Die virtuelle Währung Bitcoin

Das Geld der Nerds

Von Enno Park

In Berlin akzeptieren immer mehr Geschäfte Bitcoins als Zahlungsart. Mit der virtuellen Währung, die vor wenigen Jahren von Programmierern geschaffen wurde, kann man Kleider, Burger und Bücher kaufen – oder Drogen. Das geht fast so anonym wie mit Bargeld. Und ganz ohne Zentralbank.

0,12 Bitcoins kostet derzeit ein Burger bei »Room 77«, einer Berliner Kneipe in der Kreuzberger Graefestraße. Wer will, kann zwar auch ganz klassisch zwölf Euro in bar auf die Ladentheke legen, aber viele der Nerds, Hacker und internationalen Gäste dort zahlen lieber elektronisch. Mit ihren Smartphones scannen sie einen QR-Code und bestätigen die Zahlung mit einer App. Fertig ist der Deal, und das ganz ohne Bankkonten oder Kreditkarten.
Bitcoins wurden 2009 vom japanischen Kryptologen Satoshi Nakamoto erschaffen. Seine Idee war, die aus der E-Mail-Verschlüsselung bekannten Public-Key-Verfahren mit Peer-to-Peer-Netzwerken zu verbinden und auf Geldtransaktionen anzuwenden. Wer mit Bitcoins bezahlen möchte, besorgt sich ein »Wallet« – ein virtuelles Portemonnaie in Form einer App für Smartphone, Tablet oder den PC – und legt sich eine Bitcoin-Adresse an. An diese kann man sich dann entweder von anderen Bitcoin-Nutzern einen Geldbetrag überweisen lassen oder direkt auf einer der vielen Online-Börsen ein paar Euro, Dollars oder andere Währungen gegen Bitcoins tauschen.
Dabei gibt es keinerlei Bank, die die Zahlung in einem Konto protokollieren würde: Wie viel Geld man hat, ist ausschließlich in der Wallet gespeichert. Bitcoins sind das »Regionalgeld des Internet«. Anstelle von Geldinstituten gibt es eine Datenbank, die über alle Bitcoin-Anwender verteilt im Internet gespeichert wird. Das funktioniert ähnlich wie bei Peer-to-Peer-Netzen wie zum Beispiel Bittorrent. Die Zahlung gilt als getätigt, sobald sechs andere Knoten im Netz sie bestätigt haben, was allerdings bis zu einer Stunde dauern kann. Bezahlen per Bitcoin ist also im Vergleich zum Bargeld langsam, dafür aber international möglich und sehr viel schneller als eine Überweisung. Notwendig ist lediglich eine Internet-Verbindung. Fällt die aus, steht man blank da.
Doch woher stammt das virtuelle Geld? Wenn sich Bitcoins einfach so nachmachen ließen, könnten wir schließlich genauso gut versuchen, mit dem Laub zu zahlen, das gerade massenhaft von den Bäumen fällt. Satoshi Nakamoto hat sich hierfür einen komplizierten Mechanismus ausgedacht: Jeder kann Bitcoins erschaffen, mining nennt sich das. Statt wie in vergangenen Zeiten Gold zu schürfen, löst der eigene Rechner komplexe Rechenaufgaben. Weltweit entsteht auf diese Weise etwa alle zehn Minuten ein neuer Bitcoin – bis das aber auf dem eigenen Rechner passiert und man aus dem Nichts ein wenig reicher geworden ist, können allerdings Jahre vergehen. Die Rechenaufgaben, die die Computer lösen müssen, werden dabei alle paar Wochen schwieriger gemacht – zum einen, damit sich das System an die immer schneller werdenden Computer anpasst, zum anderen, um die Geldmenge stabil zu halten. Irgendwann um das Jahr 2200 wird der allerletzte Bitcoin entstanden sein. Dann werden etwa 21 Millionen davon im Umlauf sein.
Da Bitcoins nicht wie Papiergeld beliebig gedruckt werden können, droht auch keine Inflation. Stabil sind die Preise trotzdem nicht. Bitcoins werden vollkommen unreguliert im Internet gehandelt, was sehr starke Preisschwankungen nach sich zieht. War ein Bitcoin 2010 noch etwa zehn US-Cent wert, stieg der Kurs des virtuellen Geldes im Zuge der Zypern-Krise zeitweilig sogar auf mehr als 200 US-Dollar, halbierte sich jedoch innerhalb eines Tages wieder. Als Geldanlage sind Bitcoins also nichts für schwache Nerven – aber dafür sind sie auch gar nicht gedacht.
Nach wie vor ist es kompliziert, kleine Beträge im Internet auszugeben. Einen einzelnen Zeitungsartikel online lesen? Ein Musikstück kaufen? Die hierfür nötigen Payment-Dienste konnten sich bisher nur teilweise durchsetzen. Die meisten Geschäfte im Internet sind an Überweisungen, Abbuchungen oder Kreditkartenzahlungen gekoppelt. Das ist schwerfällig, kostet die Händler hohe Transaktionsgebühren und hinterlässt eine breite Datenspur, schließlich erfassen die Banken genau, wann wir welchen Geldbetrag wofür und an wen ausgegeben haben – anders als beim Bargeld, dem niemand ansieht, ob damit letzte Nacht im Späti nochmal Bier gekauft wurde.
Ganz so anonym wie Bargeld sind Bitcoins allerdings nicht. Zwar benutzen alle Anwender ein Pseudonym, die Zahlungskette lässt sich allerdings immer zurückverfolgen und Pseudonyme können leicht durch das geschickte Kombinieren verschiedener Daten aufgedeckt werden, wenn etwa eine Zahlung auf einem Smartphone eingeht, mit welchem man gleichzeitig gerade bei Facebook eingeloggt ist. Mit ein paar Vorsichtsmaßnahmen ist das Zahlen per Bitcoins durchaus anonym möglich, was auch schon die ersten Kritiker auf den Plan ruft: Mit Bitcoins würden Drogengeschäfte, Geldwäsche und Waffenhandel finanziert, weshalb die Europäische Zentralbank und die US-amerikanische Finanzbehörde eine strenge Regulierung fordern. Dass derlei finstere Geschäfte bisher genauso gut mit Bargeld möglich waren, übersehen sie dabei geflissentlich.

