Eine Ausstellung über Mode im Nationalsozialismus

»So weiblich wie nur möglich«

Die Ausstellung »Glanz und Grauen« beschäftigt sich mit der Rolle der Mode im Nationalsozialismus und widerlegt die Klischees von blond bezopften Dirndln und Gestapo-Männern in langen Ledermänteln.

Iist es der etwas reißerische Titel, der sogar Bild dazu verleitete, über die Ausstellung »Glanz und Grauen« zu berichten? Oder ist es das Thema »Nationalsozialismus«? Oder ist es der Ausstellungsort? Schließlich findet die Schau nicht in einem der kulturellen Zentren, sondern in der Voreifel im Industriemuseum in Euskirchen-Kuchenheim statt. Insgesamt hat das Industriemuseum des Landschaftsverbands Rheinland sechs Standorte. Kuchenheim ist einer davon. Zuvor war die Ausstellung in Ratingen zu sehen. »Diese Dezentralität ist ein Problem«, sagt die Kuratorin Claudia Gottfried. »Das kriegt man unheimlich schwer vermarktet.« Aber sie sagt auch: »Für uns ist es die erfolgreichste Ausstellung, die wir in unserem Museum je hatten.«
Bis zum 26. Oktober werden auf einer 630 Quadratmeter großen Ausstellungsfläche rund 100 Kleidungsstücke aus den dreißiger und vierziger Jahren gezeigt. Außerdem hat das Museum Hunderte von Hüten, Schuhen, Handtaschen, Schmuckstücken, Zeitschriften, Fotos, Modegraphiken und Briefen aus der umfangreichen Textilsammlung des Industriemuseums sowie Leihgaben aus anderen Museen und Privatbesitz zusammengetragen. Viele stammen von Privatleuten aus der Region, die zudem mit ihren Erinnerungen zur Beantwortung der Frage beitrugen, in welchem Maße das NS-Regime den Modestil und das Kleidungsverhalten der Deutschen geprägt hat.
Die Ausstellung ist Teil eines von der VW-Stiftung mit 350 000 Euro geförderten Forschungsprojekts und will nicht nur Besucher anziehen, sondern auch Zeitzeugen finden. Die Förderung durch die VW-Stiftung kommt für das Industriemuseum wie gerufen. Längst hatte man den hauseigenen Bestand an Kleidungstücken der dreißiger und vierziger Jahre wissenschaftlich aufbereiten wollen, zumal die Zeitzeugen langsam knapp werden. Doch es fehlte an Kapazitäten. »Wir haben sehr lange vor dem Thema Respekt gehabt, weil es wissenschaftlich nicht aufgearbeitet war und der Nationalsozialismus eine so heikle Geschichte ist, dass man sehr genau hingucken muss. Das wollten wir nicht auf die Schnelle machen«, erklärt Claudia Gottfried.
Mit Geldern der Stiftung und Unterstützung durch das Institut für Europäische Kulturwissenschaft der Universität Marburg wurde gesichtet, gefragt und geforscht. Wie so oft, wenn man etwas genauer hinschaut, wurden vermeintlich gesicherte Faken widerlegt, Legenden entlarvt, Verdrängtes ans Licht gebracht. Zum Beispiel die Sache mit den Braunhemden der NSDAP. Wieso diese Farbe und diese Form? Angeblich soll ein SA-Führer billig Restposten an Kleidung aus dem Ersten Weltkrieg erworben haben, die für Paul von Lettow-Vorbecks deutsche Schutztruppe in Afrika vorgesehen war und nie getragen wurde. Dies, so Claudia Gottfried, sei eine der vielen Legenden, die die Nationalsozialisten selber geschaffen hätten. Ebenfalls reine Fiktion, in diesem Fall eine Erfindung Hollywoods, ist der lange schwarze Ledermantel der Gestapo. Der wirklichen Geheimpolizei wäre diese Bekleidung viel zu auffällig gewesen.

