Über den Film »7 Tage in Havanna«

Am Ufer der anderen

Ein ambitioniertes Projekt: Sieben Regisseure drehten jeweils eine Episode für »7 Tage in Havanna«. Der Film lässt die kubanische Hauptstadt zwischen touristischen Klischees und durchkomponierten Inszenierungen changieren.

Weit im Hinterland von Havanna, abseits der schönen Altstadt, bauten Mikrobrigaden einst die Modellsiedlung Alamar. Einfache Familienhäuser, die vorgesehen waren für politisch bewusste Arbeiter und ihre Familien, die sich in der Produktion bewährt hatten. Doch das Leben hier hat sich seit den siebziger Jahren verändert. Die revolutionäre Aufbruchstimmung ist einem mühseligen Überleben voller Zugeständnisse an die Zwänge des kapitalistischen Weltmarktes gewichen.
Eine Entwicklung, die zunächst von geringem Interesse ist. Denn »7 Tage in Havanna«, ein Episodenfilm von sieben Regisseuren – alle männlich, die meisten von ihnen aus Lateinamerika –, führt uns an den traumhaften Malecón. Hier, an der berühmten Uferpromenade von Havanna, wird getanzt, geflirtet und zum Rum in aller Ruhe eine Zigarre geraucht. Tatsächlich werfen einige der insgesamt sieben Episoden einen touristischen Blick auf Kuba. Die Handlung findet zwischen Hotelfluren, Bars und Lounges statt.
Einer ist zum ersten Mal hier. Er ist jung, kommt aus Nordamerika und lässt sich von einem Taxifahrer durch das Nachtleben kutschieren. Frauen werden angebaggert, eine kommt mit ins Hotel. Bei der Ausweiskontrolle am Eingang stellt die Security fest, dass die Frau einen männlichen Namen hat. Ladyboy-Stereotyp abgehakt, langweilig.
Benicio del Toro, bekannt aus Steven Soderberghs »Che«, hat Regie geführt. Vielleicht hätte er es nicht tun sollen. Die Rum-Marke »Havana Club« ist Sponsor des Films, was selbst dem unaufmerksamen Betrachter nicht entgehen dürfte: An jedem Tresen prangt das Firmenlogo, ständig werden Daiquiris und Mojitos serviert. Vermutlich konnten sich die Regisseure und der Drehbuchkoordinator Leonardo Padura nicht durchsetzen.
Dabei dürfte gerade Paduras Engagement die Arbeit der beiden Produktionsfirmen aus Spanien und Frankreich finanziell erleichtert haben. Padura, berühmt für seine Kriminalromane, die die Rückkehr bereits überwunden geglaubter sozialer Ungleichheit in Kuba thematisieren, eckte bereits Anfang der achtziger Jahre durch sein Interesse für die Außenseiter der Gesellschaft an. Die renommierte Literaturzeitschrift Caimán Barbudo warf ihn aus der Redaktion, er wechselte zur Tageszeitung des Kommunistischen Jugendverbandes UJC, Juventud Rebelde. »Ich galt als jemand mit vielen ideologischen Problemen. Deshalb wurde ich zu Juventud Rebelde geschickt, um im strengeren Rahmen einer Tageszeitung arbeiten zu müssen«, erklärte Padura vor kurzem. In den neunziger Jahren wurden seine Geschichten um den Ermittler Mario Conde international erfolgreich, im Dezember 2012 erhielt er schließlich den kubanischen Literaturpreis.
Was ihn nicht dazu bewog, sich weniger kritisch gegenüber staatlichen Maßnahmen zu äußern. Bereits drei Wochen nach der Preisverleihung meldete er sich zu Wort, denn Reggaeton, eine unter kubanischen Jugendlichen beliebte Musikrichtung, wurde verboten.
Das Verbot richte sich, so Orlando Vistel Columbié, Präsident des kubanischen Musikrates, gegen die »vulgären, banalen Ausdrucksformen«, die »im Reggaeton regelmäßig auftauchen«. Tatsächlich ähneln die Reggaeton-Lieder auf Kuba dem Auftreten ihrer männlichen Interpreten: Sie sind kerlig und sexistisch. Columbié kritisierte, dass die »aggressiven, sexuell expliziten Texte« die Würde der Frauen verletzten. Einmal mehr reagiert so der kubanische Partei- und Staatsapparat mit Verboten und Sanktionen, wo eine offene gesellschaftliche Debatte geführt werden müsste. Der Reggaeton sei »nicht die Ursache, sondern eine Konsequenz«, erklärt Leonardo Padura auf seinem Blog. »Der ›reguetón cubano‹ ist ein kleineres Kind der ökonomischen und sozialen Krise, die zu einer Krise der Werte geworden ist. Seit die Krise in den Neunzigern ausgebrochen ist, besteht die Perspektive von Land und Leuten in einem dramatischen und elementaren Kampf ums Überleben.«
