Der Polizeieinsatz gegen die »Blockupy«-Proteste und seine Folgen

Die Demokratie in Pfefferspray baden

Die gewaltsame Verhinderung einer Demonstration im Rahmen der »Blockupy«-Proteste beschäftigt weiterhin die hessische Politik.

Für den hessischen Innenminister Boris Rhein (CDU) fing die Arbeitswoche hart an. 100 Fragen musste er am Montag während einer Sondersitzung des Innenausschusses im Landtag beantworten, 100 Fragen, deren Beantwortung eine einzige Frage klären soll: War der Polizeieinsatz gegen die »Blockupy«-Proteste in Frankfurt am 1. Juni rechtmäßig? An diesem Tag kesselte die Polizei den antikapitalistischen Block der zentralen Demonstration unter großzügiger Verwendung von Pfefferspray und Schlagstöcken ein, hielt die Demonstranten stundenlang fest und kontrollierte dann mit Gewalt die Personalien.
Rhein blieb vor dem Ausschuss bei der bisherigen Einschätzung. Die Einkesselung sei rechtmäßig gewesen, mögliche Gewalttaten des »schwarzen Blocks« seien so verhindert worden. Die Zahl gewaltbereiter Demonstranten bezifferte er auf 900 – just so viele, wie die Polizei eingekesselt hatte. Roland Süß, Sprecher von „Blockupy“, sagte hierzu: „Folgt man dieser verdrehten, zutiefst autoritären Logik, sind die Opfer von Polizeigewalt per Definition Gewalttäter.«

Dabei wirkte die Situation am 1. Juni zunächst ganz anders als im Jahr 2012, als die »Blockupy«-Proteste verboten worden waren. Nicht nur eine internationale Großdemonstration wurde genehmigt, sondern nach einigen juristischen Auseinandersetzungen auch das »Camp Anticapitalista«. Auch als es annähernd 3 000 Demonstranten anders als im vergangenen Jahr gelang, die Europäische Zentralbank zu blockieren, hielt sich die Polizei zurück, ebenso während der gegen die globale Ausbeutung in der Textilindustrie gerichteten Blockade der Frankfurter Zeil, einer der größten Einkaufsstraßen Deutschlands. Getrübt wurde dieses Bild durch die kompromisslose Durchsetzung einer Auflage, derzufolge sich nur 200 Personen an einer angemeldeten Demonstration im Rahmen der Aktion »Blockupy Deportation Airport« beteiligen durften, und die die Polizei mit dem wiederholten Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray durchsetzte.
Das Ereignis, von dem die Presse international berichtete, war jedoch der Polizeieinsatz gegen die europaweite Demonstration am 1. Juni. Schon nach wenigen hundert Metern kesselte die Polizei den antikapitalistischen Block ein. Begründet wurde dieses Vorgehen damit, dass sich Personen in dem Block mit Sonnenbrillen vermummt und zudem mit Schildern aus Styropor und Plastik sowie Regenschirmen »passiv bewaffnet« hätten. Die Menschen im Polizeikessel weigerten sich, ihre Personalien kontrollieren zu lassen, und schlossen sich in Ketten zusammen. Bei dem folgenden Angriff der Polizei – aber auch in anderen Teilen der Demonstration, die immer wieder attackiert wurde – gab es insgesamt mehrere hundert Verletzte, darunter auch Journalisten.
Die anschließende öffentliche Empörung war ungewöhnlich vehement, die eingesetzten Beamten, der Einsatzleiter Harald Schneider, der Frankfurter Polizeipräsident Achim Thiel und Innenminister Rhein wurden heftig kritisiert. Das ist ungewöhnlich, denn in der Regel wird weder der Sinn eines Begriffs wie »passive Bewaffnung« in Frage gestellt noch das polizeiliche Vorgehen gegen diese. Schließlich kann der Staat als Gewaltmonopolist nicht nur definieren, was Gewalt überhaupt ist, sondern auch die Gewalt, die seine Exekutive ausübt, legitimieren.

