Der Front National vor den französischen Kommunalwahlen

Front communal

Der Front National hofft, bei den französischen Kommunalwahlen die Herrschaft über einige Rathäuser zu erringen.

Die Kampagne verläuft relativ diskret. Im Pariser Stadtgebiet tritt der Front National (FN) nur selten mit Personen öffentlich in Erscheinung, wenn es darum geht, für die eigenen Listen bei den französischen Kommunalwahlen zu werben. Diese finden in ganz Frankreich in zwei Durchgängen statt, am 23. und 30. März. Um Konflikte zu vermeiden, bleibt die rechtsextreme Partei jedenfalls in der Hauptstadt unauffällig.
Tritt der FN offen auf – etwa wenn Parteimitglieder Flugzettel verteilen wie am Ende der ersten Märzwoche an der Pariser Métro-Station La Chapelle, mitten in einem stark migrantisch geprägten Viertel –, kommt es mitunter zu Aufläufen oder Auseinandersetzungen mit Antifaschisten.
Um nur nicht in den Ruf zu kommen, eine Radaupartei zu sein, ziehen die Rechtsextremen deshalb andere Methoden dem Straßenwahlkampf vor. Neben Besuchen an der Haustür zählen dazu vor allem diverse Arten, das eigene Wahlwerbematerial gut sichtbar in der Öffentlichkeit zu präsentieren, ohne dass es von Personen feilgeboten werden müsste. Da werden Flugblätter scheinbar in Telefonzellen oder auf Sitzbänken vergessen, Programme vor Zeitungskiosken auf dem Boden liegengelassen. Oder sie werden an schwer zugänglichen, aber gut sichtbaren Stellen platziert wie hinter den Glasscheiben an den Rückwänden von Bushaltestellen. Um sie dort zu hinterlassen, ist ein spezieller Schraubenschlüssel erforderlich. Ergänzt werden diese Methoden durch den Wahlkampf im Internet.

In Paris schlägt der Front National in einem 40 Seiten umfassenden Programm zahlreiche Maßnahmen vor. Allerdings krankt dies an dem kleinen Detail, dass mit keiner einzigen Zahl die angebliche Finanzierbarkeit der versprochenen Maßnahmen – mehr Polizei, mehr Sauberkeit, mehr Sicherheit – belegt wird. In der Presse werden deshalb Zweifel an der Seriosität vorgebracht, auf die die Partei so bedacht ist. Präzise wird der FN vor allem dort, wo es um Möglichkeiten geht, Geld einzusparen. Während des sechsjährigen Mandats des nächsten Stadtparlaments will der FN dem Programm zufolge 163 Millionen Euro in der französischen Hauptstadt einsparen. Die Finanzierung für Sozialeinrichtungen, Stadtteilzentren, für Kultur und NGOs soll erheblich beschnitten werden. Und selbstverständlich sollen die Sparmaßnahmen insbesondere »Ausländervereine« betreffen. 25 bis 30 Prozent des Bestands an Sozialwohnungen in Paris sollen an private Interessenten verkauft werden.
Paris ist jedoch sicherlich nicht die Stadt, in der der Front National am stärksten ist. Als Wahlziel hat die Partei in der Hauptstadt zehn Prozent ausgegeben – ein Ergebnis, das deutlich unter ihren Durchschnittswerten bei den letzten landesweiten Wahlen läge, sollte es denn erreicht werden. Seit nunmehr 25 Jahren ist der FN in Paris deutlich schwächer als im übrigen Frankreich. Gute Ergebnisse erzielten die extremen Rechten zunächst in den achtziger Jahren in Südostfrankreich und im Elsass, also in eher reichen und konservativ-reaktionär geprägten Regionen. In den darauffolgenden beiden Jahrzehnten kamen Gebiete in Lothringen, der Picardie und Nordostfrankreich hinzu, die von Deindustrialisierung und Verarmung geprägt waren.

