Repression gegen Linke in Griechenland

Alles wird geräumt

Die griechische Regierung verstärkt die Repression gegen die anarchistische und antiautoritäre Szene. Die Verfolgung linksradikaler Aktivitäten ist dem Staat derzeit offenbar wichtiger als die rassistischer Morde.

Der Skandal um die sogenannte Lagarde-Liste blieb im ersten Monat des neuen Jahres das wichtigste Thema der griechischen Politik und Medien. Diese Liste enthält Namen griechischer Steuerhinterzieher. 2010 war sie der damaligen franzö­sischen Finanzministerin und heutigen Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF) Chris­tine Lagarde, zugespielt und von ihr an den griechischen Finanzminister weitergegeben worden, der offenbar nicht der Ansicht war, etwas unternehmen zu müssen. Die auch internationale Empörung über den Steuerskandal überschattet in der öffentlichen Wahrnehmung die wachsende rassistische Gewalt.
Am 17. Januar hatten zwei griechische Motorradfahrer den 27jährigen pakistanischen Einwanderer Shehzad Luqman in Petralona erstochen, einem ruhigen Viertel Athens. Ein Taxifahrer, der Zeuge war, hatte die Polizei informiert, die mutmaßlichen Täter wurden kurze Zeit später in der Nähe des Syntagma-Platzes festgenommen, einer hatte noch Blut an seiner Kleidung. Luqman war mit seinem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit in einer Bäckerei in Peristeri gewesen. Die zwei Griechen gaben später die Tat zu und behaupteten, ihr Opfer hätte ihnen den Weg versperrt. Bei der Durchsuchung ihrer Wohnungen fand die Polizei Flugblätter der Neonazi-Partei Chrysi Avgi und Waffen wie Messer und Schlagringe. In einer offiziellen Stellungnahme ließ die Polizei wissen, es sei noch nicht bewiesen, dass es ein rassistisches Motiv für den Mord gebe. Unmittelbar nach der Tat fanden in Athen antirassistische Demons­trationen mit Tausenden Teilnehmern statt.
Im griechischen Parlament waren die Abgeordneten des Linksbündnisses Syriza die einzigen, die in diesem Zusammenhang von »roher rassistischer Gewalt« und »faschistischen kriminellen Banden« sprachen, die »auf Athens Straßen patrouillieren«. Sie warnten Nikos Dendias, den Minister für Öffentliche Ordnung und Bürgerschutz, dass sie die Deckung des Verbrechens nicht tolerieren würden. Die Regierungsparteien reagierten mit heftigen Attacken gegen Syriza. Das Bündnis wird beschuldigt, mit linken Gewalttätern zu sympathisieren und in linksextremistische Aktivitäten involviert zu sein.

Auf letztere konzentriert sich derzeit die Aufmerksamkeit der griechischen Regierung, die seit Dezember gegen linke soziale Zentren, die teils seit mehr als 20 Jahren existierten, vorgeht. Die Räumungen der Squats Villa Amalias, Lelas Karagianni und Skaramaga in Athen zeigen, wen die Koa­litionsregierung für die »politischen Turbulenzen« im Land verantwortlich macht.
Die seit 1990 besetzte Villa Amalias im Stadtteil Agios Panteleimonas wurde nach einer Polizeirazzia Mitte Dezember geräumt, acht Personen wurden festgenommen und wegen schwerer Verbrechen angeklagt (Jungle World 1/2013). Nach der Räumung hatte die Polizei verkündet, dort seien »gefährliche Waffen« gefunden worden – leere Flaschen, die von Konzerten zurückge­blieben waren, und Spülmittel. Am 9. Januar hatten Anarchisten versucht, das Gebäude erneut zu besetzen, die Polizei griff ein und verhaftete 92 Personen. Drei Tage später demonstrierten 10 000 Menschen in Solidarität mit den Verhafteten und gegen »staatlichen Faschismus«. In den Tagen zuvor hatten verschiedenste Aktionen stattgefunden, unter anderem eine Besetzung der Zentrale der U-Bahn-Betriebe.
Ebenfalls am 9. Januar ging die Athener Polizei gegen das besetzte Haus Skaramaga vor. Gegen drei Uhr Nachmittag schlugen Aufstandsbekämpfungseinheiten die Tür ein und stürmten in das Gebäude, ungefähr 150 Menschen wurden festgenommen. Danach war Lelas Karagianni dran. Die seit 1988 bestehende, älteste Besetzung Griechenlands wurde am 15. Januar gegen Mittag von der Polizei gestürmt. Anarchisten und Anwohner versammelten sich zunächst auf dem nahen Amerikis-Platz in der Nähe und dann vor dem Gebäude selbst, um die Räumung zu verhindern. 14 Besetzer wurden festgenommen und am selben Tag wieder freigelassen.

