Das Buch »Zero Zero Zero« von Roberto Saviano

Die Basuco-Tauben sind müde

Fünf Jahre lang hat Roberto Saviano an einer großangelegten Reportage über die Macht der Drogenkartelle geschrieben. Weniger Pathos und mehr Recherche hätten dem Buch »Zero, Zero, Zero« gutgetan.

Mit Basuco ist nicht zu spaßen. Das Zwischenprodukt der Kokaingewinnung ist »eine Mischung aus Ziegelstaub, Aceton, Insektiziden, Blei, Amphetaminen und verbleitem Benzin«, schreibt Roberto Saviano in seinem soeben erschienenen Buch »Zero Zero Zero. Wie Kokain die Welt beherrscht«. Basuco ist billig, aber hochgiftig. Es ist die Droge lateinamerikanischer Häftlinge. Als Transportmittel dienen Brieftauben, in deren Gefieder kleine Säckchen mit Büroklammern befestigt werden. Häufig, so Saviano, sei die Last zu schwer, dann prallten die Tauben gegen die Gefängnismauern. Der Sturzflug verletzter Tauben ist nicht das schlechteste Bild für die brutale Härte des weltumspannenden Kokaingeschäfts, bei dem es vor allem um den Handel mit Kokainhydrochlorid, also um Kokain in Rein­form, geht.
Zur Typisierung von Mehl werden in Italien Kennziffern von 2 bis 0 verwendet. Das feinste italienische Mehl hat zwei Nullen. Das weiße Kokainpulver, das aussieht wie allerfeinstes Mehl, bekommt bei Saviano drei Nullen und den Namen »Zero Zero Zero«. Mit der Reinheit ist das freilich so eine Sache: Die Paste wird mit Salzsäure versetzt und anschließend mit Aceton und Ethanol behandelt. Die Liste der enthaltenen Chemikalien ist noch um einiges länger, und zwar schon vor dem Streckprozess auf dem Straßenmarkt. Kein Wunder, dass viele Kokainkonsumenten lieber nicht wissen wollen, was genau sie sich durch die Nase ziehen.
Welches die erfolgreichsten multinationalen Unternehmen der Welt seien, fragt Saviano – Exxon Mobil, Volkswagen oder General Electric? Seine Antwort lautet: Das erfolgreichste Unternehmen der Welt ist der internationale Kokainhandel. »Und zwar bei weitem!« Der Vergleich mit börsennotierten Konzernen sagt allerdings wenig aus, denn weder ist der internationale Kokainhandel ein Unternehmen noch verfügt er über unternehmenstypische Investitions- und Renditemechanismen. An anderer Stelle heißt es: »Wenn man über Kokain schreibt, dann schreibt man über die Welt schlechthin.« Und: »Über Kokain zu schreiben ist, wie selbst welches zu nehmen. Du verlangst nach immer mehr Nachrichten, immer mehr Informationen, und was du findest, saugst du gierig auf. Du bist addicted, süchtig.«
Der 1979 in Neapel geborene Journalist und Autor ist überaus pointenverliebt und ausgesprochen behauptungsfreudig; seine Autorenpersönlichkeit scheint hochentflammbar. Schon einmal war er schwer addicted. Da hatte er sich derart leidenschaftlich und gründlich mit der neapolitanischen Mafia beschäftigt, dass die daraufhin schwor, sich mit ihm zu beschäftigen – auf ihre Weise. Seit sein Tatsachenroman über die Mafia, »Gomorrha«, (2006) erschienen ist, muss Saviano ständig den Aufenthaltsort wechseln und braucht Personenschutz. Er führt ein Leben im Untergrund, seit bald acht Jahren. Man kann sich Saviano schwerlich als heiteren Menschen vorstellen. Aber Schwung hat er.