Formen des ästhetischen Widerstands
In einer Atmosphäre des gegenseitigen Misstrauens konnte die äußere Erscheinung aber durchaus politische Botschaften vermitteln. »Wir entwickelten einen siebten Sinn und sahen an der Kleidung, wer nicht mitmachte«, so erzählte es eine Zeitzeugin den Ausstellungsmachern. Deutlich sichtbare Signale lieferten neben Uniformen, Parteiabzeichen und dem »Judenstern« etwa die Anstecknadeln des Winterhilfswerks, die in rascher Folge Form und Farbe wechselten und dadurch offenbarten, wann wer zuletzt gespendet hatte.
Neben den Nadeln werden auch Kleidungsstücke gezeigt, die von den Edelweißpiraten getragen wurden, Mitglieder jener regimefeindlichen Großstadtcliquen von Jugendlichen, die vorwiegend aus dem linken Arbeitermilieu stammten und in der Tradition der Bündischen Jugend standen. Mit kurzen Lederhosen, heruntergerollten Kniestrümpfen, Wanderschuhen, bunten Ski- oder Fahrtenhemden und Halstüchern hoben sie sich auch äußerlich deutlich von der Hitler-Jugend ab. Während die hemdsärmeligen Edelweißpiraten eine gewisse Schlampigkeit kultivierten, zelebrierten die zumeist aus dem Bürgertum stammenden jugendlichen Swings eine ganz andere Form des ästhetischen Widerstands: anglophile Eleganz mit Stockschirm und kinnlangem, zurückgekämmtem Haar. Auch hier waren es die Jungen, die sich optisch am deutlichsten positionierten, in der Ausstellung vertreten durch zweireihige Anzüge mit weiten Hosen, Seidenschal und Hut.
Kleidung signalisiert sowohl Abgrenzung als auch Zugehörigkeit. Das ist heute so und war damals nicht anders. So wurden die Uniformen der Hitler-Jugend und des Bunds Deutscher Mädel mit Bedacht gewählt. »Die Nazis haben sich angeguckt, was an Jugendmode gerade richtig hip ist, und haben das zur Uniform erklärt«, so Claudia Gottfried. »Bei den Jungs waren es unter anderem die schwarzen Cordhosen und bei den Mädchen die braunen Kletterwesten, die ähnlich aussehen wie Jeansjacken. Jedes Mädchen, das etwas auf sich hielt und lässig sein wollte, musste so eine Jacke haben. Plötzlich aber durften alle, die nicht in der HJ oder im BDM waren, das nicht mehr tragen. So schuf man nochmal einen Anreiz, beizutreten. Das ist so, als würde man heute den Jugendlichen die Jeans wegnehmen und sagen: Nur, wenn du bei uns mitmachst, kriegst du wieder eine Jeans.«
Mit der Lässigkeit war es dann scheinbar doch nicht ganz so weit her. Die Ausstellung präsentiert bis ins Detail genaue Vorschriften über die HJ- und BDM-Uniformen, die ganz dem NS-Klischee entsprechen: für jede Altersgruppe bestimmte Rock- und Hosenlängen, Schnitte, Knöpfe und Kragenformen. Da es verboten war, die Uniformen selbst zu schneidern, wurde die Mitgliedschaft teuer. Das wiederum führte dazu, dass die Vorschriften eher selten eingehalten wurden. Claudia Gottfried: »Die Kinder haben irgendwas angezogen, Hauptsache, es sah ungefähr so aus.«

