Kenia vor der Wahl

Einer der Eigenen soll es werden

In Kenia finden kommende Woche allgemeine Wahlen statt. Es wird eine Eskalation tribalistischer Gewalt wie nach den Wahlen von 2007 befürchtet.

Am 4. März wird in Kenia wieder gewählt. Neu zu besetzen sind neben den begehrten Sitzen in den Bezirksregierungen auch die im Parlament sowie der Posten des Staatsoberhaupts. Nach zwei Amtszeiten muss Präsident Mwai Kibaki den Platz für die Nachfolge räumen. Entschieden wird in Kenia jedoch nicht nur über politische Ämter, sondern vor allem über die Stabilität des Landes. Die Frage ist, ob Kenia friedlich bleibt oder ob nach der Wahlkrise von 2007/08 abermals eine Eskalation der Gewalt bevorsteht. Nach wie vor werden politische Kandidatinnen und Kandidaten im offiziell demokratisch regierten Kenia vor allem von Wählerinnen und Wählern mit gemeinsamer ethnischer oder regionaler Herkunft unterstützt. Hat einer der eigenen Leute einen hohen Posten inne, so die verbreitete Ansicht, wird sich das irgendwann auch positiv auf die eigene ökonomische Lage auswirken. Obwohl der Staat sie zu bekämpfen vorgibt, sind Vetternwirtschaft und Korruption weiterhin stark verbreitet. Das Präsidentenamt verleiht große Macht und ist deshalb besonders begehrt.

So sehr die Parteien auf ihre jeweils prominentesten Mitglieder zugeschnitten sind, so wenig unterscheiden sich ihre Programme. Die Senkung der hohen Lebenshaltungskosten, die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, Kriminalität und Unsicherheit sowie die bessere Kontrolle von Führungskräften und der Kampf gegen Korruption stehen – mit leicht unterschiedlicher Gewichtung – in jedem Parteiprogramm. Bei der Entscheidung für eine Kandidatin oder einen Kandidaten hilft daher die Identifikation anhand gemeinsamer ethnischer und regionaler Identität, verbunden mit der Hoffnung auf eine rentable Gegenleistung für Wählerstimmen.
An den miserablen Lebensbedingungen des Großteils der Bevölkerung hat sich dennoch nach vorangegangenen Wahlen nichts wesentlich verbessert. Schätzungen der CIA zufolge lebt etwa die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze, bei einer Arbeitslosenrate von in manchen Regionen bis zu 50 Prozent. Neben kargen Lebensbedingungen und undurchsichtigen politischen Intrigen ist Gewalt alltäglich. Ob paramilitärisch organisierte Gangs oder scheinbar willkürlich operierende Polizeibeamte – der Staat übt kaum eine verlässliche Kontrolle über die Gewalt im Land aus. Polizei- oder Rechtsschutz erhält man fast nur durch Bestechung. Es ist daher nicht verwunderlich, dass vor allem die arme Bevölkerung selbst für ihre Sicherheit sorgt und Recht und Ordnung entsprechend willkürlich auslegt. Eine Eskalation der Gewalt gab es zuletzt nach den Wahlen im Dezember 2007. Nach dem vermeintlichen Wahlbetrug Kibakis wurden bei Protesten im Land offiziellen Schätzungen zufolge 1 033 Menschen getötet und etwa eine halbe Million aus ihren Wohnorten vertrieben (Jungle World 5/2012).
In dieser Situation finden die nächsten allgemeinen Wahlen statt. Eine mögliche Konstellation der Postenbesetzung wäre Uhuru Kenyatta, der Sohn des Staatsgründers Jomo Kenyatta, als Präsident und William Ruto als sein Stellvertreter. Die beiden Kandidaten treten für die Liste des »Jubilee-Bündnisses« an, benannt nach dem 50jährigen Jubiläum der Unabhängigkeit Kenias. Bei den Wahlen 2007 konkurrierten sie noch erbittert um das Präsidentenamt. Ihre Anhänger spalteten sich nach einem tribalistischen Wahlkampf in ethnische Lager und bekämpften sich blutig. Für die Gewalt von 2007/08 müssen sich Kenyatta und Ruto vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verantworten. In dem Prozess, der im April beginnt, werden ihnen Verbrechen gegen die Menschheit vorgeworfen. Die Anklage führte jedoch bei beiden nicht etwa zum Abschied von der Politik, vielmehr eint sie das gemeinsame Schicksal. Mit Hetzreden gegen die Einmischung des »Westens« in »interne Angelegenheiten« und religiös anmutenden pathetischen Äußerungen über schicksalhafte Fügung treten die beiden im Wahlkampf gegen fünf weitere Kandidaten und erstmals auch eine Kandidatin, Martha Karua, an. Zu ihren Konkurrenten gehört unter anderem Raila Odinga, der 2007 noch von Ruto gegen Kibaki unterstützt wurde und dessen Vorwurf, sein Gegner betreibe Wahlbetrug, die Gewalt nach den Wahlen auslöste.