»Zero Zero Zero« ist eine lange Reise durch die Welt des Kokainhandels. Karten und Tabellen gibt es nicht, harte empirische Wirtschaftsdaten sind rar. Die Tour beginnt in Lateinamerika. Längst hat Kokain den Anbau von Mohn und Marihuana abgelöst. Kolumbien ist der weltgrößte Kokainproduzent, wichtigster Handelsumschlagplatz ist Mexiko. Saviano porträtiert miteinander konkurrierende mexikanische Drogenbosse, er verfolgt den Aufstieg des allmächtigen Sinaloa-Kartells und den seines kürzlich gefassten »Paten«, Joacquín Guzmán, der 2009 auf Platz 41 der 67 »mächtigsten Menschen der Welt« des US-Wirtschaftsmagazins Forbes geführt wurde. Er schildert die grausamen Kartellkriege und die Strategien des Terrors, der wahllos oder gezielt gegen konkurrierende Kartelle gerichtetet ist. Er verliert sich in manch blutigem Detail – Folter und Mord sind allgegenwärtig – und distanziert sich ebenso rasch von dem eben Geschilderten.
Durch die intensive Beschäftigung mit dem ungeheuerlichen Thema Kokain sei er selbst »ein Ungeheuer« geworden, jammert er kokett. Der Abgrund in ihm habe böse zurückgeschaut, erklärt er in Anspielung auf einen Ausspruch Friedrich Nietzsches. Savianos Stil ist durchweg pathetisch.
Am Körper von Flüchtlingen oder mit Hilfe von großen Katapulten gelangt das »weiße Gold« über die mexikanische Grenze in die USA, das Land mit den meisten Kokainkonsumenten. Ein Großteil der Ware landet in Madrid und Rotterdam. In Passagier- und Sportflugzeugen, Tauch- und (Mini-)U-Booten, auf Frachtkähnen und neuerdings verstärkt auf Segeljachten findet das Kokain auf immer neuen und ausgeklügelteren Routen seinen Weg in die kokshungrige weite Welt. Die kalabrische Mafiaorganisation Ndrangheta steuert die Vertriebswege in Europa, die Banken waschen das Geld, bis kein Flöckchen Schnee mehr an den Scheinen haftet. Während in der Wirtschafts- und Finanzkrise Geld zusehends knapper wird, pumpt der internationale Drogenhandel weiterhin Milliarden in das marode Bankensystem. Die Krise von 2008/2009, behauptet Saviano, wäre ohne das Drogengeld sehr viel heftiger ausgefallen. Eine steile These.
Fünf Jahre hat Saviano an »Zero Zero Zero« gearbeitet, inkognito auch außerhalb Italiens, denn: »Kokain rastet nicht.« Gute Kontakte zur Unterwelt hatte er bereits aufgebaut. Behauptungen wie die, dass die globale Wirtschaft stärker von Entscheidungen großer Drogenkartellbosse wie Felix Gallardo »El Padrino« und Pablo Escobar »El Mágico« geprägt sei als von der Po­litik Ronald Reagans und Michail Gorbatschows, lassen sich ohnehin nicht belegen. Und viele der im Buch erzählten Drogengangster- und Kartellgeschichten wurden bereits von anderen Journalisten niedergeschrieben. Saviano hat ihnen lediglich neues Leben eingehaucht. Wieviel harte Recherche vor Ort in dieser literarisch-journalistischen Arbeit steckt, ist kaum auszumachen. Savianos atemloser, Fakten und Fiktion mischender Redefluss ist sicherlich kein Paradebeispiel für trennscharfes, sachlich-verlässliches Schreiben.
Der »war on drugs« ist verloren. Das geben mittlerweile sogar Vertreter der US-amerikanischen Regierung zu. Und wie geht es weiter? Der renommierte Harvard-Ökonom Jeffrey Miron erklärte vor einem Jahr im Spiegel, die Freigabe von Kokain sei ökonomisch und gesundheitspolitisch sinnvoll. Auch Saviano meint, nur die Legalisierung könne den tödlichen Kreislauf von illegalem Angebot und illegaler Beschaffung beenden. Mehr als dieser Gemeinplatz aufgeklärter Drogenpolitik fällt ihm zum Thema Legalisierung allerdings nicht ein. Ansonsten behilft er sich mit pathetischen Floskeln: »Ist das zu gewagt? Ist es eine Phantasie? Das Delirium eines Ungeheuers? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.«

Roberto Saviano: Zero Zero Zero. Wie Kokain die Welt beherrscht. Aus dem Italienischen von Frank Röth. Hanser-Verlag, München 2014, 480 Seiten, 24,90 Euro