Der Künstler Felix Kubin

Zwischen Blitzen aus Pappe und Promiattrappe

Ziemlich dada und manchmal ganz schön gaga: Felix Kubin ließ sich von der Neuen Deutschen Welle inspirieren, gewann Preise mit seinen Hörspielen und arbeitet seit mehr als drei Jahrzehnten unter dem Radar des Mainstream. Ein Porträt des Künstlers als nicht mehr ganz junger Mann.

Raus aus meinem Traum, Donald Duck«, intoniert der fröhlich anarchische Elektronikmusik-Entertainer Felix Kubin in seinem gleichnamigen Gassenhauer und fordert gleich noch weitere Prominente auf, ihn nicht bei seinem Schlaf zu stören: Roland Koch etwa oder den »Schweiger Til«. Dass der Erfolg öffentlicher Figuren darauf basiert, dauerhaft im Unbewussten möglichst vieler umherzuspuken, kann ja auch nerven – zumal: »Ihr seid nicht wirklich hier, denn nichts ist wirklich hier«, wie Kubin abschließend feststellt, während der DAF-hafte Groove weiterhüpft und ein Analog-Synthesizer fiept.
In solchen Dada-Vignetten ergeht sich der Hamburger Kubin bereits seit Beginn der achtziger Jahre. Kaum war er in den Besitz eines Synthesizers gekommen, begann er, durch den Boom der Neuen Deutschen Welle beflügelt, hektische Früh-Elektro-Musik zu erzeugen. Vom Stimmbruch noch weit entfernt, zwitscherte er dazu: »Was ist aus der Qualität des Staates geworden?« Zweifelsohne ein aufgeweckter Junge.
Das dachte sich vermutlich auch der Post-Punk-Impresario Alfred Hilsberg, der den inzwischen immerhin 14jährigen Kubin 1983 bei einem Konzert im Hamburger Hafenklang entdeckte. Allerdings kam es zunächst zu keiner Veröffentlichung auf Hilsbergs wegweisendem Label Zick Zack – eine Tatsache, auf die der heranwachsende Kubin »ein bisschen beleidigt« reagierte, wie er im Interview angibt. Denn »der große Produzent Tom Dokoupil und Alfred Hilsberg saßen damals bei meinen Eltern am Kaffeetisch und sagten: Das kriegen wir hin, das machen wir dann so und so in dem und dem Studio. Und es wäre – zumindest von der Produktion her – sensationell geworden.«
Die Sensation blieb einerseits aus, weil Hilsberg laut Kubin eher »Künstlertyp als Businessman« sei; andererseits, weil das Interesse an der Neuen Deutschen Welle inzwischen stark nachgelassen hatte, so dass eine Veröffentlichung finanziell zu riskant gewesen wäre – so gibt es wiederum Hilsberg in einem Pressetext zu Kubins gerade erschienenem Album an. Nach 30 Jahren ist es nun nämlich doch noch zu ­einer Zusammenarbeit gekommen: »Zemsta Plutona« erscheint als Kooperation zwischen ­Zick Zack und Kubins eigenem Label Gagarin Records. Er habe Hilsberg »zu Kreuze kriechen« lassen, sagt Kubin, und ihn freundschaftlich gezwungen, den erklärenden Pressetext zu verfassen.
»Zemsta Plutona« beginnt mit einer Coverversion von Lou Christies Sexualtrieb-Hit »Lightnin’ Strikes«, dessen geisterhaft kopfstimmigen Refrain Christies Plattenfirma zunächst als »zu eunuchenhaft« abgelehnt hatte. Das einst bereits von Klaus Nomi, dem schrillen Countertenor und Wegbereiter des New Wave, gecoverte Stück entstammt der Feder von Christies Chef-Songschreiberin Twyla Herbert – sie bezeichnete sich als Hellseherin und behauptete, ihre Hits voraussagen zu können. Obwohl Kubin erzählt, er habe davon erst gelesen, nachdem er das Stück aufgenommen hatte, erscheint es plausibel, dass er sich als Hörspielautor und Lieb­haber alter Klangbibliotheken für das comichaft überzeichnete Sound-Design dieses Liedes begeistern konnte. Was er im vergangenen Jahr bei Konzerten noch dadurch unterstrich, dass er im Refrain zwei zackige Pappblitze hochhielt.