Der FN rechnet derzeit damit, eine Handvoll Rathäuser zu erobern, die Parteiführung spricht von etwa 15 zu gewinnenden Kommunen. Diese könnten vor allem in Lothringen, der Picardie und Nordostfrankreich liegen. Forbach in Lothringen, an der Grenze zu Luxemburg und zum Saarland, sowie Hénin-Beaumont in Nordostfrankreich gelten als Kommunen, in denen rechtsextreme Kandidaten die Rathäuser übernehmen könnten. Hinzu kommen einige Städte in den südostfranzösischen Bezirken Var und Vaucluse, wie etwa Sorgues und Saint-Gilles. Manche Beobachter glauben auch an Wahlchancen der Rechtsextremen in Béziers, wo der parteilose Bewerber Robert Ménard – einst ein Linker, später Sprecher von »Reporter ohne Grenzen« (RSF) – als Spitzenkandidat für die »Marineblaue Sammlung« (RBM) antritt. So lautet der Name des Bündnisses, unter dem der FN zu den Kommunalwahlen antritt. In Béziers allerdings dürfte es angesichts der dominanten Konservativen eng werden für Ménard.
Insgesamt hat der FN in 597 Kommunen Listen aufgestellt. Das ist ein historischer Rekord. Im Jahr 1995, zur Zeit des größten Zuwachses an Mitgliedern, brachte die Partei es nur auf eine Gesamtzahl von 537 Listen. Damals konnte der FN drei Rathäuser gewinnen: in Toulone, Orange und Marignane. Von diesen damals gewonnen Kommunen wird nur Orange weiterhin rechtsextrem regiert. Allerdings hat der Bürgermeister der Stadt, Jacques Bompard, 2005 den FN verlassen. Er wechselte zwei Mal die Partei und steht mittlerweile dem ebenfalls rechtsextremen, aber meist außerparlamentarisch agierenden Bloc Identitaire sehr nahe. Die anderen Städte gingen der extremen Rechten nach wenigen Jahren wieder verloren. Durch die große Spaltung des FN 1999, der ein Konflikt zwischen dem alternden Vorsitzenden Jean-Marie Le Pen und seinem früheren Chefideologen Bruno Mégret zugrunde lag, wurde die Partei für lange Jahre landesweit ihrer Basis beraubt. 2001 konnte sie 225 Listen zu den Kommunalwahlen aufbieten, 2008 waren es nur noch 119.
Der erhebliche Verlust an einsatzbereiten Mitgliedern und Strategen im Zuge der Spaltung wirkt immer noch nach. Zwar hat der FN seine Krise auf vielen Ebenen überwunden, seitdem Jean-Marie Le Pen im Januar 2011 abtrat und seiner Tochter Marine den Vorsitz überließ. Doch der Mangel an erfahrenen und halbwegs zu eigenständigem Denken fähigen Mitgliedern ist nach wie vor offensichtlich. Vor der Spaltung gab die Partei die Zahl ihrer Mitglieder offiziell meist mit 70 000 bis 75 000 an, der Rechtsstreit zwischen den beiden im Konflikt stehenden Flügeln offenbarte damals, dass es tatsächlich 42 000 waren. Mittlerweile spricht sie erneut von 74 000 Mitgliedern. Die tatsächliche Größenordnung ist schwer überprüfbar. Offensichtlich ist jedoch, dass ein erheblicher Teil der derzeitigen Mitglieder an einem erheblichen Mangel an Kommunikationsfähigkeit und Problembewusstsein leidet.
Konkret bedeutet dies: Die Parteiführung hat Probleme mit Kandidaten, die brennende Davidsterne auf ihrer Facebook-Seite zeigen, die schwarze Justizministerin Christiane Taubira als »Affenweibchen« und »Wilde« bezeichnen, SS-Tätowierungen am Unterarm tragen und Ähnliches mehr. Der Parteivorstand versuchte in solchen Fällen notgedrungen, ein bisschen für Ordnung zu sorgen, zu sehr belastete Kandidaten zurückzuziehen oder in besonders medienträchtigen Fällen mit dem Ausschluss zu sanktionieren.
Nicht in allen Fällen gelang dies. Am 7. März, am Tag nach dem Abgabeschluss für die Listen zu den Rathauswahlen, wurde ein weiterer Skandal publik. Séverine Amelot, Kandidatin auf der Liste des FN in Nevers in der Region Burgund, posiert auf drei Fotos bei Facebook mit der Hakenkreuzfahne und in einem Pullover mit einem SS-Symbol. Marine Le Pen tat dies in der Presse als »geringfügig« ab. Es gebe »nur ein Problem bei insgesamt 22 000 Kandidaten«. Die örtliche Parteileitung gab an, ihre Liste nicht mehr zurückziehen zu können, aber die junge Kandidatin vor dem zweiten Wahlgang von der dann umgebildeten Liste zu entfernen.
Angesichts des offenkundigen Mangels an qualifiziertem Personal setzt die Parteiführung unter Marine Le Pen darauf, erst nach der Wahl Ende März, wenn mehrere Hundert Kommunalparlamentarier des FN gewählt sein dürften, mit diesen mittel- und längerfristig wieder einen tauglichen Apparat aufzubauen. Die Mandatsträger will man dann durch politische, verwaltungsrechtliche und finanztechnische Lehrgänge schleusen, um sie zu qualifizieren.