Der erste Twitter-Auftritt der Berliner Polizei

Die Beamten zwitschern mit

Die Berliner Polizei will sich nach eigenen Angaben als »modern« und »transparent« präsentieren. Mit einem Account für die »einsatzbegleitende Öffentlichkeitsarbeit« starteten die Berliner Beamten am Wochenende anlässlich der Antirepressionsdemonstration in Berlin ihre Präsenz auf Twitter. @Jungle_World war dabei.

Die Berliner Polizei, so ist zu vermuten, hatte sich die Sache sooo schön vorgestellt: Endlich auch mal ein bisschen Social-Media-Gedöns machen, nett mit Bürgern kommunizieren, die sachdienliche Hinweise bei der Fahndung nach Verbrechern geben, und ganz allgemein ein wenig Eigenwerbung betreiben. Entsprechend stolz erklärte Polizeipräsident Klaus Kandt in einer eigens herausgegebenen Pressemitteilung mit dem Titel »Ab diesem Frühling ›zwitschert‹ auch die Polizei Berlin mit« vergangene Woche: »Wir wollen mit Twitter unser Angebot der eigenen Öffentlichkeitsarbeit erweitern und beabsichtigen mit dem Engagement auf Twitter, uns als moderne und transparente Polizei zu präsentieren.«
Dazu hatte man gleich zwei offiziell verifizierte Accounts angelegt. Der erste sorgte prompt für Rätselraten: »Willkommen auf dem offiziellen Twitter Dauerkanal der #PolizeiBerlin. ^sr, ^ok, ^yt&^th.« Wofür genau ^sr, ^ok, ^yt&^th hippe Internetabkürzungen sein könnten, war zunächst nicht so ganz klar. Wer den Blick von den Tweets der Berliner Polizei abwendete, stellte jedoch rasch fest, dass es sich bloß um die Initialien der Pressestellenmitarbeiter handelt, die nunmehr die offiziellen Mitteilungen auch auf Twitter verbreiten. Weil Berlin aber eine große Stadt ist, in der immer was los ist, reicht ein einziger Account nicht aus. Für besondere Anlässe gibt es @poli­zei­Berlin_E (das E steht für Einsatz), »damit bezwecken wir, auch bei unseren Einsätzen besser wahrgenommen zu werden«, erklärte Klaus Kandt dazu.
Dass die Premiere des schicken neuen Accounts zu einem Samstagabend voller Spaß bei Twitter führen würde, hatte er sich allerdings wohl nicht gedacht. Dabei ist die Berliner Polizei in punkto Twitter wirklich spät dran: Bereits im Februar 2013 wurde @oslopolitieops auf den norwegischen Social Media Days mit dem Preis für die »besten Tweets« ausgezeichnet. In der – unübersetzbaren – prämierten Kurzmeldung ging es um einen Einsatz wegen eines möglichen Hausbrandes und einer offenkundig in höchster Lebensgefahr schreienden Frau, der sich dann ­allerdings bloß als Sex-Rollenspiel entpuppte. Mittlerweile sammeln Fans die lustigsten Tweets der Osloer Polizei, etwa diesen: »(Einsatz im Stadtteil) Majorstua. Klagen über einen Straßenmusiker, der ständig nur ein einziges Lied spielt. Die Polizei ist vor Ort und schlägt ein breiteres Repertoire vor.«
In den USA twittern zwar manche Dienststellen großer Städte auch, beliebt sind allerdings besonders nicht offizielle Accounts, die den Po­lizeifunk abhören und dessen Inhalt sofort per Tweet weiterverbreiten – und dabei nicht immer Wert auf Datenschutz oder die Privatsphäre von möglichen Opfern und deren Angehörigen legen. @NYscanner und @chicago_scanner nennen beispielsweise grundsätzlich die kompletten Adressen von Tatorten, so dass neugierige Nachbarn bei den Ermittlungen sofort zur Stelle sind und Auswärtige via Google Maps sich zumindest die Gegend anschauen können, in der sich ein Mord, eine Schießerei, ein Überfall oder eine Verhaftung ereignete. Es gab schon Fälle, in denen die Gardinen am Fenster eines mutmaßlichen Täters auf Twitter kommentiert wurden.