Das Gerangel um neue Allianzen und aussichtsreiche Posten auf der höchsten politischen Ebene ist unüberschaubar. Zusätzlich deutet sich an, dass es bei den Wahlen im März bereits wieder Unregelmäßigkeiten geben wird. Die ständig wiederkehrenden Gewaltausbrüche, die meist als »Stammesfehden« abgetan und bisher in Kenias wenig entwickelter Peripherie verortet wurden, drohen sich auch in den Zentren wieder zu verstärken. In Naivasha, einer Kleinstadt nahe Nairobi und einem Schauplatz der Gewalt von 2007/08, berichten Bewohner von Flugblättern, die derzeit in Umlauf sind. Auf diesen werden, ähnlich wie damals, bestimmte Menschen dazu aufgefordert, die Stadt zu verlassen: Angehörige von Minderheiten, die nicht dieselbe ethnische Iden­tität wie der vor Ort favorisierte Präsidentschaftskandidat und die Mehrheit der Bevölkerung haben. Auch von verbalen Drohungen gegen Einzelpersonen wird berichtet. Ein Mann, der nicht die vor Ort dominante ethnische Identität teilt und anonym bleiben möchte, sagte der Jungle World, kürzlich hätten ihm zwei junge Männer gedroht, dass Leute wie er in Naivasha nicht mehr lange existieren würden, er solle nur den 4. März abwarten. 2007 wurde aus solchen Drohungen blutiger Ernst.
Aus Mombasa, der an der Küste gelegenen zweitgrößten Stadt Kenias, berichtet der Friedensaktivist Edmund Muigai nichts Gutes. Die Küste Kenias gehört trotz und wegen des florierenden Tourismus zu den größten Elendsgegenden des Landes. Seit einigen Jahren gewinnen separatistische Gruppen an Einfluss, die eine unabhängige Küstenregion fordern. Muigai zog vor zwei Jahren aus dem Inland nach Mombasa. Er arbeitet mit jugendlichen Arbeitslosen und Straßenhändlern zusammen und fördert Austausch und Toleranz durch gemeinnützige Projekte. Auf der Straße begegnet er täglich dem tribalistischen Hass, der Zugezogenen entgegengebracht wird. »Diesen Leuten wird gesagt, sie sollen sich in ihre Gebiete zurückziehen«, sagt Muigai. Die Drohungen richten sich gegen »Fremde« aus anderen Landesteilen und umfassen Vertreibung und Mord. Der Einfluss der Separatisten und das weit verbreitete Elend an der Küste, so Muigai, seien die Ursachen für den ethnisierten Hass der ärmeren Bevölkerung. »So kurz vor den Wahlen sind Mombasa und die gesamte Küste extrem instabil«, warnt er. »Übrigens haben viele bereits begonnen, ihre Habseligkeiten in ›sicherere‹ Gegenden zu bringen. Andere verlassen die Stadt ganz, bis die Wahlen vorüber sind. Geschäftsleute kaufen keine neuen Vorräte und investieren nichts aus Angst vor dem Chaos. Die ganze Sache mit den Wahlen ist eine tribalistische Angelegenheit, die Menschen unabhängig von ihren politischen Ansichten gefährdet.« Aufgrund ihrer ethnischen Herkunft werden den Menschen politische Loyalitäten zugeschrieben. »Du wirst zum Beispiel als Unterstützer Kenyattas angesehen, nur weil du Kikuyu bist. Sollte Kenyatta gewinnen, wird es Übergriffe an der Küste geben, die sich gegen die Kikuyu richten«, erläutert Muigai. Der Friedensaktivist hofft auf friedliche Wahlen, bezweifelt aber, dass ein erneuter Ausbruch von Gewalt verhindert werden kann.