Talmi

Das neue Alter

<none>

Wer heute als junger Mensch alt werden will, hat es nicht leicht. Von früh bis spät mit Vitaminen, schrägen Cartoons und Jugendpropaganda bombardiert, fühlen sich Jugendliche alleingelassen mit ihrem Wunsch nach faltiger Haut und schmerzenden Gelenken. Und auch in ihrer Sehnsucht nach dem Jugendwahn der Alten: Denn um sich heute jung zu fühlen, muss man bereits einige Jahrzehnte auf dem Buckel haben. Wer mit rosigen Wangen und Knackarsch Hollister trägt, macht sich zum Gespött; erst mit Mitte 40 darf man sich im C&A-Young-Fashion-Abteil überhaupt nur blicken lassen – denn die Alten von heute sind nicht nur die Jugendlichen von gestern, sondern auch die von morgen. »Bio-Junge« gelten als unerwünscht, verschwinden in Junioren­residenzen, Pubertätshospizen, Aufwachsräumen. Ans Bett gefesselt, erfahren sie dort die Hölle fabrikmäßig erzeugter Jugendpflege: Professionelle Hörnerabstoßer schließen sie an Bierinfusionen an; spezialisierte Rebellions-Coaches peitschen lethargischen Mittelstuflern Aufsässigkeit und große Klappe ein, bis sie auf jede Frage mechanisch mit »Fick dich« antworten. Es kommt nicht von Herzen. Nach und nach sind die Alten in die Fußstapfen der Jungen hineingewachsen. Sie hinterfragen das willkürliche Machtgebaren der Generation 20- und verkrusten aufgebrochene Strukturen. Sich von Grünschnäbeln vorschreiben zu lassen, was jung und unangepasst ist, kommt diesen Uralt-Teenies gar nicht in den Tee. Frech schneiden sie den fahrradfahrenden Grundschüler mit ihrer S-Klasse, gröhlen »Lass dich einsalzen, Jüngelchen«. Und wie kann man auch rebellieren – gegen einen 55jährigen Art Director mit 40 Jahren Anarchieerfahrung und der besseren Haftpflichtversicherung?

Leo Fischer ist Chefredakteur des Satiremagazins Titanic.