. Die Absage an ein unfassbar Böses, die Erkenntnis, dass es ganz normale Menschen sind, die unvorstellbare Grausamkeiten ausführen, gehört dazu. Die Auseinandersetzung in ihrer ganzen Komplexität kann der Film nicht fassen. Als filmischer Versuch, eine Jahrhundertpersönlichkeit zu erfassen, ist er gelungen.

Margarethe von Trotta: Hannah Arendt. Ihr Denken veränderte die Welt (D 2012). Darsteller: Barbara Sukowa, Axel Milberg. Start: 10. Januar