Eine Ausstellung der queeren Kunst von Barbara Hammer in Berlin

Poetische Gegenbilder

Als eine der Ersten verlieh Barbara Hammer den visuellen Diskursen queerer Gruppen eine eigene lesbisch-feministische Stimme. Einige ihrer Arbeiten sind nun in Berlin zu sehen.

Sie ist eine Pionierin der US-amerikanischen queeren Kunst. Barbara Hammer hat sich so ausgiebig wie wenige Frauen ihrer Zeit, mit den positiven und negativen Aspekten lesbisch-queerer Ausdrucksformen beschäftigt. In ihrem Werk gehen Sichtbarkeitspolitik und experimentelle Kunst eine Verbindung ein, wichtige Paradigmenwechsel der US-amerikanischen lesbischen Geschichte werden reflektiert. Ihre ersten Arbeiten entwickelte Hammer, geboren 1939 in Hollywood, 1967, also kurz vor den denkwürdigen Stonewall-Riots im Jahre 1969. Zu dieser Zeit war queere Sichtbarkeitspolitik noch eine primär schwule Domäne und als kultureller Aktivismus noch ein neues Phänomen.
Hammer war eine der ersten sich selbst so bezeichnenden Lesben, die das Persönliche mit dem Politischen verbanden und damit in die Öffentlichkeit traten. Vom Lesbianismus gab es damals nur wenige positive Bilder, weshalb ihr Credo lautete: Wenn niemand uns die richtigen Bilder liefert, produzieren wir sie eben selbst. Sie ließ sich von ihrem Ehemann scheiden und behandelte in »Schizy« (1968), ihrem ersten Film, ihr eigenes Outing. »Schizy« gilt heute als eines der frühesten Werke über Outing und lesbischwule Identitätspolitik.
In den siebziger Jahren ging Hammer der positiven Repräsentationspolitik von lesbischer Liebe in ihrem Werk genauer nach. Insbesondere »Dyketactics« aus dem Jahre 1974 vereint sanfte, im Sonnenlicht versunkene Körper mit sexuell expliziten Abbildungen. Aus heutiger Sicht erinnert der Film ebenso an das erwachende Selbstvertrauen einer autonom lesbischen Sinnlichkeit wie an die körperliche Selbstentdeckung feministischer Frauengruppen, die sich nicht länger mit den hegemonialen Abbildungen des Mainstreams zufriedengaben. Das Super-8-Material und die taktile Montage verstärken die warmen Farben und Überblendungen, so dass die weiblichen Körper wie Teile der Natur miteinander zu verschwimmen scheinen. Dem Vorurteil der Unnatürlichkeit von Homosexualität begegnete »Dyketactics« mit Gegenbildern und trug seinen Teil zur Entwicklung des lesbischen Blicks im Kino bei. Dies tat auch »Multiple Orgasms« (1977), eine weitere frühe postpornographische Arbeit, die Sinnlichkeit mit Explizitem vermischt.
Neben diesen positiven, teilweise utopischen Arbeiten gibt es auch einen abgründigeren, düsteren Strang in Hammers Werk. Diese seit Mitte der achtziger Jahre entstandenen Filme bilden das Zentrum von »Dignity«, der derzeitigen Ausstellung in der Galerie KOW Berlin. Die Arbeiten, die »Dignity« versammelt, kreisen um Alter, Krankheit, Tod und Vergänglichkeit.
Eine zentrale Position nimmt dabei »Sanctus« (1990) ein. Der Film basiert auf Röntgenaufnahmen von Frauenkörpern, in den fünfziger Jahren angefertigt von Dr. James Sibley Watson, einem Arzt, Verleger und frühen Experimentalfilmer. »Sanctus« reflektiert, wie sich das medizinische und das filmische Dispositiv bei der Objektivierung von Frauenkörpern durchdringen. Hammer unterläuft diese beiden Abbildungsmodi und stellt sie in Frage. Dafür hat sie das Archivmaterial von Watson vielfach bearbeitet: umkopiert und bemalt, verätzt und beschnitten, wird die Struktur des medizinisch-männlichen Blicks auf der Mikroebene des Filmes aufgebrochen und entwickelt ein Eigenleben, das durch die atmosphärische, computergenerierte Musik von Neil B. Rolnick verstärkt wird.
Noch direkter behandelt Hammer das Verhältnis von Krankheit und filmischem Material in »Optic Nerve« (1995). Die 8-Millimeter-Aufnahmen ihrer 97jährigen Großmutter zeugen nicht nur von Vergänglichkeit und Abhängigkeit von medizinischen Geräten, thematisiert wird genauso die einseitige Erblindung der alten Frau. Im Verlust der Dreidimensionalität des projizierten Films verdichtet sich »Optic Nerve« zu einer vielfach manipulierten, diffus-flackernden Studie über die Grenzen des Sehens.