Doch diesmal kritisierten Medien von der Frankfurter Rundschau über die Frankfurter Allgemeine Zeitung bis zur Bild-Zeitung den brutalen Polizeieinsatz und dessen Begründung. Neben dieser Kritik am harten Vorgehen kamen jedoch auch Spekulationen auf, ob der Polizeikessel nicht von Anfang an geplant gewesen sei. So berichtete die Bild-Zeitung, Polizisten hätten sich anonym bei der Redaktion gemeldet, um diese Annahme zu bestätigen. Es dürfte wohl das erste Mal gewesen sein, dass die Frankfurter Bild-Zeitung nicht auf der Seite der Einsatzleitung stand.
Die Partei »Die Linke« hat inzwischen Strafanzeige gegen den Einsatzleiter Harald Schneider gestellt und wirft ihm vor, eine »genehmigte Demonstration planmäßig gewalttätig verhindert zu haben«. Sie führt einen Mann als Zeugen an, der nach eigener Aussage am 1. Juni mit seiner Frau und seinen Kindern dort zugegen war, wo kurz darauf die Einkesselung erfolgte. Ein Polizist mit Gesichtsschutz habe ihm geraten, sich mit seiner Familie zu entfernen, denn an dem Platz werde »gleich etwas passieren«. Die Linkspartei fordert zudem einen Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag, die SPD den Rücktritt des Innenministers und die Grünen die Kennzeichnungspflicht von Polizisten.
Sogar der übliche Corpsgeist der Polizei hält der harten Kritik offenbar nicht ganz stand: Hessische Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten, die bisher nicht gerade für ihre Sanftmütigkeit bekannt waren, wollen angesichts des öffentlichen Drucks die Schuld auf ihre Kollegen aus Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen schieben. »Die kamen, haben zugeschlagen und sind wieder heimgefahren«, behaupteten Beamte im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau.
Die Kritik an der Unverhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes ist einerseits nötig, weil sie den rechtlichen Spielraum für Proteste im Allgemeinen sowie im Besonderen für diejenigen gegen die Neueröffung der EZB 2014 vergrößern und Geschädigten vor Gericht vielleicht helfen kann. Anderseits handelt es sich bei der Diskussion um die Verhältnismäßigkeit um rein taktische Kritik und nicht um Kritik am staatlichen Gewaltmonopol. Viele, die sich derzeit über die Unverhältnismäßigkeit der Gewalt beschweren, so wie Grüne, SPD, FAZ und Bild-Zeitung, haben schließlich nichts gegen eine vermeintlich verhältnismäßige Anwendung von Gewalt einzuwenden.
Zudem wird der Polizeieinsatz schnell auf die Frage richtiger oder falscher Entscheidungen von Einzelpersonen reduziert. Er war jedoch nicht die Folge einer autoritären Macke des lokalen Ordnungsdezernenten Markus Frank, des Polizeipräsidenten Achim Thiel, des Einsatzleiters Harald Schneider oder des Innenministers Boris Rhein. Die autoritäre Formierung in der Krise zeigt sich in ganz Europa. Belege gibt es zuhauf: die Einsetzung technokratischer Regierungen in Italien und Griechenland 2011, das Verbot der Proteste gegen den EU-Frühjahrsgipfel in Brüssel dieses Jahr, zu denen auch das »Blockupy«-Bündnis aufgerufen hatte, die Inhaftierung von Gewerkschaftern in Spanien, das Streikverbot für griechische Lehrer. Auch in Frankfurt wurde die europäische Krisenpolitik konsequent befolgt.

Und so war es zwar erfreulich, dass 10 000 Menschen eine Woche nach dem brutalen Polizeieinsatz in Frankfurt ihre Solidarität mit den Demonstranten von »Blockupy« bekundeten, also fast so viele wie am 1. Juni. Doch ausgerechnet die eigene Friedfertigkeit zu betonen, nachdem die Polizei eine Woche zuvor Menschen vorgeblich wegen Sonnenbrillen und Regenschirmen attackiert und eine ordnungsgemäß angemeldete Demonstration verhindert hat, ist, um im Jargon zu bleiben, unverhältnismäßig.