Fußball und Sexismus

Läuft wie ein Mädchen

In Sexismusdiskussionen wird Fußball ausgespart – dabei trennt man nur dort begrifflich zwischen der Sportart für Männer und für Frauen.

Seit Januar wird eine öffentliche Diskussion über alltäglichen Sexismus in unserer Gesellschaft geführt, im Internet (Stichwort #Aufschrei), in Talkshows (Stichwort Brüderle) und im echten Leben. Manche Bereiche blieben ausgespart, so auch der Fußball, obwohl es auch in dieser Sportart Sexismus gibt.
»Ich dachte, wir reden über Fußball!« sagte Bayern Münchens Präsident Uli Hoeneß 2011 vor dem Männerbundesliga-Auftaktspiel zwischen Borussia Dortmund und dem Hamburger SV, als die Frauen-WM zur Sprache kam. Zwei Teams, ein Ball, das ist Fußball – egal ob ihn Erwachsene oder Kinder, Frauen oder Männer spielen.
Trotzdem wird großer Wert darauf gelegt, zwischen Fußball und Frauenfußball zu unterscheiden. Warum? Weil Männer und Frauen eine unterschiedliche Physis haben? Weil mehr Männer als Frauen Fußball spielen? Weil der DFB das Fußballverbot für Frauen erst 1970 aufhob? Ähnliche Argumente würden zu Begriffspaaren wie Politik / Frauenpolitik, Management / Frauenmanagement, Männerhausarbeit / Hausarbeit führen. Und auch im Sport steht der Fußball mit seiner verbalen Ausgrenzung der Frauen allein da. Beim Tennis spielen Frauen und Männer zwar nach unterschiedlichen Regeln (Frauen brauchen weniger Gewinnsätze), trotzdem heißt es nicht Tennis und Damentennis, sondern Tennis: Einzel der Herren und Einzel der Damen. Stabhochsprung heißt für alle Stabhochsprung, auch wenn der für Frauen erst seit 2000 olympisch ist und die Männer schon seit 1896 um die Goldmedaille kämpfen dürfen.
Und Fußball? Gleiche Felder, gleiche Bälle, gleiche Regeln, ein 3:1 lässt nicht das Geschlecht der Spielenden erkennen, trotzdem bleibt es bei Fußball und Frauenfußball, und niemand wundert sich. Vor Jahren nahm ich zu einem Testspiel der Männernationalelf einen Bekannten mit. Der Kick war lustig, die Stimmung gut, wir tranken alkoholfreies Bier und fachsimpelten. Hinterher überraschte er mich: »Ich finde es nicht richtig, wenn Frauen zu Fußballspielen gehen. Irgendwo müssen wir noch unter uns bleiben können.«
Sein Wunsch wird zwar nicht auf den Rängen erfüllt – ungefähr ein Drittel des Männerbun­des­ligapublikums ist weiblich –, aber auf und neben dem Platz ist der Fußball männlich: keine Trainerin, keine Managerin, keine Teamärztin, keine Präsidentin, keine Schiedsrichterin – nur vereinzelte Spielerfrauen auf der Tribüne, denen per Handherzgeste ein Tor gewidmet wird.
Ja, natürlich, es gibt sie, die Minderheit der kreischenden weiblichen Fans, die ihren Schnucki sehen wollen und die das Spiel nicht groß interessiert. Aber sie haben nicht weniger Daseinsberechtigung als männliche Fans, die im Stadion sind, um sich den Ärger der vergangenen Arbeitswoche vom Leib zu brüllen oder zu saufen, und denen nicht mal auffällt, dass der Verteidiger, den sie die ganze Zeit beschimpfen, auf der Bank sitzt.
Bei Männern wird fußballerisches Interesse und entsprechender Sachverstand vorausgesetzt, ihnen wird nie die Was-ist-Abseits-Testfrage gestellt, auch nicht, wenn sie zum ersten Mal ein Spiel sehen. ›Ihr‹ Sport ist männlich (und heterosexuell), nicht wenige wünschen sich, »dass einer dem anderen die Knochen poliert« (Hoeneß), und Männlichkeitsrituale werden von einigen auf der Tribüne oder vor dem Stadion zelebriert und bewundert: die tiefer-gelegten, grölenden Stimmen, die gemeinschaftlich entblößten Oberkörper, das Gerede von männlichen Geschlechtsorganen (»Eier«), das gemeinschaftliche Pinkeln gegen Hauswände, Hecken oder Zäune vor dem Spiel (wird so das Revier markiert?), das Biertrinken bis zum Umfallen, und was echte Kerle eben so von Mädchen unterscheidet.
