P. T. Andersons Film »The Master«

Das Versprechen von Glück

Es geht auch um Scientology. Vor allem aber spürt Paul Thomas Andersons Film »The Master« der Faszination des Sektenwesens nach.

Der US-amerikanische Regisseur Paul Thomas Anderson hat seit seinem Debüt »Last Exit Reno« (1996) eine bemerkenswerte Karriere hingelegt. Ob »Magnolia« (1999) oder »Punch Drunk Love« (2002), in seinen Filmen brachte er Darsteller und Darstellerinnen immer wieder zu Höchstleistungen, und Anderson wurde zu Recht zu einem US-amerikanischen Autorenfilmer geadelt, der die erzählerische Distinktion des Independent-Films mit der Aura einer neuen Generation des Mainstream-Kinos verbindet. Spätestens mit dem nach Motiven eines Romans von Upton Sinclair entstandenen Epos »There Will Be Blood« (2007) wurde er mit Preisen überhäuft und rückte in die erste Liga Hollywoods auf.
Andersons neues Werk, das in zahlreichen Kritiken gefeiert wird, so in der englischen Filmzeitschrift Sight & Sound oder der linken New Yorker Zeitung The Village Voice, ist sicherlich sein mutigstes, aber auch ein besonders ambivalenter Film. War es bisher leicht, einen Anderson-Film zu bejubeln oder zu kritisieren, weil zu viel episches Pathos und aufdringliches Method Acting störten, wirkt seine jüngste Arbeit zunächst einmal nur verstörend. Dass ein Film eine solche Wirkungsmacht entfaltet, ist im Hollywood-Kino auch keine Selbstverständlichkeit mehr.
Die Erzählung setzt Ende des Zweiten Weltkriegs am südlichen Pazifik ein. Freddie Quell (Joaquin Phoenix) ist einer der Soldaten, die in Pearl Harbour gestrandet sind. Er schaut aufs Meer und macht sich einen Drink, den er aus einer Kokosnusshälfte trinkt. Dann schaut er auf das glitzernde, endlose Blau. Währenddessen haben seine Kameraden eine üppige Frauenfigur aus Sand gebaut. Quell schaut sie an und beginnt bald, ihre mit einer Blechdose nachgebaute Vagina wie wild zu penetrieren. Die Energie am Strand ist euphorisch und gleichzeitig voller sexueller Regression.
Wegen eines Heulkrampfs wird er wenig später von einem Therapeuten des Militärs befragt. Quell scheint an einer posttraumatischen Störung zu leiden, deren genaue Ursache er aber nicht kennt. Auf den abstrakten Rorschach-Bildern, zu denen er sich assoziativ äußern soll, erkennt er stets Sexualorgane. Er scheint die Kontrolle über seine Impulse verloren und einen triebhaft-infantilen Zugang zur Welt zu haben.
Wieder zurück in den USA, hat er Schwierigkeiten, im Alltag anzukommen. Er beginnt Affären, die zu nichts führen, und nimmt alle möglichen Jobs an, in denen er die Grenzen des Akzeptablen permanent überschreitet. Meistens berauscht von seinen selbstgemachten Drinks, die eine Mischung aus starkem Alkohol, Farbverdickungsmittel und anderen schrägen Substanzen sind, verliert er einen Job nach dem anderen. Eines Tages trifft er auf Lancaster Dodd (Philip Seymour Hoffman), der sein Leben für immer verändern wird.
Dodd ist der Kopf einer pseudophilosophischen Bewegung, die sich »The Cause« nennt. Er ist fasziniert von Quells undomestizierbarer Energie und seiner schamlosen, maskulinen Kindlichkeit. In einem therapeutischen Interview, das sich »Processing« nennt, scheint er allerdings besser zu Quells Traumen vorzudrängen als der Militärpsychologe beim Rorschach-Test. Quell ist fasziniert von Lancaster Dodd, einem auratischen Charakter, der an den Scientology-Gründers Ron L. Hubbard erinnert, aber auch von größenwahnsinnigen Leinwandfiguren wie Orson Welles’ »Citizen Kane« beeinflusst ist.
Scientology wird hier nicht als ultraautoritäre, psycho-bürokratische Sekte der Gegenwart dargestellt, was nahegelegen hätte. Anderson interessiert sich stattdessen für die irrationale Nachkriegsenergie der fünfziger Jahre in den USA, in denen der Sieg über die Achsenmächte genauso zum berechtigten Feiern ermutigte wie der wirtschaftliche Aufschwung und der daraus entstehende Konsumismus. In einem Interview sagt der Regisseur, dass diese Ära nicht nur eine des grenzenlosen Optimismus war, sondern gleichzeitig die Zeit des Traumas des Krieges, in der sich Leichenberge im kollektiven Unbewussten der USA stapelten. Vor diesem geschichtlichen Hintergrund muss die Entstehung von Heilsbewegungen wie Scientologie, die ein besseres Leben versprachen, verstanden werden.
