Prorussische Positionen in der deutschen Linken

Dank euch, ihr Sowjetsoldaten

Von Ivo Bozic

Die deutsche Linke kann sich zu einer Verurteilung der russischen Großmachtpolitik nicht durchringen.

Als die Sowjetunion 1979 in Afghanistan einmarschierte, begrüßte DKP dies ausdrücklich, die Friedensbewegung schwieg. Als die USA 2001 einmarschierten, war die Empörung groß. Es ist nichts Neues, dass die Friedensbewegung nicht moralisch und pazifistisch argumentiert, sondern antiamerikanisch und antiwestlich. Das hat sie nun erneut demonstriert, indem sie nämlich nicht demonstrierte. Was wäre wohl losgewesen, wenn die US-Regierung auch nur angedroht hätte, irgendeinen Teil eines Landes auf diesem Planeten, aus welchen angeblich edlen Motiven auch immer, militärisch zu besetzen?
Dass solche Kalte-Kriegs-Logik, die früher eine politische Grundlage hatte, nämlich eine Positionierung entweder für das kapitalistische oder das realsozialistische System, heute immer noch bestand hat, ist schwer zu erklären. Schließlich ist Russland ein durch und durch kapitalistisches Land, beim geopolitischen Gezerre um die Ukraine zwischen EU und Russland geht es nicht um die Systemfrage. Dennoch hat sich vor allem die antiimperialistische Linke fast uneingeschränkt auf die Seite Putins gestellt. Peter Strutynski vom Bundesausschuss Friedensratschlag gibt zwar zu, dass die militärische Intervention Russlands auf der Krim »eindeutig eine unzulässige und völkerrechtswidrige Überdehnung des Stationierungsabkommens« war, die Schuld daran trage jedoch »der Westen«: »Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass die russischen Maßnahmen nur vor dem Hintergrund der massiven Einmischung des Westens in die inneren Angelegenheiten der Ukraine und der Gewalteskalation in Kiew zu verstehen sind.«
Die Berliner Friedenskoordination hat für den 24. März zwar eine Demonstration angekündigt, allerdings ist im Aufruf nichts von einer auch nur vorsichtigen Verurteilung der Krim-Annexion zu lesen. Stattdessen heißt es: »In Somalia, Jugoslawien, in Libyen und vielen anderen Ländern war die ›humanitäre Katastrophe‹ mitnichten der Grund für die militärischen Angriffe (...), sondern (es waren) wirtschaftliche und geostrategische Interessen.« Geopolitische Interessen haben der Friedenskoordination zufolge offenbar nur westliche Staaten.

Besonders offensiv hat sich die Partei »Die Linke« eingemischt. Zwei Landtagsabgeordnete aus Mecklenburg-Vorpommern und zwei Berliner Kommunalpolitiker haben am Sonntag sogar als Wahlbeobachter am Krim-Referendum teilgenommen. Zwar distanzierte sich der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Dietmar Bartsch, von dieser unabgesprochenen Aktion, doch ansonsten üben die Flügel der Partei den Schulterschluss. Sowohl Ulla Jelpke von der Antikapitalistischen Linken als auch Stefan Liebich vom Reformerflügel bekundeten, es gebe keine große Uneinigkeit in der Partei. Die beiden Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger versuchten, den vermeintlichen Konsens zu formulieren: »Wir verurteilen die militärischen Drohgebärden der Russischen Föderation, der ukrainischen Regierung und der Nato. Die Antwort auf das völkerrechtswidrige Vorgehen der Russischen Föderation auf der Krim, welches wir verurteilen, muss in der Diplomatie liegen – Krieg kann keine Probleme lösen und darf kein Mittel der Politik sein.«
Doch bei Sahra Wagenknecht zum Beispiel hört sich das ganz anders an. Sie läuft gerade zu Hochform auf, als Sprechpuppe Putins. Als hätte sie selbst einen Sack Atomraketen im Garten, drohte sie mit einem »Dritten Weltkrieg«, sollte sich die Nato einmischen. Das Krim-Referendum müsse anerkannt, die Abspaltung von der Ukraine hingenommen werden. Die neue Regierung in Kiew sei auf illegale Weise zustande gekommen und die russischen Sorgen wegen einer westlich orientierten Regierung in der Ukraine seien verständlich. Westliche Staaten und die USA hätten »jedes Recht verwirkt, Völkerrechtsbrüche zu kritisieren, weil sie so viele begangen haben«.
Dieses Argument hört man dieser Tage häufig. Es ist das mit Abstand absurdeste: Weil Deutschland unter Kanzler Gerhard Schröder seinerzeit völkerrechtwidrig Jugoslawien angegriffen und die Abspaltung des Kosovo anerkannt hat, könne die deutsche Regierung heute nicht das Völkerrecht in Anschlag bringen, um die russische Annexion der Krim zu verurteilen. Aber hatte die Friedensbewegung, hatte Wagenknecht den Krieg in Jugoslawien damals nicht unter Hinweis auf das Völkerrecht abgelehnt? Wäre dann nicht die logische Konsequenz aus diesem historischen Verweis, auch den jetzigen, russischen Völkerrechtsverstoß abzulehnen? Noch absurder wird dies dadurch, dass Schröder selbst, der nun für den russischen Staatskonzern Nord Stream AG arbeitet, jede Kritik am Völkerrechtsbruch Russlands ablehnt, mit dem Hinweis, er habe damals doch auch das Völkerrecht gebrochen. Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz höhnte via Twitter: »Wenn sich Gerhard Schröder mit der ›Linken‹ über Putin und den Kosovokrieg versöhnt. What a (bad!) joke!«

