Über die israelisch-palästinensischen Verhandlungen

Verhandeln statt entscheiden

Die israelische Regierung und die palästinensische Führung mussten für die erneute Aufnahme der Friedensverhandlungen auf einige Forderungen verzichten. Unter den derzeitigen Bedingungen sind aber kaum Fortschritte zu erzielen.

Man konnte fast die Uhr danach stellen. Pünktlich zum Beginn der neuen israelisch-palästinensischen Friedensgespräche am Mittwoch vorvergangener Woche schlug eine Rakete in der Nähe der israelischen Stadt Sderot ein, abgefeuert aus dem von der Hamas kontrollierten Gaza-Streifen. Verletzt wurde dabei niemand, offenbar auch nicht bei dem israelischen Luftangriff, der danach gegen die Abschussrampen geflogen wurde. Der Raketenanschlag der Hamas folgte einem gut bekannten Muster. Die Israelis wissen, dass sie immer dann besonders vorsichtig sein müssen, wenn sich auch nur die kleinste Hoffnung zeigt, dass es Fortschritte im Friedensprozess geben könnte.
Angesichts der Entwicklung der vergangenen Jahre ist die Tatsache, dass die israelische und die palästinensische Führung überhaupt wieder miteinander reden, in der Tat ein Fortschritt. Dass es dazu kommen konnte, liegt vor allem daran, dass kaum jemand große Erwartungen in die Gespräche setzt. Nur unter diesen Umständen waren die rechtsnationalen Koalitionspartner des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu dazu zu bewegen, sie nicht kategorisch abzulehnen. Paradoxerweise könnte dies jedoch auch der Grund dafür sein, dass sie diesmal größere Erfolgschancen haben als früher. Die US-amerikanische Regierung hat vermieden, die Gespräche mit großem Pomp in Washington zu eröffnen. Die ersten Treffen fanden an einem geheimgehaltenen Ort in Jerusalem und Jericho statt. Je geringer die Bedürfnisse und die Möglichkeiten der Beteiligten sind, sich gegenüber der jeweils eigenen Öffentlichkeit in ein positives Licht zu rücken, desto eher scheint eine Annäherung möglich.

Allerdings liegen die Positionen der beiden Seiten unverändert weit auseinander. Dementsprechend scheinen die ersten Runden der Gespräche auch nicht viel mehr erbracht zu haben als die nochmalige Feststellung dieser Differenzen. Bei einer Pressekonferenz nach dem ersten Treffen erklärte der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas, dass man über alle zentralen Fragen gesprochen habe: die Grenzen, die israelischen Siedlungen, die palästinensischen Flüchtlinge, den Status von Jerusalem, das Schicksal der palästinensischen Gefangenen und die Sicherheit Israels. Es sei aber noch zu früh, um zu sagen, ob man etwas erreicht habe oder nicht. Für die gesamten Verhandlungen wurden neun Monate veranschlagt, ein Zeitrahmen, der angesichts der unversöhnlichen Positionen sehr optimistisch erscheint.
Einen gewissen Grund zum Optimismus gibt es dennoch, weil bereits der Wiederaufnahme von Gesprächen schier unüberwindliche Hindernisse entgegenstanden. Abbas musste in die Lage versetzt werden, ohne allzu großen Gesichtsverlust von einem Ende des israelischen Siedlungsbaus als Vorbedingung für Verhandlungen abzurücken. Diese unflexible Position hatte ihm nicht zuletzt die widersprüchliche Haltung der US-amerikanischen Regierung in Präsident Barack Obamas erster Amtszeit aufgezwungen. Dieses Abrücken wiederum war eine Voraussetzung dafür, dass Netanyahu Verhandlungen zustimmen konnte, ohne die Koalition mit den rechtsnationalistischen Parteien Habeit Hayehudi und Israel Beitenu aufs Spiel zu setzen und eine Rebellion in den Reihen seiner eigenen Partei Likud zu riskieren.
Es ist wohl nicht zuletzt der Verhandlungstaktik des US-amerikanischen Außenministers John Kerry zu verdanken, dass die Hindernisse schließlich aus dem Weg geräumt wurden. Anstelle öffentlicher Verlautbarungen, die dann von den Parteien gegeneinander eingesetzt werden können, verfolgte Kerry eine ausdauernde, aber von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene Pendeldiplomatie. Vor allem hat mit Kerry die Spitze der US-amerikanischen Regierung selbst die Vorverhandlungen geführt. Dies zeigt erneut, dass ohne eine Einmischung der USA auf höchster politischer Ebene sich im Nahost-Konflikt nicht viel bewegt.

