Antje Kruska und Judith Keil stellen im Gespräch ihren Dokumentarfilm »Land in Sicht« über Asylsuchende in Brandenburg vor

»Jeder hat auf eine bestimmte Art Asyl verdient«

Die Filmemacherinnen Antje Kruska und Judith Keil (»Der Glanz von Berlin«, »Dancing with Myself«) porträtieren in ihrem neuesten Kinofilm »Land in Sicht« Asylsuchende im brandenburgischen Bad Belzig. Die beiden verzichten auf einen Kommentar und eindeutige Botschaften, sie nähern sich dem Thema stattdessen über die Geschichten der porträtierten Menschen. Ihre Protagonisten sind drei Asylsuchende und eine Sozialarbeiterin.

»Die Würde des Menschen ist unantastbar« lautet der erste Artikel des deutschen Grundgesetzes. Ist dieser Paragraph angesichts der gegenwärtigen Situation von Asylsuchenden und in Hinblick auf Ihren Film noch zutreffend?
Kruska: Das ist eine schwierige Frage. Das, was Asylbewerbern in Deutschland vermittelt wird, ist einerseits: Wenn ihr hier seid, dann lassen wir euch nicht komplett vor die Hunde gehen. Wir geben euch Obdach in Form von Asylbewerberheimen – das ist nicht schön, aber es hält euch warm. Ihr bekommt monatlich Geld – das ist wenig, aber es reicht, um sich ein Essen zu kaufen. Ihr seid krankenversichert – ein Luxus, den ja viele Flüchtlinge aus ihren Heimatländern gar nicht kennen. Viele kommen mit körperlichen und psychischen Krankheiten hier an. Da ist diese Versorgung auf eine Art wertvoll. Und trotzdem merken wir durch unseren Film und die Beschäftigung mit dem Thema, dass zu menschlicher Würde natürlich noch ein bisschen mehr gehört, als die Menschen vor dem Allerschlimmsten zu bewahren. Und es ist schon so, dass Asylsuchende nicht immer auf ein freundliches Willkommen stoßen, sondern oft eher auf das Gegenteil, auch wenn es nicht immer rassistische Begegnungen sein müssen. Andererseits wird vermittelt: Du bist geduldet, du darfst zwar hier bleiben und dein Leben ist auf eine Art gesichert, aber du darfst nicht arbeiten und du darfst deinen Landkreis nicht verlassen. Wenn die von der Ausländerbehörde Lust haben, musst du alle zwei Wochen hingehen und dich neu vorstellen. Dir wird praktisch immer suggeriert: Als Geduldeter bist du ein Krimineller, denn du unterschlägst deine Identität, du musst deinen Pass offenbaren, damit die dich abschieben können – das ist das Gesetz. Und so wird dir immer irgendwie eine Wand vorgehalten. Das macht die Menschen mürbe und tastet ihre Würde an.
Keil: Es ist Wahnsinn zu sehen, wie Menschen, die in diesen Heimen landen, ihre ganze Identität verloren haben. Sie kommen hier an und kein Mensch weiß, wer sie sind und was sie eigentlich für ein Leben gelebt haben. Das haben wir in den ersten Begegnungen mit den Menschen selbst gemerkt. Man nimmt sie zunächst als Asylbewerber wahr. Erst Schritt für Schritt kommt man an ihre Persönlichkeiten heran, an das, was sie eigentlich sind und was ihnen Selbstbewusstsein, Stärke und Kraft gibt. Es ist jedoch sehr schwierig, das alles in dieser Situation aufrechtzuerhalten, denn die Asylsuchenden werden sehr kleingemacht und es greifen viele Schikanen. Jede kleine Notwendigkeit – ob es ein Arztbesuch ist oder darum geht, Informationen zum Asylantrag zu bekommen – wird zur Schwierigkeit. Da gibt es selten jemanden, der ihnen das erklären will. In unserem Film spielt Würde eine große Rolle, weil wir unsere Protagonisten gerne herausheben wollen aus dem Zustand, namenlos zu sein, nichts zu bedeuten und eigentlich keine Identität zu haben.
