Die Wirtschaftslage in Griechenland

Eine unglaubliche Erholung

Die griechische Regierung feiert, dass sie erstmals nach vier Jahren wieder Staatsanleihen ausgegeben hat.

Nach vierjährigem Exil ist Griechenland am Donnerstag voriger Woche an die internationalen Kapitalmärkte zurückgekehrt. Die griechische Regierung strich für Staatsanleihen mit fünfjähriger Laufzeit bei einem Zinssatz von 4,75 Prozent rund drei Milliarden Euro von ausländischen Investoren ein. Sie verkündete, die Rückkehr an die Märkte sei ein klares Zeichen dafür, dass die griechische Wirtschaft eine unglaubliche Erholung zeige. »Das ist das Ergebnis riesiger Opfer der griechischen Gesellschaft«, sagte der stellvertretende Finanzminister Christos Staikouras, während Finanzminister Giannis Stournaras von einem »riesigen Erfolg« sprach. Einige internationale Kommentatoren und Ökonomen teilten diese positive Einschätzung, aber es dauerte nicht lange, bis die erste Euphorie vorbei war.
Denn die Antwort auf die Frage, ob der griechische Staat sich künftig wieder ohne die Hilfe der sogenannten Troika aus Europäischer Zentralbank, Europäischer Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF) Geld leihen kann, ist ein klares Nein. Der Vorsitzende der Eurogruppe, Jeroen Dijsselbloem, verpasste dem Enthusiasmus einen Dämpfer, indem er das Offensichtliche aussprach: »Einmal eine bestimmte Anleihe am Markt zu platzieren, ist nicht gleichbedeutend mit vollem Marktzugang, mit der Fähigkeit, die europäischen Kredite zu vernünftigen Preisen zu refinanzieren.« Der Spiegel schrieb, Investoren hätten die Anleihen nur gekauft, weil diese mit mehrfachen Garantien abgesichert seien und weil es derzeit auf den Finanzmärkten zu viel Liquidität gebe. Und im Gegensatz zu ähnlichen Staatsanleihen Irlands und Portugals wurden die griechischen nach britischem Recht ausgegeben. Das bedeutet im Wesentlichen, dass die Investoren, zumeist Hedgefonds, geschützt sind, selbst wenn Griechenland pleite geht oder die Eurozone verlässt.
Es ist wahrscheinlich, dass das durch den Verkauf der Staatsanleihen erwirtschaftete Geld, anstatt Wirtschaftswachstum oder Liquidität zu generieren, dazu dienen wird, die Löcher im Haushalt zu stopfen. Bei diesem wurden freiwillig die Zinszahlungen nicht einberechnet, in den vorangegangenen Monaten wurde ein Überschuss angekündigt. Ein Kommentator erklärte in der Financial Times das Problem in einfachen Worten: »Die griechische Wirtschaft ist nicht in der Rezession. Sie erholt sich auch nicht. Sie ist kollabiert.«

Trotz der euphorischen Regierungserklärungen zeigt die griechische Wirtschaftkein Anzeichen von Wachstum. In den vergangenen sechs Jahren ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 23,5 Prozent geschrumpft, die Investitionen gingen um 58,4 Prozent zurück. Die griechischen Banken benötigen dringend eine Rekapitalisierung, 32 Prozent der Kredite sind toxisch. Und Privatisierungen, der deus ex machina der modernen Wirtschaftstheorie, müssen erst einmal zustande kommen – während die Investoren noch immer Furcht vor potentieller gesellschaftlicher und politischer Instabilität haben. Mit Staatsschulden in Höhe von 175 Prozent des BIP und einer Arbeitslosenrate von offiziell 26,7 Prozent gibt es kein Anzeichen für eine Erholung der griechischen Wirtschaft. Sicher ist einzig die Fortsetzung der Austeritätspolitik. Ein Versprechen, das Angela Merkel in der vorigen Woche bei ihrem Besuch in Athen wiederholte, für dessen Dauer alle Demonstrationen verboten wurden und das Zentrum Athens aus Sicherheitsgründen abgeriegelt wurde. Wie ein Kommentator bemerkte, ist Griechenland vielleicht an die Märkte zurückgekehrt, aber die Griechen können nicht aus ihren Häusern heraus.
Mittlerweile ist klar, dass die Austeritätspolitik nichts zur Krisenlösung beigetragen hat. Das hat nichts mit irgendwelchen Fehlkalkulationen zu tun, wie der IWF verlegen meinte, noch damit, dass die lang erwartete Restrukturierung der Wirtschaft noch einen langen Weg vor sich hat. Abgesehen davon, dass der Hauptgrund für den ökonomischen Kollaps Griechenlands, die globale Wirtschaftskrise, sich weiter entfaltet, war die Austritätspolitik nicht als Krisenlösung, sondern als eine besondere Form des Krisenmanagements gedacht. Nimmt man die Memoranden wörtlich, wurden die in ihnen festgelegten Ziele erreicht. Aber sie betrafen nicht ein Ende der wirtschaftlichen Rezession, vielmehr ging es darum, die öffentlichen Ausgaben zu reduzieren (insbesondere in den unproduktiven Sektoren wie Gesundheit und Soziales), die Bereiche mit schwacher Kapitalkonzentration drastisch einzuschränken (indem man Kleinunternehmen in den Bankrott trieb) und die Löhne zu reduzieren (so weit, dass künftig ausländische Investoren angelockt würden). All das wurde in den vergangenen vier Jahren erreicht. Der einzig sichtbare Erfolg ist eine Gesellschaft am Rande des kompletten Zusammenbruchs oder der sozialen Explosion.