Wie schwierig die Balance zwischen transparenter Polizeiarbeit, Social Media und Datenschutz ist, zeigte im Frühjahr 2012 ein Mordfall in Emden, bei dem zunächst ein 17jähriger verhaftet worden war. Praktisch unter den Augen der Nachbarn festgenommen, wurde der unschuldige Junge in zahlreichen Medien sofort als Täter bezeichnet – was prompt einen via Facebook organisierten Lynchmob auf den Plan rief. Eine »Digital-Gestapo« (Süddeutsche Zeitung) entstand, die Adresse und Klarnamen des Minderjährigen ermittelte, Fotos postete, die Einführung der Todesstrafe forderte und schließlich dazu führte, dass rund 60 Personen vor der Emdener Polizeiwache standen, um die Herausgabe des Jugendlichen zu fordern.
Auch der Facebook-Account der »Polizei Niedersachsen Fahnung«, der seit 18. Juni 2012 vom LKA Niedersachsen betrieben wird, wurde nicht nur als positive Ergänzung der herkömmlichen Öffentlichkeitsfahndung gesehen. Datenschützer forderten schon früh, dass Namen und Bilder von Verdächtigen lediglich bei schweren Straf­taten im Internet verbreitet werden sollten. Besonders problematisch sei es, wenn »im Internet nicht nur nach Verdächtigen, sondern auch nach Zeugen gefahndet werde«, zitierte die Welt im Herbst 2013 den damaligen Bundesbeauftragten für Datenschutz, Peter Schaar.
Dieser Sicht schloss sich die von den Innen- und Justizministern der Länder beauftragte Arbeitsgruppe an, die im vergangenen Jahr damit beschäftigt war, Leitlinien für Facebook-Fahndungen zu entwickeln. Laut »Anlage B« der »Richt­linien für das Straf- und Bußgeldverfahren« ist es allerdings verboten, private Internetanbieter in Fahndungen einzuschalten; dieser Passus solle gestrichen werden, regten die Experten an. Ebenfalls müsse sichergestellt sein, dass die Facebook-Accounts der Polizei rund um die Uhr besetzt sind, so dass beispielsweise volksverhetzende User-Kommentare sofort gelöscht werden können. Manche Dienststellen, wie das LKA Hessen, haben die Möglichkeit zu kommentieren ­dagegen gleich ausgeschaltet. Außerdem soll genau geprüft werden, ob überhaupt öffentlich ­gefahndet wird, wenn die Gefahr »diskriminierender Äußerungen oder tätlicher Übergriffe ­besteht«.
Bei der Herbsttagung des BKA am 12. und 13. November 2013 fasste Ministerialrat Wolfgang Bär vom Bayerischen Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz »rechtliche Herausforderungen« bei der Bekämpfung von Cyberverbrechen zusammen und beschäftigte sich dabei auch mit der sogenannten Facebook-Fahndung. Danach setze »eine solche Öffentlichkeitsfahndung zur Strafverfolgung immer eine Straftat von erheblicher Bedeutung voraus. Aufgrund der großen Breitenwirkung einer Fahndung im Internet ist im jeweiligen Einzelfall stets eine besonders strenge Abwägung erforderlich, ob der beabsichtigte Fahndungserfolg nicht auch durch Maßnahmen erreicht werden kann, die den Tatverdächtigen oder andere Betroffene weniger beeinträchtigen.«
Die Fahndung via Social Media werfe »spezifische datenschutzrechtliche Fragen« auf. Wenn mit Hilfe von Fotos oder Videos öffentlich nach einer Person gefahndet werde, sei besonders wichtig, dass diese Bilder »nicht Bestandteil des Angebots eines privaten Anbieters werden, sondern durch geeignete technische Maßnahmen sichergestellt wird, dass die zur Fahndung benötigten personenbezogenen Daten ausschließlich auf Servern im Verantwortungsbereich der Strafverfolgungsbehörden gespeichert, gesichert und nicht an private Dienstanbieter übermittelt werden«.

