Kinder müssen für pflegebedürftige Eltern zahlen

Familienbande

Kinder müssen für ihre pflegebedürftigen Eltern Unterhalt zahlen, selbst wenn diese mit ihnen gebrochen haben. So hat der Bundesgerichtshof geurteilt. Die Entscheidung ist grundsätzlich falsch.

So schön kann Familie sein: Ein Beamter aus Bremen muss 9 000 Euro Heimkosten für seinen Vater zahlen, obwohl er seit Jahrzehnten nichts mit ihm zu tun hatte. Das haben die Richter des Bundesgerichtshofs (BGH) geurteilt (Az. XII ZB 607/12). Der Friseur hatte seinen Sohn bis auf den Pflichtteil enterbt und den Kontakt abgebrochen. Weil der Vater sich aber um den Sohn gekümmert hatte, bis dieser ein junger Erwachsener war, muss der Filius die entstandenen Pflegekosten für den mittlerweile verstorbenen Erzeuger tragen.
In Deutschland sind nicht nur Eltern gegenüber ihren Kindern unterhaltspflichtig, sondern auch Kinder gegenüber Eltern. In Skandinavien und angloamerikanischen Ländern gibt es die Unterhaltspflicht von Kindern nicht – aus gutem Grund. Von Bedeutung ist die Unterhaltspflicht vor allem, wenn die Eltern alt, pflegebedürftig und arm sind. Und arm wird schnell, wer rund um die Uhr versorgt werden muss. Pflege ist teuer, auch eine gute Rente reicht dafür nicht, bescheidene Vermögen sind rasch aufgezehrt.
Die Kommunen übernehmen die Pflegekosten erst, wenn Pflegebedürftige bis auf einen kleinen Schonbetrag nichts mehr haben. Und dann schauen sie, ob sie sich wie in dem Bremer Fall etwas bei den Kindern zurückholen können. Nur bei schweren Verfehlungen gilt die Unterhaltspflicht nicht, etwa wenn Eltern ihre Kinder misshandelt oder für sie keinen Unterhalt gezahlt haben. Die »Aufkündigung des familiären Bandes« sei aber keine schwere Verfehlung, urteilten die Richter.
Dass Kinder für ihre Eltern zahlen müssen, ist aber grundsätzlich falsch – egal ob diese mit ihrem Nachwuchs gebrochen haben oder nicht. Elternschaft ist eine bewusste Entscheidung, auch für finanzielle Verpflichtungen. Kindsein ist Schicksal, dafür sollte keiner zur Kasse gebeten werden. Sind die familiären Beziehungen dahin, ist es schlimm, wenn Kinder für ihre Eltern zahlen müssen. Noch schlimmer ist es, wenn die fami­liären Beziehungen intakt sind. Für viele Senioren ist die Vorstellung unerträglich, ihren Kindern erhebliche Kosten zu verursachen.
Die Finanzindustrie schlägt daraus Profit und verkauft Millionen von Menschen private Pflegezusatzpolicen, die aber die Kosten häufig auch nicht abdecken. Mit den Presseberichten über das BGH-Urteil können Versicherungsverkäufer nun noch viel größere Angst bei Eltern schüren.
Dabei gibt es für Pflegekosten eine Lösung: die gesetzliche Pflegeversicherung. Das ist eine Zwangsversicherung, in die jeder mit dem Krankenkassenbeitrag einzahlen muss. Aber wenn es darauf ankommt, reicht sie nicht. Eine »Teilkaskover­sicherung« sei die gesetzliche Pflegeversicherung, heißt es immer wieder.
Und das ist das Problem. Eingeführt wurde sie von der Regierung Kohl mit der Begründung, ältere Menschen sollten nicht von der Sozialhilfe abhängig sein. Doch genau das ist heutzutage häufig der Fall. Wegen des Versagens der Pflegeversicherung zahlten die Kommunen 2013 immerhin 3,7 Milliarden Euro an Pflegekosten. Städte und Gemeinden werden angesichts ihrer finanziellen Schwierigkeiten künftig häufiger versuchen, geliebte und ungeliebte Kinder daran zu beteiligen.