Nach und nach wird allgemein eingesehen, dass der jüngste Verkauf der Staatsanleihenkeineswegs eine Rückkehr an die Märkte darstellt, vielmehr handelt es sich um einen politischen Coup, der die Moral heben und der bröckelnden Regierung vor den Europawahlen im Mai helfen soll. Wie Staikouras eingestand: »Ich denke, nach der Auktion wird sich die politische Agenda zugunsten der Regierung wenden, und das wird sich auch in den Umfragen zeigen.«
Die Regierung hat gute Nachrichten bitter nötig. Die Koalition aus der konservativen Nea Dimokratia und der sozialdemokratischen Pasok hat nur noch eine Mehrheit von zwei Sitzen im Par­lament, in allen Umfragen zu den Europawahlen liegt die linke Partei Syriza vorne. Zu allem Überfluss wurde kürzlich ein Skandal publik, der unter normalen Umständen die gegenwärtige Regierung zu Fall gebracht hätte.
Takis Baltakos, als Generalsekretär der Regierung und Amtschef des Ministerpräsidenten wichtigster Mann nach diesem, wurde zum Rücktritt gezwungen, nachdem ein Video durchge­sickert war, in dem er ein herzliches Gespräch mit Ilias Kasidiaris führt, dem Sprecher der Neonazipartei Chrysi Avgi, gegen den ermittelt wird. In dieser freundlichen Unterhaltung erklärt Baltakos im Wesentlichen, die juristische Verfolgung Chrysi Avgis finde statt, weil die Nea Dimokratia an sie Stimmen verliere, in Wahrheit gebe es »keine Beweise« gegen die Partei. Die Inhaftierung von wichtigen Mitgliedern, so fährt er fort, sei bloß ein Ergebnis des von der Nea Dimokratia ausgeübten Drucks auf die gegen die Neonazipartei ermittelnde Staatsanwältin Efterpi Goutzamani, die ihren Posten nur erhalten habe, weil sie aus dem Nachbardorf von Ministerpräsident Antonis Samaras’ Herkunftsort stamme.

Ein führendes Mitglied der Regierung hält ein freundliches Treffen mit einem Neonazi ab, die Regierung mischt sich in einen Justizprozess ein – derartige Enthüllungen sollten unter normalen Umständen zum Rücktritt der Regierung führen. Aber in Griechenland scheint alles egal zu sein, solange die destruktiven Maßnahmen der Sparpolitik ungehindert fortgesetzt werden. Sich dessen anscheinend bewusst, behauptete der Pressesprecher der Regierung, Makis Voridis, Baltakos habe auf eigene Faust gehandelt und eine persönliche Agenda verfolgt, keiner seiner Kommentare spiegele die Haltung der Regierung wider, die »antifaschistisch« sei und bleibe.
Die linke Partei Syriza reagierte ein weiteres Mal, als sei nichts Bedeutendes geschehen, und tat ihr Bestes, um einen vorzeitigen Sturz der Regierung zu verhindern. Anstatt den sofortigen Rücktritt der Regierung zu fordern, sprach sich Syriza nur für den Rücktritt der beiden Minister aus, die Baltakos zufolge Druck auf die Staats­anwältin ausgeübt hatten. Offenbar herrscht ein großes Einverständnis – außer bei denen, die den Preis der Verschlechterung ihrer Lebensumstände zu zahlen haben.

Aus dem Englischen von Bernd Beier.