Die deutsche Frau der Zunkunft
Widerlegt wird die Annahme, dass die Nazis generell das brav bezopfte und bedirndlte Gretchen mit gebärfreudigem Becken zum Ideal stilisierten. Zwar war die bis dato angesagte Androgynität schon Ende der zwanziger Jahre passé, doch das Schönheitsideal, das sich langsam vom mädchenhaft-romantischen Puffärmeltyp der frühen dreißiger Jahre zur strenen, schulterpolsterbehafteten Dame der Kriegszeit wandelte, blieb bis zum Schluss die überschlanke, elegante und längst nicht immer blonde Frau. Das zeigen auch die Modelle in den Modezeitschriften Die Neue Linie, Neue Moden und in der absolut parteikonformen, von der NS-Frauenschaft herausgegebenen NS-Frauenwarte. Sie alle kann man in der Ausstellung digital durchblättern. Trachtenkleidung blieb meist den Landfrauen und dem Urlaub in den Bergen vorbehalten. Schließlich wollte man auch in modischer Hinsicht als die führende Nation auftreten, zumal die Mode einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor darstellte. Hinzu kommt, dass das NS-Regime die Frauen bei Laune halten und die »Fehler« des Ersten Weltkriegs vermeiden wollte, als im Zuge der starken kriegsbedingten Entbehrungen die »Heimatfront« bröckelte. Auch dies war Teil des Kalküls: Wenn die Soldaten auf Heimaturlaub nach Hause kamen, sollten sie keine biederen Hausmütterchen vorfinden, sondern verführerische Weiber, mit denen sie ihre durch Entbehrung genährten Phantasien ausleben konnten, um gestärkt in die Schlacht zu ziehen. Auch die Zeugung von Nachwuchs dürfte bei diesen Überlegungen eine Rolle gespielt haben.
Dass das Klischee vom Heimchen am Herd mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt, belegt auch ein Zitat von Magda Goebbels. Die Frau des Ministers für Volksaufklärung und Propaganda war im Jahr 1934 für kurze Zeit Ehrenvorsitzende des neu gegründeten Deutschen Modeamts in Berlin: »Ich halte es für meine Pflicht, so schön auszusehen, wie ich kann. Ich will auch in dieser Beziehung auf die deutschen Frauen wirken. (…) Die Männer sind sehr männlich in Deutschland und daher müssen die Frauen so weiblich sein wie nur irgend möglich. Die deutsche Frau der Zukunft soll schick sein, schön und klug. Der Gretchentyp ist endlich überwunden.« Sechs Jahre später stellten die Frauen, vor allem kriegsbedingt, 37 Prozent der Erwerbstätigen.
Neben dem Berliner Modeamt wurden Modeämter in Frankfurt (1933) und Wien (1938) gegründet. Ihnen angegliedert waren Ausbildungsstätten für Modegestalterinnen, die, anknüpfend an die Tradition der Wiener Werkstätte und des Deutschem Werks, noch bis in die Kriegsjahre eine konkurrenzfähige »arteigene Weltmode« prägen sollten. Um diese zu verkaufen, wurden regelmäßig Modeschauen veranstaltet. Auch im besetzten, im befreundeten und im neutralen Ausland wurde die deutsche »Hochmode« gezeigt. Bestrebungen, die französische Haute Couture auszuschalten und die Pariser Häuser nach Deutschland umzusiedeln, scheiterten jedoch. Die Kreationen der Modeämter waren – nicht zuletzt da französische Mode ungeniert kopiert wurde – elegant und hochmodern. Frauen aus den höchsten Kreisen, darunter Hermann Görings Ehefrau Emmy, ließen sich allerdings auch noch zu Kriegszeiten kistenweise Kleider und Pelze zur Auswahl von Pariser Modehäusern kommen. Claudia Gottfried beschreibt dies: »Auf Fotos von Partei-Bällen ist deutlich zu sehen, dass die Damen internationalen Chic vom Feinsten trugen. Da ging keine im Gretchen-Look.« In der Ausstellung zeugen unter anderem schmale, hauchzarte Chiffonkleider sowie Roben aus Ausbrennersamt und Brokat davon, dass der Pariser Einfluss bis in die Provinz reichte.
Das Grauen hinter all dem Glanz kommt ein paar Meter weiter ans Licht. Wegen Lederknappheit ließen von 1940 bis 1945 die damals führenden deutschen Schuhfabrikanten neu entwickelte Materialien aus Lederfaser und Kunststoffen erproben. Die Teststrecke unterstand dem Reichsamt für Wirtschaftsaufbau. Es war ein 700 Meter langer Abschnitt mit wechselndem Untergrund auf dem Gelände des Konzentrationslagers Sachsenhausen. Häftlinge mussten dort täglich, teils mit schwerem Gepäck, von morgens 6 bis nachmittags 17 Uhr marschieren und Schuhmodelle auf ihre Tauglichkeit »testen«. Wer erschöpft zusammenbrach, wurde von der SS totgeprügelt oder erschossen. Jeden Tag starben 15 bis 20 der ohnehin schon völlig entkräfteten Häftlinge. Je »Proband« und Tag zahlten die forschenden Unternehmen dem SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt sechs Reichsmark. Eine Investition, die offenbar als lohnend angesehen wurde. Aufgrund der Prüfberichte wurden die Produkte optimiert. Interessierte Manager von Salamander und Freudenberg nahmen die Schuhprüfstrecke nachweislich selbst in Augenschein. Die Historikerin Anne Sudrow, die diese Geschichte in ihrem überaus informativen Buch »Der Schuh im Nationalsozialismus« aufgearbeitet hat, identifizierte einige der Exponate der Ausstellung, die mit Materialien verarbeitet wurden, die auf der Schuhprüfstrecke getestet worden waren. Ein weiteres Beispiel dafür, wie namhafte Vertreter der Industrie aus den mörderischen Unternehmungen des Regimes ihren Vorteil zogen.

