Gewalt gegen Kopten in Ägypten

Nichts tun, wenn es brennt

Erneut kam es in Ägypten zu Gewalt gegen Kopten. Weder von der Regierung noch vom Militär ist Hilfe zu erwarten.

»Wir wollen Taten, keine Worte«, verlangte der koptische Papst Tawadros II. nach den Ausschreitungen, die Ende vorvergangener Woche acht Tote und etwa 100 Verletzte gefordert hatten, von der Regierung. Über Stunden zogen sich Straßenkämpfe rund um den koptischen Papstsitz in Kairo hin, Teilnehmende einer Trauerfeier für Opfer religiöser Gewalt wurden mit Schrotflinten, Brandbomben und Steinen angegriffen, während die spärlich anwesende Polizei tatenlos zusah.
»Der Präsident hat uns persönlich versichert, er werde alles zur Verteidigung der Kathedrale tun – aber tatsächlich ist nichts geschehen«, sagte Papst Tawadros. Verärgerung bereiten überdies die Mutmaßungen Essam al-Haddads, des Assistenten Präsident Mohammed Mursis für Außenpolitik, über die Schuld der Trauergemeinde, die Autos beschädigt und so Protest provoziert habe. »Wie kann ein leitendes Regierungsmitglied solch ein Statement abgeben?« fragt Pater Makary Habib, Sekretär des Papstes. Neben anderen wurden vier Kopten inhaftiert und angeklagt. Dies erinnere an die Zeiten unter Mubarak, als »die Aggressoren frei waren und die Opfer eingesperrt und erniedrigt wurden«, urteilt die koptische Aktivistengruppe Maspero Youth Union. Papst Tawadros ist wütend: »Die rote Linie ist längst überschritten.«
Anders als der voriges Jahr verstorbene Shenouda III. findet er deutliche Worte. Shenouda hatte 2011 nach Angriffen Beten verordnet und damit viele Kopten verärgert und frustriert. Damals starben 15 Menschen, als drei Kirchen niedergebrannt und Häuser von Kopten verwüstet wurden. Der Armee wurde Nachlässigkeit vorgeworfen, Selbstverteidigungs-Milizen wurden gegründet. Bei einer Demonstration nach einem weiteren Angriff auf eine Kirche ereignete sich ein offenbar geplanter Gewaltexzess des Militärs mit 28 Toten. Das war vor dem Amtsantritt der Koalition aus der »Partei für Frieden und Gerechtigkeit« (FJP), die den Muslimbrüdern nahesteht, und der salafistischen »Partei des Lichts«.

Auch wenn nach Einschätzung der koptischen Community die Situation schlimmer geworden ist, leben Kopten seit Ende der fünfziger Jahre mit der Gefahr. Auch die 30jährige Herrschaft des Autokraten Hosni Mubarak war unter anderem deswegen so effektiv, weil sie verfeindete Lager gegeneinander aufbrachte, um sich anschließend als Schutzmacht zu präsentieren – ein Vorgehen, das der Militärrat übernahm. Immer wieder wurde die Verstrickung des alten Regimes in Attentate gegen Kopten angeprangert. In diesem Umfeld, in dem zudem Prozesse verschleppt wurden, gedieh die antikoptische Gewalt.
»Die Abwesenheit des Rechtsstaats macht aus uns Bürger zweiter Klasse«, urteilt Habib über die Lage der Kopten und verweist auf muslimische Hetzpredigten mit Mordaufrufen. Ein wei­terer päpstlicher Sekretär, Pater Angelos Isaak, stellt die Übergriffe in Zusammenhang mit der neuen Verfassung. In ihr werden nun auch Nichtmuslime nach Maßgabe der Sharia behandelt und Schutzrechte für Minderheiten verringert. Beide Papstsekretäre fordern wie viele andere, Koptinnen und Kopten entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil an Regierungsämtern zu beteiligen. »Die Muslimbruderschaft übernimmt alle Institutionen. Wir haben keine neutrale Polizei mehr«, erklärt Pfarrer Metuas Nasr deren fehlendes Eingreifen während der Übergriffe.
Unklar ist, wie die Regierung die Vorfälle einschätzt. Angesichts der Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds um benötigte Kredite finden sie zu einem ungünstigen Zeitpunkt statt. Überdies werden durch sie Versuche erschwert, die Opposition vom Boykott der anstehenden Parlamentswahlen abzubringen.
Sprecher koptischer Institutionen verweisen darauf, dass immer mehr Kopten seit dem Amtsantritt der islamistischen Regierung emigrieren. Ezzat Boulos, Chefredakteur der Online-Zeitung Copts United, beruhigte Emigrationswillige noch kurz vor den Übergriffen. Besser als in allen oppositionellen Reden entlarve sich die FJP selbst außer durch ihre Hassbekundungen durch ihren Dilettantismus in Sachfragen. Sie werde ihre Macht einbüßen.

Viele Muslime erinnern derzeit daran, wie sich Kopten und Muslime gegenseitig im Kampf gegen Mubarak schützten. Am Freitag voriger Woche trafen sich Muslime vor einer 2011 niedergebrannten Kirche zum Gebet, um ihre Solidarität auszudrücken. Zudem demonstrierten in Alexandria Hunderte für die Einheit der Bevölkerung und gegen die FJP. Sie fordern sogar die Machtübernahme durch das Militär, um einen neuen Wahlprozess einzuleiten. Auch diese Demonstration endete in Kämpfen mit Anhängern der Muslimbruderschaft, die Polizei griff nicht ein.
Die Forderung nach einer neuen Interimsregierung des Militärs lehnt sich an einen Aufruf an, für den bereits über eine Million Unterschriften gesammelt wurden. An dieser Liste aus dem Umfeld der Revolutionsbewegung offenbart sich die Misere der Opposition wie der Regierung. Denn einerseits findet auch die salafistische Gruppe Islamischer Jihad, eine islamistische, ehemals gewalttätige Organisation, an ihr Gefallen, was nicht im Sinne der Initiative sein dürfte. Andererseits bezieht sich auch Mursi wieder auf die Armee und traf sich vorige Woche mit Offizieren.
Das Verhältnis zwischen FJP und Militär ist von wechselseitigen Machtdemonstrationen geprägt. Die Zeitung al-Ahram betrachtet das Treffen daher nicht nur als Solidaritätsbekundung Mursis für die Armee nach der Veröffentlichung eines Berichts im britischen Guardian über Folter und Verschleppungen der Armee während des Aufstands gegen Mubarak, sondern bringt es auch in Zusammenhang mit der Unterschrifteninitiative. Doch ob einig oder nicht – die jetzige Regierung und das Militär dürften im Umgang mit den Kopten an der Strategie der Spannung festhalten.