Frederick Taylors Buch »Inflation«

Angst essen Euro auf

Der britische Historiker Frederick Taylor hat die Geschichte der
großen Inflation vor 90 Jahren aufgeschrieben.

Ganz genau erinnere ich mich an den kurzen Augenblick, als ich Milliardär war. In der obersten Schublade des Nachttisches meiner Oma fand ich diverse Geldscheine. Ich muss schon in der Grundschule gewesen sein und konnte immerhin die Zahlen auf den Scheinen lesen. Es waren Milliarden. Aufgeregt rannte ich ins Wohnzimmer und wedelte mit meinem Schatz. Keiner müsse mehr arbeiten, wir hätten ausgesorgt. Oma klärte mich auf, dass das Geld aus der Zeit der Inflation stamme und nicht das Papier wert sei, auf dem es gedruckt wurde. Der Traum von den Milliarden platzte.
Die Angst vor der Geldentwertung ist eine German Angst. Der britische Historiker Frederick Taylor hat ihr nun ein ganzes Buch gewidmet. Sein Werk heißt »Inflation« und trägt in der deutschen Ausgabe den Untertitel »Der Untergang des Geldes in der Weimarer Republik und die Geburt eines deutschen Traumas«. Die Angst vor der Inflation werde von einer Generation an die nächste gereicht wie eine Art kulturelles Erbe. Taylor interpretiert die Politik der Deutschen angesichts der Euro-Krise auch als eine Konsequenz dieser tradierten Inflationsangst.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Taylor in die deutsche Geschichte vertieft. Sein Buch über die Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg, »Dresden. Dienstag, 13. Februar 1945« (2004), wurde ein internationaler Bestseller. Darin legt Taylor dar, warum der Verkehrsknotenpunkt Dresden ein legitimes Angriffsziel war. Zuletzt erschienen von ihm die Bücher »Die Mauer. 13. August 1961 bis 9. November 1989« (2009) und »Zwischen Krieg und Frieden. Die Besetzung und Entnazifizierung Deutschlands 1944–1946« (2011).
Auch sein neues Buch geht weit zurück. Der Beginn des Ersten Weltkriegs gilt als Wendepunkt der Geldpolitik. Bis dahin war die Reichsmark an den Goldstandard gekoppelt, das heißt, die Reichsbank versprach, dass das Papiergeld durch Gold gedeckt sei. Viele Reichsbürger nahmen die Bank beim Wort und tauschten zu Beginn des Krieges ihr Papiergeld in echte Goldmünzen um. Die Banken sahen sich gezwungen, den unkontrollierten Goldabfluss einzudämmen, und schlossen vorübergehend ihre Pforten. Den damals bereits einsetzenden Geldverfall konnten die Banken so nicht verhindern. Denn die Reichsbank gab das Prinzip der Golddeckung zu Beginn des Kriegs auf. So konnte sie ungehindert die Notenpresse anwerfen, denn Deutschland kam zu diesem Zeitpunkt kaum noch an günstige Auslandskredite heran. Finanziert wurde der Krieg durch Gelddrucken und durch die Ausgabe von Kriegsanleihen, die die Deutschen bereitwillig zeichneten. Schließlich wurde ihnen im Schnitt fünf Prozent Verzinsung angeboten. Zu diesem Zeitpunkt lag der Kurs des Dollars bei 1 zu 4,20 Reichsmark. In den gesamten folgenden Jahren sollte sie nie wieder auch nur annähernd an diesen Wert heranreichen. Doch selbst als sich abzuzeichnen begann, das Deutschland den Krieg verlieren würde, zeichneten die Deutschen brav weiter ihre Kriegsanleihen. Am Ende des Kriegs stand die Reichsmark bereits bei 8,20. »Aber das war noch lange nicht besorgniserregend. Die Wirtschaft und die Gesellschaft können bis zu einer bestimmten Grenze mit der Inflation umgehen. Im damaligen Deutschen Reich ging dies bis 1922«, erzählt Frederick Taylor im Interview.