Reichskleiderkarten steuerten und rationierten den Konsum
Im Zuge der Kriegsvorbereitungen wurde den Volksgenossen Sparsamkeit auferlegt. »Kampf dem Verderb« hieß die Parole einer NS-Kampagne, die am 9. Juli 1936 auf dem »Parteitag der Ehre« beschlossen wurde. Die Ausstellung präsentiert eindrucksvolle Beispiele jener Notkultur, in der Gardinen zu Ausgehkleidern wurden, kaputte Wollpullis ihre Wiedergeburt als selbstgehäkelte Badehosen erlebten und die Uniform eines gefallenen Soldaten zum Kindermantel schrumpfte. Die Qualität der verfügbaren Stoffe hatte sich ab 1936 durch staatliche Eingriffe mehr und mehr verschlechtert. Händler mussten Konfektionsware und Stoffe anbieten, bei deren Verarbeitung überall gespart worden war. Die Preisbindung und die am 15. November 1939 eingeführten Reichskleiderkarten steuerten und rationierten den Konsum. Fortan waren Verkäufe unterm Ladentisch strafbar – natürlich nicht für die nationalsozialistischen Eliten. Ansonsten wurden 100 Punkte pro Jahr gewährt, wobei beispielsweise ein Kostüm 45 Punkte verbrauchte.
Da erschien es manchem Volksgenossen nur praktisch, dass mit der »Zwangsarisierung« im November 1938 eine flächendeckende Enteignung der Juden begonnen hatte. Nach und nach wanderte die Kleidung vertriebener, deportierter und ermordeter Juden, zumeist ordnungsgemäß desinfiziert, in die Schränke der arischen Nachbarn. Eine Vielzahl dieser Kleidung füllte zunächst die Kleiderkammern der Volkswohlfahrt. So ist nur von einem einzigen Kleid in der Ausstellung bekannt, dass es einer Jüdin gehört hat. Bevor sie »verschwand«, hatte sie es ihrem Kindermädchen geschenkt, das es aufbewahrte. Neben der Enteignung jüdischer Haushalte und Textilbetriebe war auch der Raub in den besetzten Gebieten Teil der NS-Wirtschaftspolitik. In Millionen von Feldpostpäckchen schickten Soldaten neben Nahrungsmitteln Unmengen an Kleidung in die Heimat. »Die Gepäcknetze der Schnellzüge nach dem Reich sind jetzt ständig bis zur Decke gefüllt«, berichtet 1940 ein deutscher Reichsbahnbeamter. Die ergatterten und ergaunerten Waren, die zumeist nach der Abwertung der Fremdwährung in den besetzten Ländern billig gekauft oder bei Plünderungen mitgenommen wurden, wurden daheim begierig entgegengenommen.
Ohne Förderung wäre das Projekt samt der Ausstellung »Glanz und Grauen« womöglich niemals realisiert worden. So ergehe es heute vielen Museen, die auf großen Beständen in Form von Sachquellen säßen, bedauert Claudia Gottfried. Die Kuratoren hätten kaum mehr Zeit und Mittel, die Bestände wissenschaftlich aufzuarbeiten: »Weil wir inzwischen alle Veranstaltungsmanager sind. Da geht es nur noch um Besucherzahlen. Ein Event muss das nächste jagen und zu einer fundierten Forschung, wie man sie ursprünglich mal in diesem Berufsbild angesiedelt hatte, kommen wir alle gar nicht mehr.« In diesem Fall glücklicherweise doch. Die mit der Förderung verene Auflage, ausschließlich die eigenen Bestände zu erforschen, verengt allerdings zwangsläufig den Blick. Wichtige Aspekte des Themas werden marginalisiert oder gar nicht berücksichtigt. Ersteres trifft etwa auf die weit verbreitete Subkultur der Swingjugend, das zweite auf die Bedeutung der Modeämter und auf die Entwicklung der Bekleidungsindustrie zu, die ursprünglich zu einem Großteil in jüdischem Besitz war. Dennoch handelt es sich um eine durchaus lohnende und aufschlussreiche Ausstellung, die weit über sich hinausweist und deutlich macht: Mode im Nationalsozialismus war weder reine Privatangelegenheit, noch völlig gleichgeschaltet. Vielmehr stellt sie ein komplexes Geflecht dar aus widersprüchlichen Idealen und Interessen, Vorschriften und Verboten, Tracht und Niedertracht.

Glanz und Grauen – Mode im »Dritten Reich«. Die Ausstellung ist bis 26. Oktober im LVR-Industriemuseum Euskirchen-Kuchenheim, Carl-Koenen-Straße 25b zu sehen.
Anne Sudrow: Der Schuh im Nationalsozialismus. Eine Produktgeschichte im deutsch-britisch-amerikanischen Vergleich, Göttingen 2010
Glanz und Grauen. Mode im Dritten Reich, Ausstellungskatalog, 9,95 Euro