Aber zurück zu @PolizeiBerlin_E, dem anlassbezogenen Kanal »PolizeiBerlinEinsatz«, der nur zu bestimmten Veranstaltungen und größeren Einsätzen aktiviert wird. Darauf sollen Tweets »mit hohem Informationswert, wie zum Beispiel Anfahrtsrouten zu den Veranstaltungen, Tipps zu Parkplätzen und ihren Auslastungen, Hinweise zu Demonstrationsrouten, Informationen zum Ablauf der Veranstaltung für die Besucher der jeweiligen Veranstaltungen verbreitet werden«, hatte Polizeipräsident Kandt erläutert.
Als Veranstaltung für die Twitter-Premiere hatte sich die Einsatzgruppe Twitter – oder wie auch immer die heißt – die groß beworbene ­Antirepressionsdemonstration am vergangenen Samstag ausgesucht und dazu auch gleich das offizielle Hashtag (#antirep14) der Demo übernommen.
Um 15.06 Uhr wurde der Account feierlich mit einem zünftigen »Wir beginnen nun mit dem Twittern aus dem heutigen Demo Einsatz in #Berlin Moabit, #b2203 #antirep14« eröffnet. Und um gleich klarzumachen, wer alles mit von der Polizeipartie sein werde, fügte man vier Minuten später hinzu: »Wir begrüßen die Unterstützung aus #Hamburg, #Bremen, #Niedersachsen, #Brandenburg und von der #Bundespolizei«.
Und dann wurde es erst einmal ziemlich langweilig, @PolizeiBerlin_E gab dies und jenes bekannt, etwa: »Wir werden wie üblich den Aufzug vorne und hinten begleiten«, erntete damit aber außer halbbeleidigtem Lamento kaum nennenswerte User-Reaktionen. Bis die Polizei kurz nach 17 Uhr twitterte: »Bitte unterlassen Sie das Anlegen von Vermummung in der Versammlung. #b2203, #antirep14«.
Doch wollten die mittlerweile rund 1 500 User, die wahrscheinlich mehrheitlich vor ihren Rechnern sitzend die Demonstration verfolgten, die Bekleidungsvorschriften nicht befolgen. @telegehirn antwortete, er twittere »nur vermummt«, @g_rantlhuber stellte fest: »Ihr habt mir gar nichts zu sagen. Ihr seid nicht meine Mutter«. Der offenbar demonstrationserfahrene @gipfel­soli fragte, ab dem wievielten Tweet die Anordnung denn eigentlich gelte.
Die Berliner Twitter-Polizei blieb stoisch und verbreitete in schönstem Beamtendeutsch weiter ihre nicht unterhaltsamen Mitteilungen, bis die Demonstration in Moabit beendet war. Gegen 22 Uhr hatte sich dann jedoch das Geschehen nach Kreuzberg verlagert, wo anscheinend eine Menge Leute herumstanden, woraus aber partout keine ordnungsgemäße Demonstration werden wollte. Und so twitterte die Polizei schließlich: »An die Personen im Bereich #Moritzplatz, für eine Demo: Bitte einen Verantwortlichen ­benennen und bei der #PolizeiBerlin melden.«
Schwerer Fehler, denn prompt antwortete
@SchwarzerHundBo: »Über Twitter ist keine Ansprache von DemonstrantInnen möglich, bitte wenden Sie sich an Autonomenkräfte vor Ort.«
Und nicht nur das, auch ein neuer User namens @Roland_I_Bialke nahm umgehend den Dialog mit der Polizei auf: »Hallo @Polizei­Ber­lin_E ich melde hiermit über Twitter einen Aufzug an. Strecke O-Str./Skalitzerstr. bis U Warschauer Str.« Der nach einem Berliner Aktivisten mit Hang zu eigenartigen Äußerungen und Sprengstoffen benannte Twitter-Account war kurz zuvor angelegt worden und bis zu diesem Moment durch ganz besonders offenkundige Gaga-Meldungen auf­gefallen, etwa: »Einige Aktivisten verschanzen sich im Kaisers/Alexandrinenstraße. 22.20 Uhr Treffen für Pyrobastel-Action dort« sowie »Mist. Mussten Treffen bei Kaisers absagen, irgendwie haben die Bullen davon Wind bekommen!?!? Überall Cops. Passt auf!« Außerdem hatte er Demons­tranten, die die U-Bahn benutzten, dazu aufgefordert, die Notbremse zu ziehen, um Polizei­repressionen zuvorzukommen – aber weil bei Twitter keine Message zu dusselig ist, als dass nicht doch irgendwer sie ernst nimmt, wurde der Quatsch natürlich ebenso prompt wie ernsthaft retweetet.