Außerdem ereigneten sich in Athen während des gesamten vergangenen Monats kleinere terroristische Anschläge. In der Nacht zum 14. Januar beschossen Unbekannte die Parteizentrale von Nea Dimokratia. Es entstanden nur Sachschäden, da sich niemand zu diesem Zeitpunkt im Gebäude aufhielt. In den ersten zwei Januarwochen hatten Brandbombenanschläge auf TV-Journalisten, die den Konservativen nahestehen, sowie auf ein Büro der sozialdemokratischen Pasok stattgefunden. Zu diesen Anschlägen hat sich bisher keine politische Gruppe bekannt.
Am 20. Januar explodierte dann ein Sprengsatz im Athener Einkaufszentrum »The Mall«. Zuvor hatten die mutmaßlichen Attentäter vier Warnanrufe bei verschiedenen Medien getätigt und die Polizei so zu einer Evakuierung der Gegend aufgefordert. Am selben Tag wurde ein Schreiben auf Indymedia gepostet, in dem sich eine Organisation namens »Wild Freedom – Promoters of Social Explosions – Partnership of anarchist organisations« zu dem Anschlag bekennt. Als Gründe werden darin unter anderem der »Kampf gegen Kapitalismus, Ausbeutung und staatliche Repression« angeführt, sowie die Räumungen der besetzten Häuser. Während die Glaubwürdigkeit des Bekennerschreibens für viele Beobachter zumindest als fraglich gilt, schreibt die konserva­tive Zeitung Kathimerini, die Polizei vermute aufgrund des verwendeten Sprengsatzes Mitglieder der Organisation »Conspiracy of the Cells of Fire« hinter dem Anschlag. Plausibel werde diese Vermutung dadurch, dass im Bekennerschreiben den inhaftierten Mitgliedern dieser Organisation Solidarität ausgesprochen wird.
In den vergangenen Wochen ist in Griechenland zu beobachten, wie sich allmählich ein autoritärer Staat entwickelt. Die Repression gegen linke Strukturen war zwar erwartet worden, denn schon längst kursierte eine Liste mit 40 Orten, die von Räumung bedroht sind. Die spektakuläre Beschleunigung kam allerdings für die meisten überraschend. Die Angriffe des Staates gegen alterna­tive soziale Räume scheinen systematisch zu sein. Es geht gegen die Infrastruktur der radikalen Linken und sogar gegen ganze Gegenden, in denen diese sich bevorzugt aufhalten, wie das Athener Viertel Exarchia.
Die Massenmedien sind auf der Seite der Regierung. Angesichts der Repression und der Kriminalisierung auch der parlamentarischen Linken wegen ihrer angeblichen Unterstützung der »po­litischen Gewalt« fühlen sich einige Beobachter an die Strategie der Spannung der siebziger Jahren in Italien und an die Situation in Griechenland nach dem Bürgerkrieg erinnert. Beispielhaft dafür steht die Aussage eines der bedeutendsten Journalisten des TV-Senders Mega, Costas Pretederis, der meinte, es sei an der Zeit, »extreme Ideologien wie Anarchismus und Linksradikalismus« in Griechenland zu verbieten. Das Ziel dieser Regierung wird immer deutlicher: In einer Gesellschaft, die unter den Sparmaßnahmen leidet und in der viele Menschen wütend sind und das politische System in Frage stellen, muss eine Atmosphäre geschaffen werden, in der die amtierende Regierung als einziger Garant für Recht und Ordnung auftreten kann, der die Demokratie gegen die »Extreme« verteidigt.

Übersetzung: Nicole Tomasek