Zwischen den »Linken« und den Grünen, die mehrheitlich den vom Westen unterstützten Umsturz in der Ukraine und die europäischen Expansionsbestrebungen kritiklos begrüßen, ist es zu einem regelrechten Kalten Krieg gekommen. Einige linke Grüne um Robert Zion haben nun eine Erklärung verfasst, die sich um Äquidistanz bemüht: »Unsere Seite ist nicht die des Nationalismus, weder die Seite Putins noch die der Gruppe der Rechten in der Ukraine.« Dass die Parteinahme für die Proteste vom Maidan auch eine Parteinahme für die beteiligten faschistischen Gruppen darstelle, ist das Hauptargument, mit dem sich viele Linke auf die Seite Putins schlagen. Weshalb es nicht möglich sein soll, einerseits die Beteiligung der Neonazis an den Protesten und an der Übergangsregierung zu verurteilen und gleichzeitig andererseits das russische Großmachtsstreben, bleibt wohl ein Geheimnis von Grünen und »Linken«. So wichtig es ist, mit aller Schärfe die weit verbreitete Verharmlosung des Einflusses rechtsextremer Gruppen auf die neue ukrainische Regierung zu kritisieren, so wenig erschließt sich, weshalb dies die Annexion der Halbinsel Krim rechtfertigen, ja worin überhaupt der Zusammenhang bestehen soll. Wenn man der Meinung ist, dass in Kiew Faschisten an der Macht seien und dagegen militärisch vorgegangen werden sollte, dann müsste man konsequenterweise fordern, dass die Rote Armee, pardon, die russischen Streitkräfte die ganze Ukraine befreien.

Es wirkt bizarr, dass ausgerechnet Putin zum globalen Antifaschisten verklärt wird. Hat man denn vergessen, was im nationalistischen, autoritären, klerikalen Russland los ist? Gesetze gegen Homosexualität, die Verfolgung Oppositioneller, gerade auch linker, die Einschränkung der Pressefreiheit und der Unabhängigkeit der Justiz. Erst im November war es zu brutalen rassistischen Pogromen im Moskauer Stadtteil Birjuljowo gekommen, auf die die Moskauer Behörden mit einer beispiellosen Jagd auf »illegale Migranten« reagierten (Jungle World 43/2013).
Wenn man Putin seine antifaschistischen Ambitionen bezüglich der Ukraine also nicht abnehmen mag und wenn Russland in keinerlei Hinsicht als positiver Gegenentwurf zum kapitalistischen Modell der EU oder der USA taugt, dann drängt sich die Frage auf, was sonst die Linken an die Seite Putins bringt. Ist es eine aus alten sowjetischen Tagen übriggebliebene emotionale Bindung an Russland? Oder ist es Putins Rolle in der Weltpolitik? Putin hält seine schützende Hand über das iranische Regime und über Syriens Diktator Bashar al-Assad, ja man kann sogar spekulieren, dass der gesamte Bürgerkrieg in Syrien mit seinen verheerenden humanitären und poli­tischen Folgen ohne Putins Unterstützung Assads gar nicht stattgefunden hätte.
Dass die Friedensbewegung im Falle Syriens – von löblichen Ausnahmen abgesehen – ebenfalls vor allem durch Schweigen oder durch die Parteinahme für Assad aufgefallen ist, passt so gesehen prima zusammen.