Verpennt verklemmt

<none>

In der Hauptsache ist Werbung Alchemie. Geheime Eigenschaften, in der Substanz verborgen, werden durch geistige Manipulationen und allegorische Formeln hervorgelockt – und schon transmutiert Straßendreck zu Gold, Fischereiabfall zu Schlemmerfilet und Jörg Pilawa zum Sympathieträger. Manchmal aber ist schon das Ausgangsmaterial derart tabuisiert, dass sich die Alchemisten fürchten vor dem, was da aus den Tiegeln herauskriechen könnte – und von vornherein den Deckel zuhalten. Bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und ihrer »Mach’s mit«-Kampagne rumort es schon heftig im Dampfkochtopf. Ausgewählte Charaktermasken erklären per Plakat ihre sexuellen Vorlieben – allerdings derart abstrahiert, dass alle Phantasie versagt. »Ich will’s soft«, »ich will’s klassisch«, »ich will’s ehrlich« – was genau ist damit gemeint? Zum Stichwort »ehrlich« findet Youporn null Treffer, und über »Sex, klassisch« schweigt Erika Berger sich aus. Was soll der angesprochene 14jährige sich darunter vorstellen? Wo Aufklärung in einer offenkundig als verklemmt imaginierten Öffentlichkeit stattfindet, ersteht plötzlich wieder das erotische Vokabular von Schlagertext und Heimatroman. »Ich will’s von hinten«, das wär’ doch ein Statement! Und könnte wirklich dazu führen, dass man sich vor dem Pflöckeln Gedanken über Infektionswege und Risiken macht. In der Allgemeinheit von »Mach’s, aber mach’s mit« landet man in der überwunden geglaubten Welt von Dr. Sommer, wo verängstigte Jugendliche befürchten, vom Knutschen schwanger zu werden. »Mach’s mit« hat den aufklärerischen Nährwert von »Iss mit Verstand« und »Hände auf den Tisch«.

Leo Fischer ist Chefredakteur des Satiremagazins Titanic.