Im Stück »Nachts im Park« herrschen gespenstische Analogklänge vor, an anderer Stelle sind die Gastsängerinnen Meryll Hardt und Cyndie Synthie zu hören, Kubin zufolge zwei »flotte Französinnen«, die ihn eines Abends bei einem Zug durch die Gemeinde in Hamburg begleiteten und schließlich um drei Uhr morgens in seinem Studio den Text von »Piscine Résonnez!« improvisierten. Dieses Stück sowie drei weitere des Albums wurden von Tobias Levin gemischt, dem Hamburger Produzenten, mit dem Kubin auch unlängst an einem Album mit einer polnischen Big Band zusammengearbeitet hat. Das polnische Studio lag übrigens in einem Blindenheim, so dass die klangliche Hintergrundkulisse bei der Arbeit aus »klackernden Blindenstöcken« bestand. Ebenfalls mit Levin war bereits 2010 »Echohaus« entstanden, ein Stück, das mit dem Ensemble Intégrales aufgenommen wurde. Kubin verteilte die Musiker damals auf verschiedene Räume und gab ihnen über Kopfhörer Anweisungen beim Spielen.
Kubin ist permanent beschäftigt, während des Interviews hält er sich im österreichischen Hainburg auf, wo er im Institut für Medienarchäologie einen monströsen, vom Komponisten Max Brandt entwickelten Analog-Synthesizer aufnimmt. Von der Couch des Hotels aus erzählt er zunächst vor allem von seiner regelmäßigen Tätigkeit als Hörspielautor: Schon als Kind nahm er primitive Hörspiele auf, und als ein Onkel aus der Schweiz ihm das Hörspiel »Das Ohrenlicht« von Roland Steckel schickte, in dem sich eine künstliche Intelligenz mit dem Zuhörer unterhält, war eine lebenslange Leidenschaft geboren.
Im Anschluss entdeckte er die Science-Fiction-Hörspiele von Stanislaw Lem sowie experi­mentelle, oft auf Textcollagen aufgebaute Werke von Ferdinand Kriwet, Günter Eich und die Arbeiten des griechischen Komponisten Iannis Xenakis. Kinderhörspiele begeistern ihn ebenfalls, besonders jene aus »Vor-Achtundsechziger-Zeiten, in denen noch häufiger böse oder am­bivalente Figuren dargestellt wurden« und die Musik statt aus generischen Musikbibliotheken noch von eigens engagierten und oft an der Avantgarde der Neuen Musik geschulten Komponisten stammte.
In seinen eigenen Hörspielen findet man traditionelle narrative Strukturen, oft aber auch von der Musique concrète beeinflusste Geräuschcollagen sowie Spontanes aus dem Familienalltag: So begann Kubin einmal während eines Telefongesprächs mit seiner Mutter plötzlich, das Telefon in Kochtöpfe und in seinen Kühlschrank zu legen und so »diese Klangumfelder zu testen«. In einem anderen Hörspiel hört man einen Zusammenschnitt aus heruntergepitchten Äußerungen seiner damals fünfjährigen Tochter, die sie klingen lassen »wie einen psychedelischen Erwachsenen«.
Zwar erfolgte Kubins Übergang ins hauptberufliche Klangkünstler-Dasein durch einen ersten Hörspielauftrag (»Ich hatte mich auch vorher sehr um Lohnarbeit gedrückt«), auch arbeitete er später an zahlreichen Theaterproduktionen mit, wie etwa im Rahmen von Christoph Schlingensiefs »Atta Atta« in der Berliner Volksbühne. Er komponierte Film-Soundtracks und versuchte sich gelegentlich selbst als Kurzfilmmacher, doch gab er auch weiterhin Konzerte. Für eine Weile eher in krachigen Post-Industrial-Zusammenhängen, bis er im Lauf der neunziger Jahre seine gewinnende Bühnenidentität als dadaistischer Charmeur mit punkig-tanzbarem Beat entwickelte. Konzerte von Felix Kubin sind flamboyante Darbietungen: Im schicken Retro-Futurismus-Jackett und mit Schalk im Blick bewegt er sich leicht swingend zwischen Mikrophon und elektronischen Geräten umher, skandiert surrealistische Parolen und freut sich wie ein Kind.
Wenn Felix Kubin dieser Tage sein Album live präsentiert, wird er sicherlich eine Version des Album-Highlights »Atomium Vertigo« spielen – das Stück ist eine vom französischen Gastvokalisten Nicolas Ekla getextete, finster groovende Ode an das berühmte Brüsseler Monument und dokumentiert die Faszination des Physikersohns Kubin für atomare Mikrokosmen. So groß ist diese Faszination, dass Kubin vor einigen Jahren seinen 40. Geburtstag im Atomium feierte – und zwar in Form einer Verkleidungsparty mit dem Motto »Doppelgänger«. John Lennon und Yoko Ono waren genauso zu Gast wie Lawrence Olivier. Kubin selbst kam als König Ludwig II. Wieder mal lauter berühmte Leute, die nicht wirklich da waren.

Felix Kubin: Zemsta Plutona (Zick Zack/Indigo)

Live: 15. November, Berlin, West Germany;
16. November, Hamburg, Westwerk