Streit um die Zukunft der französischen Tageszeitung Libération

Wenn der Redakteur die Zwiebelsuppe bringt

Die geplanten Neuerungen bei der französischen Tageszeitung Libération stoßen bei den Mitarbeitern auf entschiedenen Widerstand. Das Verlagshaus soll ein Kulturzentrum mit Gastronomie werden, die Redaktion als soziales Netzwerk am Stadtrand arbeiten.

Nous sommes un journal« (Wir sind eine Zeitung) titelte die französische Libération auf ihrer Ausgabe am vorvergangenen Wochenende. Die Schlagzeile prangte unter dem berühmten Rautensymbol der 1973 im Zuge der Post-Achtundsechziger-Revolte gegründeten Zeitung, die auf eine bewegte Geschichte zurückblicken kann und sich nun in der vielleicht tiefgreifendsten Krise seit ihrer Gründung befindet.
Als Herausgeber fungierte in den Anfangsjahren der Philosoph Jean-Paul Sartre. Der fanzö­sische Staat wachte argwöhnisch über das Blatt, das aus der Agence de presse Libération hervorgegangen war. Die linksradikale Presseagentur hatte im April 1972 quasi live über die Entführung eines Renault-Managers durch französische Maoisten berichtet. Aktivisten und Journalisten standen gleichermaßen der Gruppe La Gauche prolétarienne (GP) nahe. Sartre war zuvor presserechtlich Verantwortlicher bei der GP-Zeitung Le Cause du peuple (»Die Sache des Volkes«) gewesen, hatte aber ihre grausamsten Verirrungen deutlich kritisiert, insbesondere die vom Maoistenorgan 1972 losgetretene Kampagne gegen einen Notar, der eines Sexualverbrechens beschuldigt wurde. Die Berichterstattung kam einer Aufforderung zur Lynchjustiz gleich, woraufhin das Blatt seine linken und liberalen Sympathisanten verlor. Bei der neuen Tageszeitung Libération, die als offenere Bündniszeitung angelegt war, sollte Sartre für mehr Pluralismus bürgen, auch wenn er kaum in die konkrete Zeitungsproduktion eingriff oder Stellung bezog. Der Neugründung auf dem Zeitungsmarkt verlieh er damals das Motto: »Damit das kleine Volk das Wort ergreift und es behält.«
Das ist lange her. Libération ist längst bürgerlich geworden und steht der Sozialdemokratie nahe. Anzeigen druckt die Zeitung seit 1982, die Abschaffung des Einheitslohns erfolgte um dieselbe Zeit. Wie bei Alt-Achtundsechzigern üblich, beteuerte man auch bei Libération, dass man sich selbst vollkommen treu geblieben sei, nur die Welt habe sich eben verändert. Serge July, bis zu seinem erzwungenen Abgang im Jahr 2006 langjähriger Herausgeber der Zeitung, formulierte es so: »Es ist nicht Libération, die sich verändert hat, sondern die Werbung. Die Werbung ist zu Kunst geworden.«
Libération zeichnet sich durch gute Reportagen, aber nur selten durch originelle Analysen aus. Ihre politische Radikalität hat sie schon lange eingebüßt. Dennoch ist die traditionsreiche Zeitung in ihrer Existenz bedroht und zwar ausgrechnet von jenen Aktionären, die man vor einigen Jahren rief. Richtig ist, dass die Verkaufszahlen von Libération rückläufig sind. Wie andere Print-Medien leidet die Zeitung unter der Konkurrenz durch Gratispresse und Internet sowie dem wachsenden politischen Desinteresse. Aber es kommen bei Libération noch einige spezifische Faktoren hinzu. In den Jahren 2010, 2011 und 2012 machte das Blatt noch Gewinne, damals war die Zeitung unter Präsident Nicolas Sarkozy ein Oppositionsorgan und als solches geschätzt. Der Wahlkampf im Frühjahr 2012 befeuerte das Publikumsinteresse zusätzlich. Aber die absolut ernüchternde und desillusionierende Bilanz der amtierenden Regierung aus Sozialdemokraten und Grünen hatte zur Folge, dass das Interesse an der Zeitung erlahmte, auch wenn Libération die Wirtschaftspolitik der Regierung mintunter scharf kritisierte und am 10. September titelte: »Hollande, der Präsident der Bosse«. 2013 wurde zum Verlustjahr.
Seit längerem zeichnete sich ab, dass die Hauptaktionäre der Zeitung auf einen harten Sparkurs drängen würden. Zunächst wurden den Redakteuren ein Lohnverzicht bis zu 15 Prozent, Frühpensionen und Übergänge zu Teilzeitarbeit »auf freiwilliger Basis« nahegelegt. Am vorvergangenen Donnerstag streikte die Belegschaft dagegen, die Freitagsausgabe erschien nicht. Am selben Tag fanden zwei Verhandlungsrunden zwischen Personal- und Aktionärsvertretern statt, in ruhiger Atmosphäre, wie es hieß. Um 17 Uhr wurde dann der offizielle »Plan der Aktionäre« für »die Zukunft von Libération« bekannt.