Kerry hat es vor allem geschafft, den Widerstand auf palästinensischer Seite gegen eine Wiederaufnahme der Gespräche zu überwinden. Auch nach dem Beginn der Verhandlungen gibt es in der PLO-Führung starke Stimmen, die sie weiterhin ablehnen. Für Abbas selbst sind die Verhandlungen letztlich die einzige Möglichkeit, denn ein endgültiges Scheitern würde ihn sein Amt kosten. Doch zugleich musste er die radikalen Kräfte unter den Palästinensern im Zaum halten, die noch immer von einer »Lösung« des Konflikts ohne Israel träumen. Die Krise der Muslimbrüder in Ägypten, deren palästinensischer Ableger die Hamas ist, hat sicher dazu beigetragen, dass sich Abbas stark genug fühlte, um den Schritt zu Verhandlungen ohne Vorbedingungen zu machen.
Während die palästinensische Seite auf ihre Forderung nach einem Ende des Siedlungsbaus verzichten musste, musste die israelische Regierung der Freilassung von 104 palästinensischen Häftlingen zustimmen, die seit 20 oder mehr Jahren wegen Mordes in israelischen Gefängnissen sitzen. Dies hat in Israel erwartungsgemäß zu heftigen Protesten geführt, insbesondere unter den Angehörigen der Mordopfer. Ebenso erwartungsgemäß jedoch hatten diese Proteste keinen Einfluss auf das Geschehen. Verglichen mit den über 1 000 Gefangenen, die für den von der Hamas entführten Soldaten Gilad Shalit freikamen, ist es dieses Mal ohnehin eine überschaubare Zahl. Dennoch sah Abbas seine Position bereits dadurch so gefestigt, dass er von seiner Forderung nach einem Ende des Siedlungsbaus abrücken konnte. Dies zeigt, welche Möglichkeiten die israelische Regierung eigentlich hätte, um die Verhandlungen voranzubringen.
Um die Amnestie, aber auch die Wiederaufnahme der Verhandlungen selbst seinen rechten Parteifreunden und Koalitionspartnern schmackhafter zu machen, erlaubte Netanyahu seinem Bauminister Uri Ariel, unmittelbar vor dem Beginn der Gespräche den Bau von neuen Siedlungsblöcken in Ostjerusalem und dem Westjordanland zu verkünden. Natürlich ist dies ein ebenso symbolischer Akt wie die Freilassung der palästinensischen Gefangenen – ob und wann tatsächlich gebaut wird, ist noch völlig offen. Dennoch bleibt der Siedlungsbau eines der größten Hindernisse für einen Erfolg bei den Verhandlungen. Und niemand weiß dies besser als Netanyahu.
Einen seltenen Einblick darin, welche langfristigen Perspektiven die Regierung um den israelischen Ministerpräsidenten verfolgt, bot ein Interview der Tageszeitung Ha’aretz mit Zvi Hauser, bis vor kurzem Kabinettsekretär und enger Vertrauter Netanyahus. Hauser skizzierte darin ein Szenario langfristiger Zwischenlösungen, die eine endgültige Entscheidung, etwa hinsichtlich der Siedlungen oder des Status von Jerusalem, bis auf weiteres unnötig machen. Eine Evakuierung der Siedlerinnen und Siedler, auch derjenigen außerhalb der großen Siedlungsblöcke, sei völlig ausgeschlossen, sagte Hauser. Das strategische Ziel Netanyahus ist es, den Status quo möglichst zu erhalten. Übertragen auf die gegenwärtigen Verhandlungen, die ja eine Endstatusregelung zum erklärten Ziel haben, bedeutet dies, dass unter seiner Regierung mit einem Erfolg kaum zu rechnen ist.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass mit Außenministerin Tsipi Livni eine überzeugte Befürworterin der Zwei-Staaten-Lösung auf israelischer Seite die Verhandlungen führt. Nicht nur ist ihr Isaac Molcho, ein Vertrauter des Ministerpräsidenten, an die Seite gestellt. Es ist auch klar, dass nicht Livni die für eine Einigung notwendigen Entscheidungen trifft, sondern Netanyahu. Oder dass er sie eben nicht trifft.

