Über Italiens neuen und alten Staatspräsidenten

Das Debakel der Demokraten

Die Wiederwahl Giorgio Napolitanos zum italienischen Präsidenten ist eine Nieder­lage der linken Parteien.

Als Giorgio Napolitano vor sieben Jahren zum ersten Mal zum italienischen Staatspräsidenten gewählt wurde, argwöhnte das rechte Spektrum eine »kommunistische Okkupation« des höchsten Staatsamts. Dabei hatte der ehemalige KPI-Funktionär schon früh zur Umwandlung der kommunistischen in eine sozialdemokratische Partei beigetragen und später deren »Modernisierung« zum Partito Democratico (PD) betrieben. Als Staatspräsident bewährte er sich schließlich als Garant einer Notstandsregierung ohne soziale Ambitionen. Deshalb wurde Napolitano vergangene Woche nicht zuletzt von seinen einstigen Gegnern zu einer zweiten Amtszeit überredet. Seine Wiederwahl vereitelt jede linksliberale Regierungsbildung, sie beschleunigt den Selbstauflösungsprozess des PD und markiert das vorläufige Ende der politischen Linken in Italien.
Als stärkste Fraktion im Parlament hatten die Demokraten das Recht, einen Präsidentschaftskandidaten vorzuschlagen. Da sie in der Wahlversammlung über keine eigene Mehrheit verfügten, waren für die Wahl ihres Kandidaten jedoch Absprachen nötig, entweder mit den Mitte-Rechts-Parteien von Silvio Berlusconi und Mario Monti oder mit Beppe Grillos Movimento 5 Stelle (M5S). An dieser Richtungsentscheidung scheiterte der PD. Seinem Vorsitzenden Pierluigi Bersani gelang es nicht, die inneren Widersprüche zwischen dem sozialdemokratischen und dem liberalen Flügel auszugleichen und im parteienübergreifenden Generationenkonflikt zu vermitteln. Als er am Vorabend des ersten Wahlgangs mit Franco Marini einen Kandidaten präsentierte, der auf die Zustimmung des rechten Lagers zählen konnte, wurde dies von der progressiven Parteibasis zu Recht als Vorankündigung einer gemeinsamen Regierungsbildung mit Berlusconis Partei Volk der Freiheit (PdL) interpretiert. Der ehemalige Christdemokrat fiel im ersten Wahlgang durch. Mit der Entscheidung, am zweiten Abstimmungstag den ehemaligen Ministerpräsidenten Romano Prodi zu präsentieren, vollzog die PD-Führung über Nacht eine strategische Kehrtwende. Die Kandidatur des historischen Erzfeinds von Berlusconi sollte die Partei vereinen. Doch auch Prodi fehlten im entscheidenden Wahlgang mehr als 100 Stimmen aus den eigenen Reihen. Bersani und der Parteivorstand kündigten daraufhin ihren Rücktritt an.
Das Debakel der Demokratischen Partei hatte sich bereits Tage zuvor angekündigt. Grillo hatte über seinen Blog zehn Namen präsentiert, aus denen die Aktivisten des M5S in einer Online-Abstimmung ihren Präsidentschaftskandidaten auswählen konnten. Die TV-Enthüllungsjournalistin Milena Gabanelli erhielt die meisten Stimmen, gefolgt von Gino Strada, dem Begründer der medizinischen Hilfsorganisation Emergency. Beide verzichteten jedoch zugunsten des Drittplatzierten, des Juristen Stefano Rodotà.
Den M5S-Anhängern gilt er als Anwalt der Bene-Comune-Bewegung, weil er sich seit Jahren für die Ausarbeitung juristischer Normen zum Schutz und zur Förderung von Gemeingütern engagiert. Doch der 79jährige ehemalige Datenschutzbeauftrage ist weder ein Grillino noch ein Bewegungslinker. Er saß mehr als ein Jahrzehnt für die KPI und deren Nachfolgeorganisationen im italienischen und europäischen Parlament. Mit dem renommierten Zivil- und Verfassungsrechtler bot Grillo den Demokraten einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten an.

Zahlreiche Linksintellektuelle riefen die Führung des PD auf, den Vorschlag nicht abzulehnen, nur weil er aus den Reihen des M5S gekommen war. Die PD-Spitze konnte oder wollte jedoch in Rodotà nicht die Autorität erkennen, die den M5S gegen die eigenen rechtspopulistischen Tendenzen zur Unterstützung einer Regierung mit linksliberalem Profil hätte bewegen können.
Mit der Entscheidung, letztlich zusammen mit dem Mitte-Rechts-Lager Napolitano wiederzuwählen, wurde die Einheit der Partei formal gewahrt. Die Wählerbasis aber hatte bereits einen multimedialen Shitstorm ausgelöst und landesweit lokale Parteibüros gestürmt. Nichi Vendolas Linkspartei SEL brach ihr Bündnis mit dem PD und stimmte im letzten Wahlgang zusammen mit dem M5S für Rodotà. Grillo bezeichnete die parteienübergreifende Wiederwahl Napolitanos als »Staatsstreich« und rief zu einem »Marsch auf Rom« auf. Vor dem Parlamentsgebäude demonstrierten zu diesem Zeitpunkt bereits Tausende M5S-Anhänger gemeinsam mit Linken, die Enttäuschung, Wut und pure Verzweiflung auf die Straße trieben. Da die Polizei fürchtete, die Tumulte könnten eskalieren, wurde Grillos für den späten Abend geplante Kundgebung auf der Piazza del Popolo abgesagt. Auf der anderntags abgehaltenen Pressekonferenz mühte er sich, seinen Jargon zu mäßigen und offene Anspielungen auf den faschistischen Umsturz zu vermeiden.

Doch die parlamentarische Verfassungsordnung ist längst aus den Fugen, der im November 2011 proklamierte »Ausnahmezustand« dauert an: Auf die Notstandsregierung der Technokraten soll nun ein Präsidialkabinett folgen. Napolitano agiert de facto als Regierungsoberhaupt, ohne dass Italien de jure zum präsidialen Regierungssystem erklärt worden wäre. Ihm fehlt die demokratische Legitimation, die Berlusconi durch die Einführung der Direktwahl des Staatspräsidenten seit Jahren fordert und die Grillo auf den Demonstrationen vergangene Woche offensichtlich per Akklamation durchsetzen wollte.
Sollte es Napolitano nicht gelingen, die in seiner Antrittsrede im Namen der »nationalen Verantwortung« geforderte Einheitsregierung aufzustellen, muss er die Kammern auflösen. Im Fall von Neuwahlen ginge es für Berlusconi und Grillo um die Vorherrschaft in der angestrebten plebiszitär geführten Republik, eine ernstzunehmende politische Linke hätten sie nicht zu fürchten.