Der Umgang der Bundesregierung mit Projekten gegen Nazis

Das demokratische Hufeisen

Die Große Koalition schafft für geförderte Projekte gegen Nazis den Bekenntniszwang zum Grundgesetz ab. Doch ganz ohne Bekenntnis möchte sie dennoch niemanden fördern.

»Bundesregierung will Extremismusklausel abschaffen«, so hieß es bereits im Dezember. Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) hatte damals angekündigt, von geförderten Projekten gegen Rassismus und Neonazismus kein schriftliches Bekenntnis zum deutschen Grundgesetz mehr zu verlangen. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) zeigte sich daraufhin empört. »Es geht hier überhaupt nicht darum, irgendeine Demokratieerklärung abzuschaffen«, hieß es aus dem Innenministerium.
Nun haben sich die beiden Ministerien offenbar doch noch geeinigt. Seit vergangenem Freitag ist es offiziell: Projekte, die aus Mitteln des Bundes gefördert werden sollen, müssen zukünftig keine Erklärung mehr unterschreiben, in der sie sich zur »freiheitlichen demokratischen Grundordnung« bekennen und zugleich für die Verfassungstreue aller beteiligten Projektpartner bürgen.
Die Erleichterung bei den Initiativen war vergangene Woche groß, möglicherweise aber verfrüht. Denn die Ministerien betonten in einer gemeinsamen Presseerklärung, dass auch weiterhin »keine Steuergelder an extremistische Organisationen oder Personen gehen dürfen« und Projektträger die Verantwortung dafür trügen, »dass niemand mit Steuermitteln unterstützt wird, der sich nicht auf dem Boden des Grundgesetzes bewegt«. Zukünftig soll es daher nun ein Begleitschreiben geben, in dem die Geldempfänger informiert werden, dass mit der Annahme der Fördergelder jenes Bekenntnis ebenso wie die Verpflichtung, beteiligte Personen und Organisationen zu überprüfen, automatisch einhergeht. »Extremismusklausel heißt jetzt Begleitschreiben«, fasste Zeit Online die neue Regelung zusammen.
Die Extremismusklausel war 2011 von der damaligen Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) eingeführt worden. Die hinter dem Extremismusvorwurf stehende Hufeisenlogik – »Rechts- und Linksextremismus sind wie die Enden eines Hufeisens: weit auseinander und doch nah beieinander« (Schröder auf Twitter) – machte in den Folgejahren vielen Projekten schwer zu schaffen. Sie sahen sich einem Generalverdacht ausgesetzt, viele weigerten sich, die Erklärung zu unterschreiben. In Einzelfällen, zum Beispiel in Berlin und Hamburg, sprangen die Länder bei der Finanzierung ein, wenn der Bund sie verweigerte. Anderenorts mussten viele, zum Teil mehrfach prämierte Projekte durch Spenden finanziert oder vorübergehend eingestellt werden.
Timo Reinfrank, der bei der Amadeu-Antonio-Stiftung für die Projektförderung zuständig ist, betont im Gespräch mit der Jungle World, dass das Verhältnis zwischen der Bundesregierung und den Initiativen durch die Extremismusdiskussion großen Schaden genommen habe. »Die Projekte wurden durch Ministerin Schröder in eine ideologische Auseinandersetzung hineingezogen, die nicht ihre ist«, sagt er. Viele Engagierte hätten sich in der Folge zurückgezogen.
Reinfrank begrüßt daher die Entscheidung. Schwesig habe verstanden, dass »es andere dringende Probleme gibt, denen sich auch die Bundesregierung zuwenden sollte, anstatt alle Projekte, die sich für Demokratie engagieren, unter Linksextremismusverdacht zu stellen«. Dies, so hofft er, könne auch die »fragile Situation« der Projekte verbessern, die weiterhin keine dauerhafte Förderung bekommen, sondern alle Jahre aufs Neue vom politischen Wohlwollen der jeweiligen Regierung abhängig sind. Ministerin Schwesig zeige sich derzeit durchaus bemüht, das Vertrauen wieder aufzubauen.