Fußball dient immer auch der Abgrenzung: gegenüber anderen Vereinen, Nationen, Regionen, Stadtteilen, gegenüber den Schwulen, den Ausländern, den Frauen. Nur, die Zeiten ändern sich, selbst die Fifa und der DFB organisieren Kampagnen gegen Rassismus und Homophobie, da werden auf einmal Beleidigungen gegnerischer Spieler oder Fans stärker kontrolliert und was früher Usus war, kann heute sanktioniert werden. Welche Diffamierungen bleiben da noch? »Mädchen«. Ein Spieler, der nicht resolut in Zweikämpfe geht, keine gute Schusstechnik hat, wehleidig ist – der ist ein Mädchen. Wer beim Laufen seltsam aussieht, wird nicht mehr als Spastiker oder Schwuler beschimpft – nein, als Mädchen. Gegenüber Kritik von außen werden die eigenen Spieler mit einem »Wir sind ja nicht in einem Mädchenpensionat / Jungfern-Kochkurs« verteidigt. Und dem Star des gegnerischen Teams kann an den Kopf geworfen werden, er sei eine Diva, um wenigstens ein bisschen an ihm zu kratzen – das machen die Medien ja auch (»Die Diva Ibrahimovic ist genial, aber unvollendet«). Aber: Die Guten, auch aus fremden Teams, sind keine Diven, sondern Götter (»Messis Tor-Gala – Gott zerstört Leverkusen«).
Es gibt natürlich auch Fußballfreunde, die Weibliches nicht als Schimpfwort benutzen, sondern Frauen direkt angreifen. Der ehemalige Fußballtrainer Udo Lattek sagte in einer Talkshow, dass die Frauen im Stadion keine Ahnung von Fußball hätten, »egal welche man während eines Spiels fragt, sie weiß den Spielstand nicht«.
Und der Philosoph und Publizist Wolfram Eilenberger musste sich lediglich gegen den Vorwurf der Homophobie verteidigen (»Das macht mich wütend, weil ich mich wiederholt für eine leider noch immer ausstehende Akzeptanz homosexueller Fußballer engagiert habe«), nachdem er seine Thesen vom verweiblichten, von Penetrationsarmut gekennzeichneten Fußball des FC Barcelona unter Trainer Pep Guardiola veröffentlicht hatte. Ähnliche Klischees vertrat schon in den fünfziger Jahren der Anthropologe F. J. J. Buytendijk, der meinte, dass Frauen deshalb nicht Fußball spielen könnten, weil sie nicht treten könnten.
Die Frage drängt sich auf, was geschehen wäre, wenn Eilenberger von einer drohenden Homosexualisierung des Fußballs gesprochen hätte, die die Schönheit des Spiels zerstöre, wenn Lattek den Griechen im Stadion unterstellt hätte, den Spielstand nicht zu kennen, und Hoeneß über den Afrika-Cup der Männer gesagt hätte: »Ich dachte, wir reden über Fußball.« Verbale Ausfälle gegen Minderheiten, gesellschaftliche Randgruppen oder Ausländer sind im Fußball heute kaum möglich, ohne dass sie von Medien oder im Internet – zu Recht! – angeprangert und archiviert werden. Nur in Bezug auf Sexismus und Frauenfeindlichkeit fehlt diese Aufmerksamkeit. Noch.
Denn der Fußball verändert sich, die Regeln ändern sich, und die Sprache auch. Also Schluss mit der Aufteilung in Fußball und Frauenfußball! Und Schluss mit der Abwertung alles Weiblichen im Männerfußball. Hören Sie einen Spruch im Männerfußballkontext, in dem Frauen oder Mädchen vorkommen, ersetzen sie diese durch eine andere benachteiligte Gruppe: Statt »der läuft wie ein Mädchen« sagen Sie »der läuft wie ein Jude«, aus dem Mädchenpensionat wird ein Asylbewerberheim, aus Frauenfußball wird Ausländerfußball. Wenn der Spruch dann immer noch harmlos klingt, ist alles gut. Wenn nicht, sollte gehandelt werden. Und noch etwas: Alle beschweren sich über abgedroschene Phrasen in der Berichterstattung über Männerfußball. Auch hier kann ein wenig Kreativität Abhilfe schaffen. Ein Beispiel:
Ex-Fußballprofi Bernhard Dietz lobte Lionel Messi als »Weltklassefußballer, der immer wieder getreten wird, hinfällt, aber direkt wieder aufsteht. Der keine Gesten macht, und mit den Schiedsrichtern oder Spielern nicht rumschimpft. Das ist hervorragend.« Genau: Messi ist ein Weltklassefußballer, der sich wie eine »Engländerin« verhält. Chapeau!
In der höchsten englischen Spielklasse der Frauen, der FA WSL, gab es nämlich vorige Saison keine einzige gelbe Karte für Meckern oder Schwalben.