Für Anderson, der im San Fernando Valley in Los Angeles aufwuchs, dem Ort, an dem auch die in »Boogie Nights« (1997) dargestellte Pornoindustrie ansässig ist, eine weitere Traumfabrik, die ein selbstzerstörerisches Potential entfaltete, aber auch ein neues, irgendwie höheres Glück versprach, gehört die Frühphase von Scientology zu dem verwirrten, verstörten und auf bessere Zeiten hoffenden amerikanischen Traum. Dass das in »The Cause« dargestellte Glücksversprechen auf Scharlatanerie beruht, soll nicht nur das einflussreiche Scientologie-Mitglied Tom Cruise leicht paranoid gestimmt haben. Nach einem privaten Screening versuchte er, Anderson zur Änderung einiger Szenen zu bewegen. Wohl vergeblich.
Im film erregen Lancaster Dodds quacksalberische Experimente zur Kontrolle des Geistes und zur Heilung der Menschheit viel Aufmerksamkeit und verschaffen ihm eine größere Gefolgschaft. Auf seine Kritiker reagiert er mit ungeduldiger Wut, seine Eloquenz und Souveränität schwinden augenblicklich. Sein neuer Assistent Freddie Quell unterstützt den schrägen Visionär auch mal mit Fäusten, angetrieben von seinem Alkoholismus und den daraus immer wieder entstehenden Wutanfällen.
Der unzähmbare Quell, welcher am Ende des Films bei einer Motorradfahrt durch die Wüste gar wie Marlon Brando in »The Wild One« (1953) inszeniert wird, wird mal als schwieriger Sohn, mal als unterworfener Mitarbeiter und und schließlich als Versuchskaninchen gezeigt. In einer fast orwellschen Szene der Depogrammierung folgt Quell den Anrufungen von Dodds Frau Peggy (Amy Adams), immer das vor sich zu sehen, was sie ihm befiehlt. Später wird Freddie gar vor versammeltem Publikum stundenlang von einer Wand zur anderen hin- und herlaufen, um jedes Mal etwas Neues zu beschreiben, das er angeblich sieht oder fühlt.
In dieser unausgeglichenen, aber nicht statischen Konstellation voller Kontraste und Abhängigkeiten laufen Philip Seymour Hoffman und Joaquin Phoenix zu wahrhaften Hochleistungen auf. Es ist eine Konstellation, in die sich auch leicht homoerotische Spannungen mischen. Während Hoffman, einer von Andersons Lieblingsdarstellern, Method Acting auf hohem Niveau betreibt, besticht Phoenix durch eine rastlose, physische Energie, die auch am Set für einige Irritationen gesorgt haben soll.
Anderson findet jedoch den richtigen Raum für seine Akteure, ohne die Logik seiner Narration aus den Augen zu verlieren. Gedreht auf bombastischem 70-Millimeter-Material, werden die fünfziger Jahre in den USA von Kameramann Mihai Mălaimare Jr. außergewöhnlich detailverliebt in Szene gesetzt. Den Beteiligten ist zu wünschen, dass sie wenigstens ein paar der Oscars erhalten, für die der Film nominiert ist. Verdient haben sie es.
Das widersprüchliche und teilweise erzählerisch vage Gefüge des Films, in dem sich historisches Drama und unheimliche Groteske mit Momenten von Humor und Schönheit vermischen, endet in einem surrealen, die Grenzen der Logik und der Zeit überwindenden Finale. Seine melodramatische Intensität gewinnt der Film gerade daraus, dass sich das Erzählmaterial nicht in einfache Metaphern übersetzen lässt. Die existentielle Frage, wie und wie weit sich Menschen manipulieren oder verändern lassen, ist nur eine von vielen Facetten, die der Film auf idiosynkratische Weise adressiert. Man sollte etwas Geduld mitbringen, um sich dem Film zu öffnen. Er ist sperrig und strange, aber hat die Kraft, sein Publikum noch lange zu beschäftigen.

The Master (USA 2012), Regie: Paul Thomas Anderson. Filmstart: 21. Februar