Sie verfolgen eine bestimmte filmische Strategie, die Mitleid und Empörung außen vor lässt. In einem Regiestatement sagen Sie zudem, dass es sich um einen Film »jenseits konkreter politischer Forderungen« handelt. Trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – ist Ihr Film doch hochpolitisch, oder?
Kruska: Wir sind einmal zu einem Seminar eingeladen worden, das »Das Politische in unseren Filmen« hieß, und da haben wir dann auch tatsächlich versucht zu erklären, dass unsere Filme wahrscheinlich indirekt politisch wirken, weil sie den Menschen, die normalerweise am gesellschaftlichen Rand stehen, Würde und eine Bedeutung geben wollen. Man kann sich auf dieser Basis mit den Personen und mit dem Thema beschäftigen und bekommt dadurch Aufmerksamkeit und vielleicht auch Lust, sich politisch zu engagieren. Aber in diesem Seminar sagten dann einige hochrangige Politikwissenschaftler, dass das, was wir da machen, überhaupt nicht politisch sei.
Für mich besteht das Politische Ihres Films darin, dass man nicht bekommt, was man vom dominanten Diskurs über das Thema erwartet. Sie klagen nicht an und nehmen mehr als eine Perspektive ein, wodurch der Film auf einer zweiten Ebene eine stärkere politische Wirkung entfaltet. Sie begegnen Menschen, die sonst unsichtbar sind, und widmen sich ihren Sehnsüchten und Biographien. Das kann man auch als politische Intervention in den Mediendiskurs begreifen.
Keil: Für uns war es während des Filmemachens keine einfache Entscheidung, zu bestimmen, wie sehr wir uns positionieren. Wir können kein klares Statement zur Berechtigung von Asylanträgen abgeben, weil das ein sehr komplexes Feld ist. Die eine astreine Geschichte des politisch Verfolgten gibt es genauso wenig wie die Geschichte des Menschen, der Asyl nicht verdient hat. Es ist klar, dass jeder, der hier ist, auf eine bestimmte Art Asyl verdient hat, weil er in einer gewissen Notlage ist. Wir sind überhaupt nicht in der Position zu sagen, dass wir es verdient haben, die Privilegierten zu sein.
Es ist interessant, dass Sie sagen, dass man die konkrete Asylsituation nicht bewerten kann, denn darin liegt ja gerade die Crux der Asylpolitik. Nur haben die Menschen, die die Bewertungen vornehmen, im Gegensatz zu Ihnen keine Zeit und einen vollkommen anderen bürokratischen Zugang zu den Asylsuchenden. Wie sehen Sie das?
Keil: Wir haben uns darüber viele Gedanken gemacht, sind aber leider nicht zu der goldenen Lösung gekommen. Es müsste eigentlich verschiedene Wege des Einlasses geben und nicht nur das Kriterium der politischen Verfolgung. Für Menschen wie unseren Protagonisten Brian aus Kamerun müsste auch eine Zuwanderung möglich gemacht werden, um Arbeit zu finden, ohne diese pseudopolitischen Hintergründe.
Kruska: Brian ist eher ein klassischer Wirtschaftsflüchtling und seine Situation ist vollkommen verständlich. Er kommt aus Verhältnissen in einem Land, in dem er das Gefühl hat, nicht die Chancen zu haben, die er hier haben könnte. Er kommt jung und voller Energie und Hoffnung nach Deutschland und hat das Potential, hier zu lernen und sich zu etablieren. Er ist ein sanfter, dankbarer, anpassungsfähiger Mensch, der erst einmal vollkommen verprellt wird durch den Zwang, sich in erforderte Geschichten zu verstricken. Das ist gerade bei der Ausländerbehörde ein schlechter Anfang. Erst die lange Wartezeit, dann die Duldung, dann die Überlegungen über eine mögliche Heirat oder ein Kind, was mit schlechtem Gewissen verbunden ist. Warum diese ungute Ausgangssituation?
