Der wachsende Hass auf das »deutsche Europa«

Zum Teufel mit den Schwachen

Die Deutschen wälzen die Kosten der Krise auf andere ab und wundern sich, dass sie dafür nicht geliebt werden.

Die Bilder, die von Angela Merkel auf Protestplakaten und in Zeitungen auf Zypern zu sehen sind, zeichnen ein wenig schmeichelhaftes Bild der Bundeskanzlerin. Immerhin ist sie nach Meinung vieler Zyprer maßgeblich verantwortlich dafür, dass der Mittelmeerinsel ein beispielloser sozialer und wirtschaftlicher Absturz droht. Die Auflagen, die mit dem Rettungsprogramm der Eurogruppe verbunden sind, können die ökonomische Grundlage des Landes zerstören, insbesondere die bislang so wichtige Bankenbranche.
Dabei lebte der Inselstaat lange Zeit gut davon, private Finanzdienstleistungen anzubieten, die vornehmlich zur »Steueroptimierung« internationaler Kapitaleinlagen dienten. So kam es, dass zyprische Banken zuletzt rund 128 Milliarden Euro verwalteten – ungefähr achtmal so viel wie das gesamte Bruttoinlandsprodukt der Insel. Die Verantwortung für das Desaster ausschließlich diesem angeblich unseriösen zyprischen Geschäftsmodell anzulasten, wie es etwa der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble tat, greift zu kurz. Fraglich ist, ob das Land überhaupt eine andere Möglichkeit hatte. Nach der türkischen Invasion 1974 brach der Tourismus als wichtige Einnahmequelle ein. Über die Hälfte der Strände und der lukrativsten Ferienanlagen befanden sich auf dem nördlichen, nunmehr von der Türkei annektierten Teil der Insel, wo rund 70 Prozent der Wirtschaftsleistungen erbracht wurden.