Ob Netanyahus zweiter zentristischer Koalitionspartner, Finanzminister Yair Lapids Partei Yesh Atid, in der Lage sein wird, die Politik der Regierung in dieser Hinsicht zu beeinflussen, ist ebenfalls fraglich. Mit 19 Abgeordneten ist Yesh Atid zwar wesentlich stärker als Livnis Partei Hatenua, doch bisher hat sich Lapid in die das Verhältnis zu den Palästinensern betreffenden Fragen kaum eingemischt. Angesichts seiner desas­trösen Bilanz als Finanzminister und sich rasant verschlechternder Umfragewerte könnte sich das jedoch ändern. Die neuen Siedlungspläne kritisierte Lapid in bemerkenswerter Deutlichkeit als »doppelten Fehler«, durch den die USA provoziert und die Friedensgespräche torpediert würden. Lapid, der nach seinem Erfolg bei den letzten Wahlen bekannt gab, mittelfristig das Amt des Ministerpräsidenten anzustreben, könnte erkannt haben, dass dies nur möglich ist, wenn er eine außen- und friedenspolitische Alternative zur gegenwärtigen Regierung anzubieten hat.
Die Vorsitzende der oppositionellen Arbeitspartei, Shelly Yachimovich, hat unterdessen bekräftigt, dass sie nichts von der Idee hält, zur Unterstützung des Friedensprozesses der gegenwärtigen Regierung beizutreten. Vielmehr würde dies nur der Hinhaltetaktik Netanyahus nützen – eine Einschätzung, mit der sie Recht haben dürfte. Als Mindestbedingungen für einen Eintritt in die Regierung nannte Yachimovich den Austritt der rechtsnationalen Partei Habeit Hayehudi aus der Koalition und die Evakuierung entlegener Siedlungen. Auf jeden Fall wird die Arbeitspartei in der Opposition eher dazu beitragen können, den gesellschaftlichen Druck aufzubauen, der notwendig ist, um die Regierung zu Entscheidungen im Sinne einer Einigung zu bewegen.
In einem Beitrag für die Jerusalem Post schrieb Gershon Baskin, ein Veteran der israelischen Friedensbewegung, der zuletzt bei den Bemühungen um die Freilassung des Soldaten Shalit eine zentrale Rolle spielte, dass nicht die Verhandlungen das Problem seien, da die Grundzüge einer möglichen Einigung allen Beteiligten seit langem bekannt seien. Das Problem sei vielmehr, Entscheidungen zu treffen. Er sei überzeugt, so Baskin, dass die große Mehrheit der Israelis und Palästinenser einer Einigung zustimmen würden, wenn ihre jeweiligen Führungen sich zu einer entsprechenden Entscheidung durchgerungen hätten. Dem mag durchaus so sein. Dass die derzeitigen Führungen der Israelis und der Palästinenser jedoch zu einer solchen Entscheidung fähig und willens sind, scheint mehr als fraglich.