Wie immer in der Politik sind die Fronten aber keinesfalls so klar, wie es auf den ersten Blick erscheint. Die neue Familienministerin zum Beispiel war 2010 als damalige Sozialministerin selbst an der Einführung einer sogenannten Demokratieerklärung für Kindertagesstätten in Mecklenburg-Vorpommern beteiligt. Zwar bestand der Zweck in diesem Fall darin, möglichst zu verhindern, dass dort Neonazis angestellt werden. Jedoch wurde das geforderte Bekenntnis auch in diesem Fall so schwammig formuliert, dass es der Extremismusdebatte Vorschub leistete. Kritiker Schwesigs bezeichnen dieses Handeln als widersprüchlich. Bereits in der Diskussion im Bundestag 2011 über die Einführung der Extremismusklausel verwies die CDU auf den ehemaligen Innenminister Otto Schily (SPD). Schily nämlich war es, der das Bekenntnis zur »freiheitlichen demokratischen Grundordnung« als Voraussetzung für die Förderung eingeführt hatte, jedoch damals noch ohne den Zwang, dies mit einer Unterschrift zu bestätigen.
Am Extremismusbegriff hält die Große Koalition ohnehin fest, trotz seiner offensichtlichen Unbrauchbarkeit. So bezeichnete Hans-Peter Uhl, der innenpolitische Sprecher der CDU, Schwesig als »Störerin«, nachdem sie ihre Kritik an der Extremismusklausel öffentlich formuliert hatte. Uhl wiederum ist Alter Herr der Münchner Burschenschaft Arminia-Rhenania, die zwar mittlerweile aus dem völkischen Dachverband Deutsche Burschenschaft (DB) ausgetreten ist, aber 2011 bei der Einführung des »Ariernachweises« als Aufnahmebedingung noch den Vorsitz der DB innehatte. Während also ein Mitglied einer vor nicht allzu langer Zeit für Großdeutschland und das völkische Abstammungsprinzip eintretenden Organisation als Vertreter der sogenannten Mitte im Bundestag gegen vermeintliche Extremisten poltert, muss ein Bildungsprojekt zur Shoah der Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen derzeit ruhen. Sachsen besitzt als einziges Bundesland eine eigene Extremismusklausel, der das Bildungswerk der Grünen die Unterschrift verweigert. Stattdessen hat die Stiftung Klage eingereicht.
Die »absurden Auswüchse ideologischer Verblendung«, wie die Bundestagsabgeordnete Monika Lazar (Grüne) die staatliche Extremismusbekämpfung kommentierte, zeigen sich in Sachsen besonders deutlich. Der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Dresden wurden 2012 Gelder aus dem Programm »Weltoffenes Sachsen« verweigert, da der Verein es ablehnte, unter anderem von Tomáš Kraus, dem Sohn von Holocaust-Überlebenden und Vertreter der Jüdischen Gemeinden der Tschechischen Republik, ein unterschriebenes Bekenntnis zum deutschen Grundgesetz zu verlangen. Nach öffentlicher Kritik machte der Freistaat Sachsen hier eine Ausnahme. Keine Ausnahme hingegen gab es für den Rabbiner Daniel Alter, der sich ein Jahr, nachdem er in Berlin auf offener Straße zusammengeschlagen worden war, für einen Vortrag bei dem Dresdner Verein erst einmal schriftlich zur deutschen Demokratie bekennen musste.

Hieran wird deutlich, dass das Problem grundsätzlicher Natur ist. Noch immer stehe, wer sich gegen Nazis und insbesondere den alltäglichen Rassismus und Nationalismus engagiere, unter »Nestbeschmutzerverdacht«, beklagt Reinfrank. Ob dieses Engagement privater oder beruflicher Natur ist, macht für die Behörden keinen Unterschied. Dies zeigt sich derzeit an der Diskussion um die Beobachtung kritischer Journalistinnen und Journalisten wie Andrea Röpke und Kai Budler. Deren Berichterstattung über Naziaufmärsche wird in den Akten des niedersächsischen Verfassungsschutzes als Beleg ihrer linksextremistischen Aktivitäten angeführt.