Wie bei vielen anderen südlichen Euro-Staaten übertreffen heute die Importe die Ausfuhren deutlich: Zypern exportiert unter anderem Zitronen und Orangen in den Euro-Raum und führt von dort Autos und Maschinen ein. Dauerhaft lässt sich eine solche ungleiche Beziehung nur mit einem unkonventionellen Geschäftsmodell finanzieren: Die Etablierung als »Steueroase« für russische und arabische Millionäre schien gut geeignet dafür zu sein. Und niemand hatte daran etwas auszusetzen, solange es funktionierte.
Zur Eurozone gehört noch eine andere Insel, die von ähnlichen Problemen betroffen ist. Die irische Regierung wendete nach 2008 enorme Summen auf, um die hoch verschuldeten Banken des Landes zu retten. Weil das Staatsdefizit daraufhin erheblich anstieg, verfügte die Regierung eine strikte Austeritätspolitik. Sozialleistungen und Beamtengehälter wurden gekürzt, öffentliche Aufgaben gestrichen. Dafür erhielt das Land von der Eurogruppe und dem IWF Kredite, um den finanziellen Kollaps abzuwenden.
Für einen Beitrag, der kürzlich zugleich in der Zeit und in der Irish Times erschien, recherchierten ein deutscher und ein irischer Journalist, wem der Rettungsplan eigentlich zugute kam. Demnach legten allein deutsche Finanzinstitute rund 135 Milliarden Euro auf der Insel an. Als die Regierung in Dublin nach dem Crash die Bankeneinlagen garantierte, bedeutete dies, dass sie auch das Geld deutscher Banken »retten« musste. Seitdem leiden die Iren unter den harten Spar­auflagen. Auf die deutsche Regierung ist in dem traditionell deutschfreundlichen Land seitdem niemand mehr gut zu sprechen.
Das Muster ähnelt sich in vielen Staaten. »Merkel saugt uns den letzten Tropfen Blut aus«, schrieb das liberale portugiesische Wochenblatt Expresso anlässlich des Staatsbesuches der Bundeskanzlerin im vergangenen November. Die Wut ist groß, doch mit der deutschen Wirtschaftsmacht kann sich heute in der Euro-Zone niemand mehr anlegen. Innerhalb kurzer Zeit bescherte die Schuldenkrise der Regierung in Berlin einen ungeheuren Machtzuwachs. Nach dem Euro-Beitritt erhielten Länder wie Portugal Kredite zu günstigen Konditionen. Die Wirtschaft boomte, die Löhne stiegen und damit auch die Importe deutscher Waren. Während in dieser Zeit in Deutschland der Arbeitsmarkt dereguliert wurde und die Einkommen real zurückgingen, wuchsen vor allem in den südlichen EU-Staaten die Haushaltsdefizite.
Als dann die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands drohte, machte sich auf den Finanzmärkten Panik breit und die mittlerweile hoch verschuldeten Euro-Länder verloren ihre Kreditwürdigkeit. In der Folge verstärkten sich die gegenläufigen Entwicklungen innerhalb des Euro-Raums. In dem Maße, wie die Zinsen für griechische und portugiesische Staatsanleihen stiegen, fielen sie für die entsprechenden deutschen Papiere. Die Bundesrepublik galt nun für verschreckte Anleger als sicherer Hafen. Während Portugal und Spanien vor dem Zahlungsausfall standen, konsolidierten sich die nördlichen Euro-Staaten, allen voran Deutschland. Dort steigen die Steuereinnahmen kontinuierlich, während die Arbeitslosenrate so niedrig ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Als mit Abstand wirtschaftlich stärkste Kraft auf dem Kontinent kann Deutschland nun die Bedingungen diktieren, unter denen es gewillt ist, weiterhin die anderen Euro-Staaten zu unterstützen. Doch anstatt die höchst heterogene Wirtschafts- und Sozialstruktur innerhalb der Eurozone auszugleichen, vergrößerten die erzwungenen Sparmaßnahmen die Diskrepanzen. Kein Wunder also, dass der Hass auf das deutsche Europa weiter wächst. Die beliebte Verwendung von Nazi-Symbolen bei Protesten führt dabei allerdings in die Irre, denn Deutschland verfolgt kein neues territoriales Herrschaftskonzept. Schäuble statt Rommel: Europa wird durch finanzpolitische Maßnahmen von Berlin aus dominiert.
Den ordoliberalen Vorstellungen der Bundesregierung zufolge bedarf es zuerst eines klaren ordnungspolitischen Rahmens, an den sich alle Mitglieder der Eurozone zu halten haben. Dann müssen die Staatshaushalte konsolidiert und die Löhne und Gehälter so lange gesenkt werden, bis die jeweiligen Länder wieder konkurrenzfähig sind. Erst dann kann, vielleicht, über gemeinsame Schuldentitel wie Eurobonds nachgedacht werden. Europa soll sich sanieren, ohne dass es Deutschland viel kostet.
Exemplarisch steht dafür Merkels Rede im Mai 2010 anlässlich des ersten »Rettungspakets« für Griechenland. Die Regeln müssten sich nicht an den Schwachen, sondern an den Starken orientieren, erklärte sie damals. »Das ist eine harte Botschaft. Aber eine ökonomische Notwendigkeit.« Die Äußerung erinnere an die »Eisen und Blut«-Rede Bismarcks 1862 vor der Budget-Kommission des preußischen Parlaments, bemerkte kürzlich Harold James, Professor für Europäische Studien in Princeton, in der Zeitschrift New Republic. Damals habe der »Eiserne Kanzler« erklärt, die deutsche Einheit sei nur durch eine Demons­tration preußischer Strenge, nicht durch Preußens Liberalität zu erreichen. Drei Kriege später wurde dann das Deutsche Reich gegründet.

Mit dem Europäischen Fiskalpakt hat die Bundesregierung eine ihrer wesentlichen Forderungen durchgesetzt. Das Problem dabei ist: Selbst falls diese Maßnahmen irgendwann Wirkung zeigen sollten, wäre es dann längst zu spät. Dass es den Euro überhaupt noch gibt, ist vor allem der exzessiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank geschuldet.
Es gibt aber auch Länder, die mit dem rigiden deutschen Masterplan einverstanden sind. Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk betont immer wieder, dass er das Vorgehen der Bundesregierung für richtig halte. Die osteuropäischen EU-Staaten hätten extreme Sparmaßnahmen durchgeführt, um die Maastricht-Kriterien zu erfüllen, für Griechenland oder Portugal sollten nun keine anderen Maßstäbe gelten. Auch die Slowakei, Estland und das künftige EU-Mitgliedsland Kroatien unterstützen die deutsche Sparpolitik. Dort stößt Merkel noch auf Verständnis, wenn sie wieder einmal erklärt, zum Wohle Europas seien drastische Auflagen nötig. Die Abneigung, die diese Politik hervorruft, kann die Bundesregierung indes nicht verstehen. Ihrer Meinung nach sollen die wirtschaftlichen Erfolge Deutschlands als leuch­tendes Vorbild für die restlichen Euro-Staaten dienen. Tatsächlich geht es aber vor allem darum, die Kosten der Krise auf andere abzuwälzen. Und das haben diese anderen längst bemerkt.