Talmi

Der Stand

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Ein kleiner, einsamer Aktionsstand im Eingang des Rewe-Markts. Niemand dahinter und niemand davor. Eine geöffnete Packung »Corny-Powerriegel« und eine benutzte rote Papierserviette liegen verwaist auf der Theke. Es geht um die Aktion: »Heute zu Rewe radeln! Für alle Radler, die heute bis 12 Uhr mit dem Rad kommen, pflanzen wir einen Baum.« Wer stand da an dem Stand, wer prüfte die Glaubwürdigkeit der Radfahrer? Wer ließ sich Schlüssel und Fahrradpapiere zeigen? Wer wies sie ab, die Falschradler und heimlichen Automobilisten, wer die nachmittäglichen Zuspätkommer? Nein, für dich keinen Baum! Deinetwegen wird der Planet zugrunde gehen, denn du hast uns dein Radlertum nur vorgemacht, und du da, du warst zu spät! Und wer meldete sich an diesem Stand, wer glaubte den Quatsch? Wer knusperte da Corny und fühlte sich gut, wer ward da erlöst durch einen Baum, gestiftet von einem Konzern, der jeden Tag Abertausende Tonnen Brot und Fleisch auf den Kehricht wirft, der Hektoliter Milch in den Abfluss schüttet? Wer überhaupt konnte sinnvollerweise zum Rewe radeln, wo doch das Netzwerk der Filialen mittlerweile so eng geknüpft ist, dass fast jeder eine vor der Haustür hat? Und was glaubt Rewe zu gewinnen? Niemand, der klaren Sinnes ist, kann diese Aktion ernst nehmen, und die Dummen geben ohnehin nichts auf Ökologie. So steht der Stand alleine da, einsames Symbol der Überproduktion: Der Kapitalismus erzeugt so ungeheure Überschüsse, dass er sogar überflüssige Ethik erzeugt, inflationäre Güte, verschwenderische Liebesmüh. Immerhin: Wenn morgen die Welt untergeht, kann ich mir aus dem Stand ein kleines Floß bauen und zu weniger gütigen Gestaden paddeln.

Leo Fischer ist Chefredakteur des Satiremagazins Titanic.