Ihn charakterisieren die Redakteure der Zeitung als »das Vorhaben, Libération zu verkaufen, ohne Libération zu machen«. Geplant ist, Libération zu »einem sozialen Netzwerk« zu machen. Das Redaktionsgebäude mit seinen 4 500 Qua­dratmetern in der Pariser Rue Béranger soll, so der Plan, in ein »Café Flore des 21.Jahrhunderts« umgewandelt werden – das Café Flore im Nobelstadtteil Saint-Germain-des-Près, das noch heute existiert, war in den fünfziger und sechziger Jahren einmal ein Intellektuellentreffpunkt. Unter dem roten Rautensymbol von Libération sollen dort »ein Fernsehstudio, eine Radiostation, ein Digital-Newsroom, ein Restaurant, ein Bar und ein Labor für Start-up-Unternehmen« einziehen.
Im Grunde heißt das: Die Redaktion soll aus ihren Arbeitsräumen verdrängt, die Räume sollen untervermietet und der Name Libération soll als Brand vermarktet werden, aber nicht mehr in erster Linie für die Zeitung und ihren Informationsauftrag stehen. Die Aktionäre nennen es »monetisieren«, was aber, zieht man die leicht poetische Ausdrucksform ab, nichts anderes bedeutet als »mit dem Namen Geld zu machen«. Das Projekt soll »eine Synthese aus den beiden größten gesellschaftlichen Revolutionen der modernen Geschichte« darstellen, nämlich aus der Nach-Achtundsechziger-Bewegung und »der digitalen Revolution«. Aus der Tageszeitung Libération soll ein Kulturzentrum werden.
Die Redaktion regagierte wütend und schockiert und produzierte eine Wochenendausgabe, in der sie klarstellte: »Wir sind eine Zeitung.« Am selben Tag wurde durch das Börsenradio BFM Business der Inhalt einer E-Mail bekannt, die der Hauptaktionär Bruno Ledoux am Freitag früh an die anderen Investoren der Zeitung gesandt hatte. Darin heißt es in barschem Tonfall: »Ich will all diese engstirnigen Geister als Spießer dastehen lassen, ihnen zuvorkommen und Klartext reden, auch was die Pläne für das Gebäude betrifft.« Er werde »die Franzosen, die für diese Typen blechen, zu seinen Zeugen machen«. Letztere Formulierung ist eine Anspielung auf die staatliche Förderung für die Printpresse, wie vergünstigte Posttarife und ermäßigte Mehrwertsteuer.
Dieses System existiert bereits seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dient hauptsächlich dazu, den Meinungspluralismus aufrecht zu erhalten und eine unabhängige Presse zu fördern. Allerdings ist die konkrete Ausgestaltung dieses Systems fragwürdig, da die genaue Höhe der Beihilfen sich nach der jeweiligen Auflage richtet und die Zeitungen mit der stärksten Verbreitung, die oftmals die geringsten Probleme haben, die größten Summen einstreichen. In absoluten Zahlen gerechnet, erhalten Le Monde und Le Figaro als überregionale Zeitungen mit den höchsten Auflagen und den wenigsten Geldschwierigkeiten die größten Beihilfen. Bezogen auf das einzelne Exemplar erhält allerdings die KP-nahe Tageszeitung L’Hu­ma­nité die stärksten Hilfen und kann auch nur dank deren Existenz überleben. Libération liegt an sechster Stelle, misst man die Beihilfen in absoluten Zahlen, und an neunter Stelle, gemessen an ihrer Verbreitung.
Am vorvergangenen Sonntag lag erneut ein Streik der Belegschaft von Libération in der Luft. Doch dann entschieden sich die Mitarbeiter dagegen, um nicht der Zeitung zu schaden. Stattdessen stellten sie ihre Sicht der Ereignisse am Montag erneut auf zwei Zeitungsseiten dar, ebenso wie an allen folgenden Wochentagen. Darin erinnern sie daran, dass Verlagsdirektor Nicolas Demorand schon im Herbst 2012 von der Umwandlung der Obergeschosse des Zeitungsgebäude in einen Ort für schicke und teure »Premium-Ereignisse« phantasiert hatte. Zu dem Zeitpunkt schrieb Libération noch keine roten Zahlen. Die Geschäftsidee besteht also schon seit längerem, in der jetzigen wirtschaftlichen Situation lässt sie sich durchsetzen. Demorand gab inzwischen seinen Rücktritt bekannt, um »die Blockade« zwischen Aktionären und Redaktion aufzulösen. Sein Rücktritt war bereits im November 2013 durch ein Votum von 89,9 Prozent des Personals gefordert worden.
In der satirischen Wochenzeitung Charlie Heb­do, die mit Libération kooperierte, beklagt der Redakteur Bernard Maris, die Tageszeitung ha­be ihr früheres unverwechselbares Profil im Laufe von Relaunchs und wechselnden Geschäftsmodellen immer mehr verloren. Unter der Überschrift »Libé, o Libé, warum hast du mich verlassen?« führt er die die Probleme der Zeitung auf den Verlust eines eigenständigen Profils zurück. Nur die Rückbesinnung auf programmatische Qualitäten könne Libération auf Dauer retten. Die Aktionäre dürften jedoch andere Prioritäten haben.