Ein weiteres Thema des Films sind Geschlechterverhältnisse, wobei mich interessiert, weshalb keine Asyl suchende Frau dabei ist.
Kruska: Wir haben viele spannende Frauen kennengelernt und hätten gerne auch eine Frau im Ensemble dabei gehabt, aber es hat sich einfach nie ergeben. Nicht, weil es am gegenseitigen Interesse gemangelt hat, sondern weil letzten Endes keine Frau den Mut gefunden hat, mit uns diese lange dokumentarische Reise zu gehen. Man offenbart sich ja doch und es war klar, dass es sehr persönlich werden würde. Wir hatten das Gefühl, die Frauen müssen sich mehr schützen, weil sie teilweise noch mitten in den Asylverfahren steckten. Unsere Filmarbeit basiert immer auf Freiwilligkeit und zum Teil auf der Lust an der Selbstdarstellung. Man braucht dafür einen spielerischen Zugang und den haben wir bei den drei Männern gefunden.
Das Arbeiten auf Augenhöhe und eine große Nähe zu Ihren Protagonisten sind in Ihren Dokumentarfilmen wichtige filmische Mittel. Lehnen Sie im Hinblick auf dokumentarisches Filmen Distanz ab?
Keil: Nein, wir lehnen die Distanz nicht ab, weil wir sie immer ein Stück weit wahren, sonst könnten wir keine Filme machen. Es stimmt aber, dass wir den Leuten auch nahekommen wollen. Da schwingt sicherlich das höhere Ziel des wahrhaftigen Erzählens mit, der Wunsch, an einen wahren Kern heranzukommen. Zudem gibt es den Wunsch, Identifikationsmöglichkeiten zu bieten und aus den tiefen emotionalen Momenten auch etwas universell Menschliches rausholen zu können. Ein großes Ideal liegt darin, ein Verbundenheitsgefühl zu entwickeln, was uns alle über alle Schranken, Fremdheiten und Grenzen hinaus im positiven Sinne erfüllen kann.
Kruska: Der Schnitt spielt natürlich auch eine besondere Rolle, weil wir von jeder Szene viel Material haben und sich am Ende eine Essenz darstellt, die für uns einerseits wahrhaftig, aber andererseits auch wünschenswert ist. Darin transportiert sich ja letztlich unsere Autorenhaltung, denn jemand anderes würde das ganz anders zusammenfügen. Unterm Strich ist es schon so, dass wir unseren Filmen eine Botschaft mitgeben: Egal wie leer das Glas aussieht, glaubt daran, dass es wieder voll werden kann. Deswegen versuchen wir, keinen bitteren, zynischen oder pessimistischen Blick auf die Menschen und ihre Lebenssituation zu werfen. Die Distanz müssen wir auf jeden Fall wahren, weil wir ja letzten Endes das höhere Ziel haben, etwas darstellbar zu machen. Wir wären auch dumm, in gewissen Situationen, wie zum Bespiel bei den Szenen auf den Ämtern, helfend zu intervenieren.
Obwohl Sie sagen, dass es keine konkreten politischen Forderungen in dem Film gibt, gibt es bestimmt einen konkreten politischen Wunsch.
Kruska: Wir würden den Film gerne einmal im Abgeordnetenhaus zeigen.
Was für eine Reaktion würden Sie sich da wünschen?
Kruska: Dass er bewirkt, dass man sich mit dem Thema auseinandersetzt, es für wichtig befindet und alles daran setzt, Lösungen zu finden, damit Menschen nicht durch langes ungewisses Warten, Arbeitsverbot und ein von außen vermitteltes, schlechtes Lebensgefühl verbrannt werden.