Die Polizei reagierte zunächst nicht auf den Twitter-Demoanmelder, der sein Anliegen sogar noch spezifizierte: »Ergänzung Anmeldung Aufzug: Beginn 23 Uhr, bringe 5 Ordner mit. Motto: ›Wir henkeln durch bis morgenfrüh!‹« Ferner ­dekretierte er: »Erwarte Auflagenbescheid bis 22.55 Uhr per Tweet. Wenn keine Reaktion, dann laufen wir ohne los.«
Um Punkt viertel vor elf hatte die Polizei genug: »Über Twitter ist keine Versammlungs-Anmeldung möglich, bitte wenden Sie sich an Polizeikräfte vor Ort«, twitterte sie – und wurde um­gehend von @bambule42 gerügt: »Sie stellen ihre forderungen doch auch per twitter. das ist sehr asynchrone kommunikation, so kann das nicht funktionieren.« Auch der Fake-Bialke reagierte ungehalten: »Ist das ihr ernst? Was soll der Zirkus? @PolizeiBerlin_E Ich habe eine GÜLTIGE ANMELDUNG an sie geschickt! 23 Uhr Start!!!« und verlor schließlich die Geduld: »Da Twitter nicht geht, gerade meine Anmeldung per Fax an @Polizei­Ber­lin_E geschickt. FAX BESETZT! Um 23 Uhr gehts los.« Auf seine Aufforderung: »@PolizeiBerlin_E Machen Sie das Fax und die Straße frei. Wir laufen in wenigen Minuten los und werden ihre Kräfte überrollen«, reagierte die Polizei jedoch nicht. Man verfüge »über 3 Kartoffelkanonen!«, wurden die Einsätzkräfte informiert, während selbst einige eher ironieresistente User darüber zu rätseln begannen, ob der Demoanmelder vielleicht am Ende bloß ein Fake sein könne.
Als ein weiterer Account auftauchte, der detailliert die angebliche Verhaftung des Fake-Account-Inhabers schilderte (»bin aus bezugsgruppe @Roland_I_Bialke, bullen hatten vor 20min erfolgreichen zugriff, roland wurde gekascht. zivibullen haben ihn sehr unsanft zu boden gerungen, ihn angebrüllt und sein mobiltelefon gegen den kopf geschleudert) zeigte man sich jedoch prompt wieder solidarisch – zumal @Roland_I_Bialke plötzlich als gelöscht angezeigt wurde.
Noch am Montagmorgen verlangten empörte User von Twitter zu erfahren, warum, auf wessen Betreiben und auf welcher gesetzlichen Grundlage der Account entfernt worden sei.
Ob die Berliner Polizei an ihrem ersten Twitter-Einsatz so viel Spaß hatte wie die versammelte Twitteria, ist leider nicht bekannt. Ganz unwahrscheinlich ist dies aber nicht, denn bei erstaunlich vielen Tweets zu #antirep14 ging es inhaltlich gar nicht um das, wogegen demonstriert wurde, sondern hauptsächlich um die Tweets der Beamten sowie um besonders gelungene Reaktionen darauf. Außerdem hatte sich die Polizei, wie manche fast schon anerkennend bemerkten, nicht trollen lassen, sondern stur ihre Mitteilungen verbreitet, etwas, das die meisten Twitterer selbst nach Jahren noch nicht gelernt haben. Und so klang es schon fast ein wenig resigniert, als der User @nordkiez einen Tag später feststellte: »Ein lustiger Polizeiaccount und ein Bialke Troll/Satire Account – früher (tm) war mehr Demo.«