Das Skelett zieht sich als Motiv durch viele von Hammers Arbeiten. In »Vital Signs« (1991) versucht sie, dessen Aura des Todes in ihr Gegenteil zu überführen, indem sie diesen nicht verdrängt, sondern als Teil ihrer Biographie integriert. Sie kleidet das Skelett an, füttert es mit Essen oder geht mit ihm spazieren. Angst und Krankheit werden so als Teil des Lebens inszeniert, die Stimmung des Films ist nicht fröhlich, bringt aber die Möglichkeit künstlerischer, umgestaltender Handlungsfähigkeit zum Ausdruck.
Dass der Tod für die queere Bewegung der damaligen Zeit kein privates Sujet war, unterstreicht auch das Video »Snow Job: The Media Hysteria of AIDS« (1986). Versatzstücke damaliger Berichterstattungen über HIV werden in einem assoziativen, sprunghaften und an MTV-Ästhetik erinnernden Stil präsentiert, der den Wahnsinn der insbesondere gegen Schwule und Lesben gerichteten Medienhysterie veranschaulicht.
Die einzige materielle Installation der Ausstellung beschäftigt sich ebenfalls mit dem Verhältnis von Mediendokumentation und Krankheit. Hammer hat auf dem Boden verteilte Menschenknochen mit Zeitungsausschnitten bedruckt, die von Krebs erzählen. Indem nicht nur Krankheitsbild, Folgen und Therapien behandelt werden, sondern auch ihre Instrumentalisierung und Vermarktung, kehrt das Motiv des Skeletts sowie die Reflexion über mediale und medizinische Apparate wieder.
Eine weitere Videoarbeit zeigt Interviews mit Frauen, die an Brustkrebs erkrankt sind. Hammer erkundet hier die Möglichkeiten des Videoformats zwischen privater Biographie und kollektiver, feministischer Geschichtsschreibung. Ihre eigene Konfrontation mit dem Krebs wird in »A Horse Is Not A Metaphor« (2008) thematisiert, dessen Titel sich auf »Krankheit als Metapher« beziehen mag, Susan Sontags Auseinandersetzung mit der Metaphorik der Krebserkrankung. Auf der Berlinale mit dem Teddy-Award ausgezeichnet, macht der Film schließlich Hammer selbst zum Objekt. In der Welt medizinischer Apparaturen versucht sie sich mit dem eigenen, vergänglichen Körper als Subjekt zu behaupten. Ohne in übertriebenen Narzissmus oder eindimensionales Pathos zu verfallen, dokumentiert die digitale Handkamera ihren verfallsbedrohten Körper, um weitere Bilder gegenüber der klinischen Observation zu entwickeln. Ausritte mit dem Pferd, Neugier und Lebenslust werden gezeigt – im Angesicht der Bedrohung durch den Tod entwickelt Hammer eine eigene Poesie des Überlebens.
Die queere Theoretikerin Ann Cvetkovich hat sich in ihrem Buch »An Archive of Feelings« (2003) mit dem Verhältnis von lesbischer Geschichtsschreibung und Trauma beschäftigt. Es war wichtig für sie, einem persönlichen, kulturellen Aids-Aktivismus angehört zu haben, der sich der Annahme widersetzte, dass manche Tode weniger wert seien als andere: »Die Aids-Krise lieferte klare Beweise dafür, dass manche Tode als relevanter wahrgenommen wurden als andere und dass Homophobie und Rassismus beeinflussten, wessen Trauma öffentlich anerkannt wurde. Ich habe nicht akzeptieren wollen, dass der Preis für die Inklusion in die nationale Sphäre hygienische, quasi desexualisierte Versionen queerer Kultur seien; ich wollte, dass die sexuellen Kulturen, die von Aids bedroht waren, sowohl als Errungenschaft wie auch als potenzieller Verlust anerkannt würden.«
Barbara Hammer ist es gelungen, diesem Begehren nachzukommen. Wie wenige andere hat sie es geschafft, den visuellen Diskursen queerer Gruppen ihre eigene, lesbisch-feministische Stimme zu geben.

Barbara Hammer: Dignity. 16. Februar bis 14. April, Galerie KOW Berlin, Brunnenstr. 9, 10119 Berlin