Arbeitskämpfe in Indonesien

Vom Fluss ans Fließband

In Indonesien wurde landesweit gestreikt. Die Gewerkschaften fordern vor allem eine Erhöhung des Mindestlohns.

Massenentlassungen wegen Gewerkschaftsarbeit, Folter, Einschüchterung, Korruption und niedergeknüppelte Streikende sind Alltag im Industriesektor Indonesiens, wo unter anderem für Adidas, Nestlé und Samsung produziert wird. Wer gegen landgrabbing kämpft oder die Situation in den Palmölplantagen und Kupferminen verbessern will, muss mit Mord und Verschleppung rechnen, ein Blick auf die Hausangestellten offenbart Sklavenarbeitsverhältnisse, Kinderarbeit und Vergewaltigung.
Doch anders als in Bangladesh, wo es zu mehreren spektakulären Fabrikbränden kam, gerät ­Indonesiens repressiver Alltag selten in die Schlagzeilen. Die Zeit, in der Gewerkschafter von Soldaten erschossen wurden, liegt nun schon 20 Jahre zurück. Dies war in der Ära von General Suharto, der von 1967 bis 1998 diktatorisch regierte. Nach dessen erzwungenem Rücktritt wurden nach der Jahrtausendwende Gewerkschafts- und Arbeitsgesetze erlassen, die Kinderarbeit verboten, Überstunden regelten, einen Mindestlohn und unabhängige Gewerkschaftsarbeit garantierten. Der Nichtregierungsorganisation Südwind zufolge ist davon bis auf das Verbot offensichtlicher Kinderarbeit nichts durchgesetzt worden. Als eines der wenigen Unternehmen wurde Nike im vorigen Jahr verklagt, der Textilhersteller soll eine Million Dollar für Überstunden nachzahlen.

Gegen diese Zustände richtete sich der zweitägige landesweite Streik in der vergangenen Woche. Die Hauptforderung war die erneute Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns um 50 Prozent. Nachdem bereits vor ein paar Monaten eine Steigerung um 44 Prozent erstritten worden war, ließ unter anderem die drastische Senkung der Benzinsubventionen die Lebenshaltungskosten erheblich steigen. Said Iqbal, Vorsitzender der indonesischen Gewerkschaftskonföderation, schildert die Situation so: »Viele Arbeiter können sich die Mieten nicht leisten. Sie leben unter Brücken und am Abflusskanal.« Aber selbst wenn die Mindestlöhne bezahlt würden, die nur für die regulär Beschäftigten gelten, hätten die Wenigsten etwas davon, weil als opportune Mittel der Arbeitskostensenkung Outsourcing und Zeitarbeit zur Verfügung stehen. Deshalb wurden im Streik auch strengere Regeln für solche Beschäftigungsverhältnisse gefordert.
Teil der Streikforderungen ist das Programm der sozialen Sicherheit, das bereits 2004 gesetzlich beschlossen, aber nicht umgesetzt wurde. Seit 2010 arbeitet ein großes Bündnis von Nichtregierungsorganisationen an der Durchsetzung. Anspruch darauf haben allerdings nur 47 Prozent der Bevölkerung, nämlich regulär Beschäftigte und Beamte, aber nicht die im informellen Sektor Arbeitenden, die eine soziale Absicherung besonders nötig hätten. Nach einer Studie von 2009 sind im hochindustrialisierten Indonesien, das im vorigen Jahr mit 6,5 Prozent den höchsten Wirtschaftszuwachs seit der Asien-Krise erlebte, 100 Millionen Menschen, über 40 Prozent der Bevölkerung, armutsgefährdet.

Die Gewerkschaften hatten zwei Millionen Streikende erwartet. Die Polizei sprach von Hunderttausenden, die Mühe hatten, Streikbrecher abzuhalten. Auch gab es Schlägereien mit Müllsammlern und Essensstandbesitzern, weil diese durch den Streik ihre Tagesration Reis in Gefahr sahen. Da im kommenden Jahr gewählt wird, äußern sich die Politiker kompromissbereit, es gibt bereits Anzeichen für ein Einlenken des Arbeitsministers Muhaimin Iskandar. Die Erhöhung des Mindestlohns um 22 Prozent ist im Gespräch.
Unterdessen hat der indonesische Unternehmerverband Apindo als Reaktion auf die Streiks angekündigt, die Automatisierung voranzutreiben, um Arbeitskosten zu sparen, und, wo es geht, in Bangladesh und China zu produzieren. Doch Drohungen dieser Art sind üblich, eine Abwanderung in großem Ausmaß ist bislang nicht festzustellen. Den meisten Unternehmern gelten die Gewerkschaften noch als von der Werksleitung tolerierte Vertretungen, die kleingehalten werden. Doch die Zahl der Streiks nimmt zu, der landesweite Arbeitskampf zeigt den wachsenden Einfluss unabhängiger Gewerkschaftsarbeit.