In »7 Tage in Havanna« ziehen sich Reggaeton-Tracks durch alle Episoden. Ein deutliches Statement, zumal die Postproduktion des Films zu einem Zeitpunkt stattfand, als gegen den Reggaeton-Hit »Chupi Chupi« bereits eine Kampagne wegen angeblicher Verherrlichung von Prostitution ins Leben gerufen worden war. Die beteiligten kubanischen Filmschaffenden knüpfen auf diese Weise an eine Tradition des legendären, zeitweilig stark guevaristischen kubanischen Filminstitutes ICAIC an. Das Institut solidarisierte sich bereits Ende der sechziger Jahre mit der damals umstrittenen Musik­richtung Nueva Trova von Liedermachern wie Silvio Rodrigúez.
Aber zurück zum Malecón, diesem Ort, der in »7 Tage in Havanna« allgegenwärtig ist. Zum Wellenrauschen wummert eine Musikanlage, die Party ist selbstorganisiert. Zwei Mädchen küssen sich verliebt und werden am nächsten Morgen, im Schlaf aneinandergeschmiegt, von den Eltern der einen vorgefunden. Diese zwingen ihre Tochter zu einem Reinigungsritual, das ihr die Liebe austreiben soll. Bei aller stereotypen Darstellung der synkretistischen, afroamerikanischen Hauptreligion in Kuba, der Santería, ist die Episode des argentinischen Regisseurs Gaspar Noé (»Irreversible«) zumindest eine von dreien, die Heteronormativität in Frage stellen.
In »La Fuente«, der siebten Episode, ruft eine ältere Frau die Nachbarschaft zusammen, um eine Zeremonie zu Ehren von Oshun, der Göttin der Liebe, abzuhalten. Aufgaben werden verteilt, Baustoffe organisiert, das Festtagskleid genäht. Dem französischen Regisseur Laurent Cantet (»Die Klasse«) hat es wohl das sprichwörtliche Improvisieren in Mangelsituationen angetan. Er zeigt schöne Bilder: Männer mit Schubkarren, Wasserholen – alles am Malecón.
Zahlreiche Querverweise verbinden die Episoden miteinander. Darsteller und Begebenheiten tauchen mehrmals auf – eine riesige Torte beispielsweise, gebacken von einer Psychologin in »Dulce amargo«, sorgt dafür, dass Klischees unterlaufen werden. »Die Schwarzen feiern«, sagt die Psychologin, nimmt sich einen Tag frei, um die Torte für eine Santería-Feier vorzubereiten. Die Torte aber taucht schließlich auf dem Fest der schwarz-weißen Hausgemeinschaft in »La Fuente« wieder auf und schwupps, ist die Zuschreibung dahin.
Der Regisseur von »Dulce amargo«, Juan Carlos Tabío, einziger Kubaner unter den sieben Filmemachern, knüpft an seine gesellschaftskritischen Komödien »Guantanamera«, »Erdbeere und Schokolade« und vor allem »¡Plaff!« an. In »¡Plaff!« warf er bereits 1988 einen sarkastischen Blick auf die überkommenen Hierarchien im Staat, Revolutionsfloskeln und die ignorierte Mangelwirtschaft. Eine linke Kritik, die international leider wenig Beachtung fand. »Dulce amargo« widmet sich den alltäglichen Folgen der Dollarisierung und Weltmarktöffnung Kubas und ist die schauspielerisch intensivste der Episoden. Backen tut die Psychologin, gespielt von der kubanischen Schauspielerin Mirtha Ibarra, nur inoffiziell. Sie lässt sich dafür bezahlen, weil das im Staatsdienst verdiente Geld nicht einmal ausreicht, um ihrer Tochter Schuhe zu kaufen. Die männliche Hauptrolle in »Dulceamargo« spielt Jorge Perugorría, der in »Erdbeere und Schokolade« den schwulen Protagonisten spielte – und der seitdem stets darauf achtet, betont heterosexuell und männlich aufzutreten. Hier wirft er einem schwulen Bäcker – gespielt von Vladimir Cruz, der übrigens in »Erdbeer und Schokolade« seinen Freund gab – ablehnende Blicke zu. Sehr viel Mittelschichtalltag in 18 Minuten, die Episode wirkt leider etwas überladen. Ach ja, am Schluss steht die Psychologin tränenüberströmt mit ihrem Mann, wie könnte es anders sein, am Malecón. Schade nur, dass die wunderschöne Uferpromenade im Alltag der meisten Kubaner eine deutlich geringere Rolle spielt.

»7 Tage in Havanna«. Frankreich/Spanien 2012. Regie: Laurent Cantet, Benicio del Toro, Julio Médem, Gaspar Noé, Elia Suleiman, Juan Carlos Tabío, Pablo Trapero.
Kinostart: 11. Juli 2013