Auch das Finanzministerium ist nicht besonders glücklich über Bitcoins. Ähnlich wie mit dem klassischen Geldkoffer lassen sich damit schließlich wunderbar Steuern hinterziehen. Sichtbar werden die Transaktionen erst, sobald die Bitcoins an einer Börse gegen andere Währungen getauscht und aufs eigene Bankkonto überwiesen werden. Bitcoins lassen sich also durchaus als eine Wiederherstellung des Bankgeheimnisses von unten sehen. Staaten und Banken stehen hier vor einem Dilemma: Eigentlich wollen sie das neue Geld am liebsten gar nicht erst anerkennen, weshalb das Finanzministerium von »Privatgeld« spricht, andererseits müssen sie es, um Geldflüsse besteuern zu können. So hat ein US-Gericht kürzlich klargestellt, dass auch Geldgeschäfte mit Bitcoins den amerikanischen Finanzgesetzen unterliegen – und die Währung damit offiziell anerkannt.
Die Zentralbanken haben auch weitere Gründe, die Entwicklung der Bitcoins argwöhnisch zu beobachten. Rechtlich haben sie das Monopol auf die Geldschöpfung – sie allein können Banknoten drucken und in Umlauf bringen. Oder abstrakter: Kredite zu selbst festgesetzten Leitzinsen an andere Banken vergeben, die diese wiederum an ihre Kunden weiterreichen. Würden sich Bitcoins durchsetzen, fiele dieses Monopol weg. Der Einfluss von Staaten und Notenbanken auf die Geldwertstabilität würde erheblich geschwächt. Manche Bitcoin-Nutzer sprechen schon von einer »Demokratisierung des Geldes«. Es wäre also nicht überraschend, wenn der Handel mit Bitcoins einfach irgendwann verboten würde – dabei ist er kaum zu kontrollieren.

Schließlich ist eine komplette Schattenwirtschaft denkbar, die ausschließlich auf Bitcoins basiert. Es ist durchaus möglich, online Geld zu verdienen, sich dieses in Bitcoins auszahlen zu lassen, damit bei einem anderen Online-Händler shoppen zu gehen – oder einen Burger in Kreuzberg zu kaufen. Wächst das System weiter, ist es gar nicht so unwahrscheinlich, dass Bitcoins langfristig für viele Netzbewohner zur Erstwährung werden. Dafür muss niemand nach Berlin ziehen. Schon heute lassen sich per Bitcoins Kleidung, Bücher, Musik und digitale Medien ordern. Online-Dienste wie Word Press, Reddit oder Mega akzeptieren Bitcoins ebenso wie verschiedene NGOs. Der BUND Berlin etwa nimmt gerne Spenden in Bitcoins entgegen und beim bekannten Blog Netzpolitik.org machen Bitcoins bereits fünf Prozent des Spendenaufkommens aus.
Bleibt die Frage, wie sicher Bitcoins sind. In den vergangenen Monaten und Jahren gab es einige Skandale, als es Hackern gelang, nennenswerte Bitcoin-Beträge unerkannt zu entwenden. Auf Bitcoins müssen wir also genauso aufpassen wie auf unser Portemonnaie. Zur Vermeidung von Taschendiebstahl 2.0 sind die Daten in der Wallet auf dem eigenen Gerät zwar verschlüsselt, was aber eventuell im Hintergrund mitlaufende Trojaner nicht davon abhält, mitzulesen, wenn eine Bitcoin-App gestartet wird. Wer nicht gerade Informatiker ist, dürfte sich schnell damit überfordert fühlen, sein digitales Portemonnaie genauso gut im Auge zu behalten wie das echte mit den Geldscheinen drin.
Das Gesamtsystem hingegen scheint sicher. Um Bitcoins zu fälschen, müsste ein Angreifer derzeit mehr als die Hälfte der Rechenleistung aller beteiligten Teilnehmer aufbringen. Möglich wäre das durchaus mit großen Rechnerfarmen, wie Google oder die NSA sie betreiben, das System wird aber umso sicherer, je mehr Menschen Bitcoins nutzen.
Am Ende wird wie bei jeder Währung wohl nicht das System entscheidend sein, sondern das Vertrauen der Menschen. Halten sie ihre Währung für stabil, bleibt sie es auch. Flüchten sie massenhaft in andere Währungen, sinkt der Kurs ins Bodenlose. Bitcoins können jederzeit abstürzen, genauso gut könnte aber eine Verschärfung der Eurokrise zu einer massenhaften Flucht in die Bitcoins führen. Der kurze Kursanstieg in der Zypern-Krise war ein Vor­geschmack darauf.