Im Buch rechnet er vor: Am Ende hatte der Krieg Deutschland 160 Milliarden Goldmark gekostet, die Forderungen der Gegner noch nicht eingerechnet. Durch den Vertrag von Versailles kamen weitere Milliarden an Reparationsforderungen hinzu. Neben den immensen Schulden galt es, Millionen Kriegswaisen und Millionen Witwen zu versorgen. Und dann waren da noch sieben bis acht Millionen Soldaten. Sie wollten wieder in ihre alten Berufe zurück, ihr altes Einkommen, aber viele von ihnen waren kriegsversehrt. Und viele blieben bewaffnet. Nach der Abdankung des Kaisers versprach die junge SPD-Regierung sozialen Frieden. Die Arbeiter nahmen sie beim Wort. Also finanzierte man die soziale Absicherung weiterhin durch die Notenpresse. Ein Teufelskreis begann. Zwei Jahre nach Kriegsende waren es ebendiese Arbeiter, die den Kapp-Putsch durch einen Generalstreik vereitelten. Doch die politische Instabilität blieb, obschon die deutsche Wirtschaft wieder kräftig exportierte. Der schwache Kurs der Reichsmark stärkte die Indus­trie, denn er ließ für viele Staaten deutsche Produkte attraktiv werden. Die Bezahlung erfolgte zumeist in Devisen, die in der Zeit der voranschreitenden Inflation so etwas wie eine Lebensversicherung wurden. Wer über Devisen und Sachwerte verfügte, wer an den Börsen spekulierte, hatte einiges richtiggemacht. Die deutsche Mittelschicht gehörte zu den Verlieren dieser Zeit. Taylor zitiert Sebastian Haffner: »Den Jungen, Flinken ging es gut. (…) Geistesträgheit und Verlass auf frühere Erfahrungen (wurden) mit Hunger und Tod bestraft.« Höhere Beamte wie Haffners Vater gehörten zu den Verlierern. »Am 31. oder ersten des Monats bekam Vater sein Monatsgehalt. (…) Am nächsten Morgen stand die ganze Familie, auch das Dienstmädchen um vier Uhr früh auf und fuhr mit dem Taxi zum Großmarkt. Dort wurde ein Großeinkauf organisiert und innerhalb einer Stunde wurde das Monatsgehalt eines Oberregierungsrat für unverderbliche Speisen ausgegeben.« Taylor gelingt es in seinem Buch immer wieder, durch Heranziehen von Tagebucheinträgen, Zeitungsnotizen und Erinnerungen eine lebendige Geschichte zu erzählen. Leider verwendet er sein Material, wie im Fall der Aufzeichnungen Haffners, weitgehend unkritisch und übernimmt oftmals die deutsche Opferperspektive. »Die Zeitungsarchive der britischen Presse aus jener Zeit geben einen phantastischen Blick des Auslands auf Deutschland preis«, so Taylor weiter. Auch aus ihnen zitiert er häufig. In Deutschland zeichnete sich langsam ab, wen rechte Strömungen für die Misere verantwortlich machten – die Juden. »Knallt ab den Walther Rathenau, die gottverdammte Judensau«, hieß es in einem nationalistischen Trinklied. 1922 wurde der Außenminister von Mitgliedern der rechtsextremen Organisation Consul ermordet.
Das Jahr 1923 war mit der Hyperinflation der Höhepunkt. Bedingt durch die Besetzung des Ruhrgebiets durch französisch-belgische Truppen, geriet die Finanzlage der Weimarer Republik vollständig außer Kontrolle. Denn die Regierung in Berlin hatte zugesagt, die Löhne der streikenden Arbeiter weiter zu zahlen. Der Kurs der Reichsmark stand im November des Jahres bei 2,5 Billionen zum Dollar. Das Lied »Wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen« wurde ein beliebter Schlager in diesen Zeiten. Die Einführung der Rentenmark erwies sich als kluger Schachzug. Langsam stabilisierte sich die neue Währung, und die »Goldenen Zwanziger« brachen an. Bis die nächste Krise nahte und die Nationalsozialisten an die Macht gelangten.
Aber das wäre ein neues Buch. Taylors Darstellung ist auch für ökonomische Laien mühelos verständlich, aber wirklich Neues lesen sie nicht. Und auf Ideologiekritik verzichtet der Autor weitgehend. Zum Schluss schlägt Taylor den Bogen über 90 Jahre in die Gegenwart der Euro-Krise. Was passiert, wenn die Deutschen das Vertrauen in die gemeinsame Währung verlieren? Taylor warnt die Politik davor, sich von den Ängsten der Vergangenheit leiten zu lassen, und plädiert für einen gelassenen Umgang mit der Krise.

Frederick Taylor: Inflation. Der Untergang des Geldes in der Weimarer Republik und die Geburt eines deutschen Traumas. Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt. Siedler-Verlag, München 2013. 400 Seiten, 24,99 Euro